Sternschnuppe

Folge: 974 | 7. Februar 2016 | Sender: ORF | Regie: Michi Riebl
Bild: ARD Degeto/ORF/Petro Domenigg
So war der Tatort:

Sexfixiert.

Anders als in freizügigen Tatort-Folgen wie Inflagranti, in dem die damals 17-jährige Helen Reinders (Camilla Renschke) nackt durchs Bild turnte und sich die Bremer Hauptkommissarin Inga Lürsen (Sabine Postel) freizügig in den Laken räkelte, wird in Sternschnuppe mit optischen Reizen allerdings gegeizt: Die gewohnt umtriebige Bibi Fellner (Adele Neuhauser) lässt den BH beim Date mit ihrer neuen Eroberung Wolfi (Gerhard Greiner) ebenso zugeknöpft wie Chefinspektor Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) und Assistent Manfred Schimpf (Thomas Stipsits) ihre Hemden.

Stattdessen wird in bester Salt N Pepa-Manier bei jeder Gelegenheit über Sex geplaudert: Nachdem Udo Hausberger (Peter Karolyi), der Jury-Chef der fiktiven Castingshow "Sing your song", auf der Suche nach dem ultimativen Orgasmus in seiner Dusche stranguliert wurde, nehmen Eisner und Fellner den Leichenfund (s. Bild) zum Anlass für ausgedehnte Reflexionen ihres eigenen Sexlebens. Das gestaltet sich aber nur bedingt unterhaltsam: Spätestens, als die Ermittler beim Sexualtherapeuten Dr. Peter Paulo dos Santos (Rainer Wöss) vorstellig werden, kommt man sich vor wie in einem albernen Tatort aus Münster.

Die erste Krimihälfte steht ganz im Zeichen müder (Sex-)Witzchen, die man aus Wien so gar nicht gewöhnt ist – und spätestens, wenn Fellners Pontiac Firebird zum dritten Mal nicht anspringen will, ist auch dieser Gag ausgelutscht. Doch es liegt nicht nur an den dünnen Pointen, dass Sternschnuppe der enttäuschendste Wiener Tatort seit Bibi Fellners Debüt Vergeltung ist: Chefinspektor Eisner bringt das Dilemma nach der Befragung der quotenfixierten Castingshow-Redakteurin Vanessa Gross (Claudia Kottal) früh auf den Punkt.


EISNER:
Es ist schon erstaunlich, wie verbissen manche Menschen um jeden Preis ihrem Klischee gerecht werden müssen!


Drehbuchautor Uli Brée, der in den vergangenen Jahren so tolle Wiener Tatort-Folgen wie Ausgelöscht oder Abgründe schrieb, liefert diesmal fast nur klischeebeladene Figuren: Die verbitterte Gesangslehrerin Samy Graf (Ruth Brauer-Kvam, Kolportage) lebt ihre gescheiterten Karriereträume über ihren talentierten Sohn aus, die abgehalfterte Ex-Gewinnerin Vera Sailer (Sabrina Rupp) hält sich mühsam mit schlecht besuchten Gigs in Einkaufszentren über Wasser und "Toy Boy" Benny Raggl (Michael Steinocher, Baum der Erlösung) würde für ein Schäferstündchen mit der arroganten Mordopfer-Gattin Angelika Hausberger (Aglaia Szyszkowitz, Vergeltung) wohl so ziemlich alles tun.

Da ist Staffelfinalist Aris Graf (Rafael Haider, Böses Blut) noch die interessanteste Figur: Er durchschaut die Mechanismen der TV-Branche zwar, fügt sich ihnen aber und gibt vor allem platte Lebensweisheiten zum Besten ("Man muss sich nur selbst treu bleiben!").

So bissig und amüsant die Scheinheiligkeit des Showgeschäfts im zu Recht für den Grimme-Preis nominierten Tatort-Meilenstein Wer bin ich? entlarvt wurde, so uninspiriert fällt die Demaskierung über weite Strecken im 974. Tatort aus: Fast alles, was Brée und Regisseur Michi Riebl (Glaube, Liebe, Tod) herausarbeiten, ist ein alter Hut. Wer glaubt, dass private TV-Sender ihre Kandidaten bei Quotenhits wie DSDS von ihrer natürlichsten Seite einfangen, mag in diesem Krimi Bauklötze staunen – wer das Erfolgsgeheimnis der Castingshows aber schon einmal kritisch hinterfragt hat, wird an der Geschichte wenig Aufregendes finden.

Dass Sternschnuppe kein Hit ist, liegt aber auch am enttäuschenden Auftritt der sonst so überzeugenden Hauptfiguren: Retteten Eisner und Fellner Folgen wie Paradies oder Grenzfall mit ihrem köstlichen Gezanke und reichlich Wiener Schmäh noch ins Mittelmaß, wirken die Neckereien diesmal so aufgesetzt wie selten. Statt knisternden Spannungsmomenten gibt es Gesangseinlagen – und einen ziemlich kitschigen Schlussakkord, bei dem die trauernde Mutter Helga Sailer (Susi Stach) das letzte Ständchen des Films rigoros abwürgt.

Bewertung: 4/10

3 Kommentare:

  1. Super Tatort! Witzige, spritzige Dialoge mit einer spannenden Story. Bitte mehr solche Tatortteams und Folgen. Kann mich zum wiederholten Male der o.g. Meinung von Lars-Dietrich Daniel nicht anschließen!!!

    AntwortenLöschen
  2. ...die 4 Punkte sind noch weit zu hoch gegriffen...
    Ansonsten eine passende Kritik zu einem faden TATORT

    AntwortenLöschen
  3. Ich finde auch, dass die Kritik die Schwächen dieses Tatorts gut auf den Punkt bringt - etwas Gutes lässt sich dieser Folge aber wohl kaum abgewinnen. So würde ich anstelle der 4/10 tatsächlich nur 2/10 Punkten vergeben.
    Das ewige Sex-Geplauder der Kommissare empfinde ich als unangebracht und den Film zu sehr dominierend. Die Kommissare, die sonst so authentisch wirken, werden so auf ihr Sexleben reduziert. Zudem ist problematisch, dass dieser witzige Ton nicht so recht mit den tragischen Geschichten in diesem Tatort zusammenpasst.
    Die Nebenfiguren sind Klischees auf zwei Beinen. Um es sich einfach zu machen, gibt der Drehbuchautor das dann auch noch zu. Auch die Auflösung ist ziemlich enttäuschend, denn der Selbstmord kann aufgrund der Vorhersehbarkeit und des witzigen Grundtons nicht die volle Wucht entfalten. In den letzten Minuten kann ich nicht so ganz nachvollziehen, warum Aris Graf sich so verhält, als würde er die Verstorbene schon von Kindheitstagen kennen. Zudem verkommen zahlreiche Szenen, etwa das Gespräch der Kanditaten, aber allen voran, als Moritz Bibi zu trösten versucht, zum Kitsch.
    Am interessantesten fand ich es noch, als vorgeführt wurde, wie die Stories der Kandidaten konstruiert werden, um Quotenerfolge zu erzielen, und wie die Kandidaten ausgenutzt werden. Retten tut dies freilich wenig, da diese Strategie den meisten Zuschauern eh bekannt sein dürfte.

    AntwortenLöschen