Der Tote vom Straßenrand

Folge: 656 | 18. Februar 2007 | Sender: SR | Regie: Rolf Schübel
Bild: SR/Manuela Meyer
So war der Tatort:

Unschlüssig. 

Denn in Der Tote vom Straßenrand, dem zweiten gemeinsamen Einsatz der Saarbrücker Ermittler Franz Kappl (Maximilian Brückner) und Stefan Deininger (Gregor Weber), laufen zwei gleichberechtigte Handlungsstränge parallel – doch welcher soll denn nun der wichtigere sein? Fred Breinersdorfer und Léonie-Claire Breinersdorfer, die auch gemeinsam das Drehbuch zum Kappl-Erstling Aus der Traum konzipierten, scheinen sich nie ganz entscheiden zu können. 

Da ist zum einen der mit Kohlenmonoxid vergiftete Kurt Nagel, der am Steuer seines VW Käfer tot zusammenbricht, sein Gefährt gegen ein parkendes Auto rammt und mitten auf der Straße stehen bleibt – was die Alternativtitel Der Tote im Käfer oder Der Tote auf dem Mittelstreifen eigentlich deutlich einleuchtender erscheinen ließe. 

Zum anderen gerät auch Gerichtsmedizinerin Dr. Rhea Singh (Lale Yavas), die sich bei ihrem ersten Auftritt mit den Leichen in der Obduktionshalle unterhielt und damit einen sehr befremdlichen Eindruck hinterließ, in Bedrängnis: Zusetzen tut ihr aber nicht etwa ein Mörder, sondern ihr Ex-Freund, der schmierige Rechtsanwalt Dr. Woltermann (Wanja Mues, Fette Hunde).

 Der Jurist macht – wohlwissend, dass er sich in einer rechtlichen Grauzone befindet – keinen Hehl daraus, dass er der Medizinerin in Stalker-Manier nachstellt und sie am Telefon terrorisiert. Da liegt es nahe, eine halbgare Liaison zwischen Neu-Saarländer Kappl und seiner hübschen Kollegin ins Drehbuch zu schreiben – schließlich schürt das Emotionen und bietet Gelegenheit für die eine oder andere Handgreiflichkeit. 

Mag man Kappl seine Gefühle für Singh noch abkaufen, tendiert die Glaubwürdigkeit von Deininger, der ebenfalls ein Auge auf die Pathologin geworfen hat und ihr unbeholfen Komplimente macht, leider gegen Null. Die Eifersuchtsszenen zwischen den beiden Ermittlern dienen wohl eher dazu, an die kontroversen Dialoge in ihrer Debütfolge 
Aus der Traum anzuknüpfen, in der Kappl und Deininger gleich mehrfach lautstark aneinander gerieten und sich anfangs wenig zu sagen hatten. 

Weil die Hierarchie im Büro mittlerweile aber geklärt ist, muss der Kampf um Singh dafür herhalten. Das geht spürbar zu Lasten des Kriminalfalls, der mit der schleichenden Kohlenmonoxidvergiftung zwar eine vielversprechende Ausgangsidee mitbringt, ansonsten aber wenig überzeugend umgesetzt wird. Jedem ausgebildeten Polizeipsychologen dürften sich angesichts des halbgaren, spekulativen Täterprofilings im Präsidium, zu dem Assistentin Sekretärin Gerda Braun (Alice Hoffmann) auch noch witzfreie Vorurteile beisteuert, die Nackenhaare aufstellen. 

Die TV-bekannten Nebendarsteller Peter Franke (als Reinhard Lischki) und Fabian Busch (als Lyrikautor Alexander Rabnik) vermögen den 656. Tatort ebenso wenig zu retten wie Regisseur Rolf Schübel: Seiner Inszenierung fehlt es an Dynamik, die Actionszenen sind schlecht getimt und bieder in Szene gesetzt, der Showdown fast unfreiwillig komisch. 

Damit ist Der Tote am Straßenrand eine der schwächsten Episoden mit Kappl und Deininger und reicht qualitativ nicht einmal an deren mittelprächtiges Tatort-Debüt Aus der Traum heran. 


Bewertung: 3/10

Das Ende des Schweigens

Folge: 655 | 11. Februar 2007 | Sender: NDR | Regie: Buddy Giovinazzo
Bild: NDR/Marion von der Mehden
So war der Tatort:

Schwermütig.

Denn der achte Einsatz des Kieler Hauptkommissars Klaus Borowski (Axel Milberg) gleicht einer 90-minütigen Trauerbewältigungstherapie – und macht auch in etwa genauso viel Spaß. Dass sich beklemmende Stoffe und gute Krimiunterhaltung nicht von vornherein ausschließen müssen, dafür hat die Krimireihe in ihrer über 50-jährigen Geschichte zwar zahlreiche gute Belege geliefert (man denke nur an die herausragenden Frankfurter Tatort-Folgen Herzversagen und Unter uns, den Kölner Tatort Der Fall Reinhardt oder das Bremer Krimidrama Im toten Winkel). Doch der Spagat gelingt den Filmschaffenden eben nicht immer, wie Das Ende des Schweigens zeigt.

