Atemnot

Folge: 611 | 28. Oktober 2005 | Sender: NDR | Regie: Thomas Jauch
Bild: NDR/Marion von der Mehden
So war der Tatort:

Atemberaubend – und das gleich in dreifacher Hinsicht.

Zum einen für die Opfer eines spektakulären Lebensmittelskandals, die in Atemnot mit kontaminierter Spaghettisoße des profitgierigen Corte-Konzerns vergiftet wurden und fortan nicht mehr ohne fremde Hilfe atmen, geschweige denn, sich bewegen können.

Aber auch für die LKA-Ermittlerin Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler), die in einem ihrer persönlichsten Fälle gegen den eigenen Lebenspartner Tobias Endres (Hannes Jaenicke, Märchenwald), zum dritten Mal in Folge im Niedersachsen-Tatort an ihrer Seite zu sehen, ermitteln muss, und dabei zunehmend an seiner Unschuld zweifelt.

Vor allem aber für den Zuschauer, der nach einer guten halben Stunde Schonzeit mit einigen bemüht amüsanten WG-Szenen mit Lindholms Mitbewohner Martin Felser (Ingo Naujoks) und diversen kitschig-hölzernen Dialogen immer stärker an den Fernsehsessel gefesselt wird und von den Filmemachern kaum noch Zeit zum Luftholen eingeräumt bekommt.

Das Autorenduo Thorsten Näter (Königskinder) und Verena Mahlow liefert Regisseur und Tatort-Stammgast Thomas Jauch (Tote Männer) ab diesem Zeitpunkt ein nahezu perfektes, clever angelegtes Drehbuch, das im Fahrwasser großer Hollywood-Vorbilder schwimmt und konsequent auf ein hochdramatisches Finale zusteuert.

Seine stärkste Sequenz hat Atemnot aber bereits nach gut zwei Dritteln des Films: Lindholm, mittlerweile ein seelisches Wrack und von Zweifeln zerfressen, und der stark tatverdächtige Endres, der ihr gerade liebevoll eine Quiche Lorraine gebacken hat, geraten in der Küche heftig aneinander. Da bleibt Frauenversteher Felser im Anschluss nur noch das Auffegen der emotionalen Scherben.


LINDHOLM:
Tobias ist weg. Ich hab ihm gesagt, dass er mich betrogen, mich niedergeschlagen und eine Frau umgebracht hat.

FELSER:
Charlotte, du hast was getan? Das ist hart. Das ist wirklich hart.


Die packende Sequenz, auf die der Dialog anspielt und in der sowohl Furtwängler als auch Jaenicke schauspielerisch zu großer Form auflaufen, bildet den Auftakt zu einem hochspannenden Schlussdrittel, in dem sich die Ereignisse förmlich überschlagen und die LKA-Kommissarin sich niemals sicher sein kann, ob sie dem Mann, mit dem sie gerade ein Eigenheim baut, noch trauen kann. Enger und enger zieht sich die Schlinge um den Hals des ambitionierten Politikers, der mehr und mehr Verfehlungen eingestehen muss und sich damit immer stärker in die Schusslinie befördert. 

Was also fehlt dem 611. Tatort trotz dieses beeindruckenden Spannungsbogens und der glänzend aufgelegten Hauptdarsteller zum Prädikat Meilenstein?

Neben dem schwachen Auftaktdrittel ist es vor allem das Finale, das Jauch mit wechselnden Kameraperspektiven, langen Zeitlupen und melodramatischer Musik viel zu künstlich überhöht. Der atmosphärische Wechsel kommt zudem zu abrupt, wenngleich Jauch dabei den fast malerischen Zeitlupenflug eines Unfallwagens in der Einleitung stilistisch aufgreift.

Diese Schönheitsfehler ändern unterm Strich aber wenig daran, dass Atemnot beim Blick auf die Gesamtreihe als eine der stärksten Lindholm-Folgen in Erinnerung bleibt und nach dem verhaltenen Beginn bis zum erschütternden Ende unheimlich mitreißt.

Bewertung: 8/10

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