Dabei gestaltet sich besonders der Auftakt der 655. Tatort-Folge interessant und – ganz im Stile der Krimis von der Förde – auch ziemlich rätselhaft: Angler haben im offenen Wasser ein führerloses Boot entdeckt. An Bord finden sich Sachen und der Ausweis von Silke Rohwedder, einer netten und zuverlässigen, aber zurückgezogen lebenden Angestellten im Pflegedienst. Sie war schwanger und wird nun vermisst. Hat sie sich das Leben genommen? Wurde sie umgebracht? Oder ist sie mit ihrem neuen Freund durchgebrannt, der angeblich regelmäßig bei ihr übernachtete? Eine vielversprechende Ausgangslage, aus der Drehbuchautor Jörg von Schlebrügge in der Folge allerdings zu wenig macht und stattdessen ein ebenso einfallsloses wie unglaubwürdiges Beziehungsdrama entspinnt. 

Im Mittelpunkt steht dabei der Polizist Claes Möller (Thomas Heinze, Vier Jahre), der unter falscher Identität ein Verhältnis mit der Vermissten hatte und als Hauptverdächtiger auf dem Silbertablett eigentlich direkt als Täter ausscheidet. Sein Schicksal stellt sich als ebenso tragisch heraus wie das von Silkes psychisch labiler Schwester Maxie (anstrengend: Anna Brüggemann, Kaputt): Sie musste den Suizid ihres Vaters miterleben, zettelt in Kneipen Prügeleien an und wirft mit Beschimpfungen nur so um sich ("Feiger Pisser!"). Komplettiert wird das traurige Trio von Cora Rohwedder (Susanne Lothar, Der Teufel vom Berg), die die Sorge um ihre vermisste Tochter unter dicker Schminke verbirgt, orientierungslos über Krankenhausflure hetzt und Borowskis Fragen schonungslos ehrlich beantwortet.


BOROWSKI:
Warum hat sich Ihr Mann umgebracht, Frau Rohwedder?

ROHWEDDER:
Wegen mir.


Starker Tobak und keine einfache Ausgangslage für den kauzigen Kommissar, der sich daheim mit seiner pubertierenden Tochter Carla (Neelam Schlemminger) auseinandersetzen muss und die Stimmung im Hause Borowski in Form von Spiegelei-Gesichtern verdeutlicht. Im Präsidium kann der Kommissar dafür erneut auf die Unterstützung von Polizeipsychologin Frieda Jung (Maren Eggert) bauen, die gerade an einem Aufsatz über die Trauer der heimischen Stechmücken nach der Geschlechtsreife arbeitet und damit zufälligerweise voll im Thema ist.

Es sind nur zwei von zahlreichen Versuchen, die melancholische Grundstimmung zu durchbrechen, was allerdings nur bedingt gelingt. Regisseur Buddy Giovinazzo, der nach dem Münster-Tatort 3 x schwarzer Kater zum zweiten Mal für die Krimireihe am Ruder sitzt, verleiht seinem Streifen keine einheitliche Tonalität. Im Gegenteil: Einige Momente wirken geradezu grotesk. Beispielhaft dafür steht eine Sequenz, in der Borowski in das Büro des verdutzten Kriminalrats Roland Schladitz (Thomas Kügel) marschiert und Wasser aus einer Blumenvase auf dessen Teppich schüttet, um spontan und drastisch eine Theorie zum Tathergang zu verdeutlichen.

So künstlerisch ansprechend der Film auch daher kommt: An seinen bedeutungsschwangeren Einstellungen droht er irgendwann fast zu ersticken. Giovinazzo versteht es zwar, starke Bilder entstehen und Situationen für sich sprechen zu lassen, doch wird das Prinzip "Show, don't tell" etwas überstrapaziert. Das gilt insbesondere für die Sequenzen zwischen Claes Möller und seiner Frau Karin (Sandra Nedeleff, Du gehörst mir), die zwar neugierig machen, uns aber auch ratlos zurücklassen. Den Fall, der selten spannend arrangiert ist, bringt das kaum voran. Stattdessen ermittelt Kommissar Zufall mit, wenn Borowski und Jung im Garten der Vermissten nach der Leiche graben.

Spätestens auf der Zielgeraden, wenn Das Ende des Schweigens sich unnötig in die Länge zieht, wird die fehlende Substanz der Story überdeutlich. Immerhin ist die Auflösung recht knifflig, wenngleich die Anzahl der Verdächtigen überschaubar ist. Der achte Borowski-Tatort zählt damit – trotz einer starken Vorstellung der 2012 viel zu früh verstorbenen Susanne Lothar – zu den schwächsten Fällen aus Kiel und kann mit dem sehenswerten Vorgänger Mann über Bord und vielen anderen Highlights aus dem hohen Norden bei weitem nicht mithalten.

Bewertung: 4/10