Unter Gärtnern

Folge: 1265 | 17. März 2024 | Sender: WDR | Regie: Brigitte Maria Bertele
Bild: WDR/Bavaria Fiction GmbH/Thomas Kost
So war der Tatort:

Botanisch.

Denn der 45. Tatort mit Hauptkommissar Frank Thiel (Axel Prahl) und Professor Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers) entführt uns in eine Welt, in der auch der Niedersachsen-Tatort Erntedank e.V. oder der Münchner Tatort Hackl spielt und in dem Herbert "Vattern" Thiel (Claus Dieter Clausnitzer) eine kleine Laube bewohnt: in eine Kleingartenkolonie. Neben gestutzten Hecken und selbst angebautem Bio-Gemüse wachsen dort auch exotische Giftpflanzen – und direkt neben solchen liegt die tote Parzellenbesitzerin Sabine Schmid (Sibylle Canonica, Die Musik stirbt zuletzt), die offenbar vergiftet wurde. Und neben ihr liegen: zwei tote Eichhörnchen. Was hat das zu bedeuten?

Das gilt es, für Thiel und Boerne unter Aufsicht von Staatsanwältin Wilhelmine Klemm (Mechthild Großmann) gemeinsam mit dem Kollegen Mirko Schrader (Björn Meyer) herauszufinden – und das macht in den ersten zwanzig Minuten des Films auch einen Heidenspaß. Der Auftakt von Unter Gärtnern gehört nämlich zum Witzigsten, was man seit vielen Jahren in Münster gesehen hat: Ähnlich wie ihre Kollegen im Frankfurter Tatort Wendehammer oder im Kölner Tatort Nachbarn halten Regisseurin Brigitte Maria Bertele (Rhythm and Love) und Drehbuchautorin Regine Bielefeldt (MagicMom) dem deutschen Spießbürgertum herrlich überzeichnet den Spiegel vor.

Da brüllt der dünnhäutige Familienvater Nicki (Arne Löber) zum Entsetzen seiner Frau Tabea (Iman Tekle) die spielenden Kinder an, wenn die beim Seilspringen zu laut sind. Da wird die mittelschwere Ehekrise des undurchsichtigen Historikers Prof. Ulrich Winer (Hans Uwe Bauer, Borowski und der gute Mensch) und seiner schnippischen Gattin Vera (Almut Zilcher, Schutzmaßnahmen) filetiert. Und da wird nackt am Holzkohlegrill gestanden, wenn Thiel und Schrader unangemeldet im Schrebergarten vorbeischauen und man es sich – so wie der von den "Ökos" gemiedene Intensivgriller Klaus Karger (Tobias van Dieken) – gerade im Adamskostüm gemütlich gemacht hat.


THIEL:
Moinsen, Hauptkommissar Thiel, Kripo Münster. Wir hätten da leider mal'n paar Fragen.

KARGER:
Das denke ich mir.

THIEL:
Aber ziehense sich doch bitte erstmal was an.

SCHRADER:
Müssense aber nicht, also wennse nicht wollen...

KARGER:
Das ist mein Garten. Meine Regeln. Hier drin bin ich ganz ich selbst.


Hätte man sich auch in der Folge auf diesen reizvollen Mikrokosmos beschränkt und zwischen Primeln, Plantschbecken und Palisadenzaun einen Whodunit mit überschaubarem Täterkreis arrangiert – der 1265. Tatort hätte eine feine Krimikomödie mit kleinen Kuriositäten, entlarvenden Beobachtungen und amüsanten Seitenhieben aufs Kleingärtnertum werden können. Zumal die pflanzenkundige Assistentin Silke "Alberich" Haller (Christine Urspruch) ihrem überheblichen Chef in diesem Metier mal etwas voraus hat und ihn sogar dazu verdonnert, den Garten der Ermordeten persönlich umzugraben.

Leider entscheiden sich die Filmemacherinnen für einen anderen Weg – und so verliert der 1265. Tatort mit zunehmender Spieldauer die Bodenhaftung. Er erzählt stattdessen eine krude Story um den Kampf zwischen Geheimdiensten und Terrororganisationen: Das bietet zwar die Gelegenheit, eine interessante historische Brücke ins Jahr 1990 zu schlagen und das für die Deutsche Einheit wichtige Treffen von Außenminister Hans-Dietrich Genscher und seinem sowjetischen Amtskollegen Eduard Schewardnadse zu thematisieren, wirkt für den Münster-Tatort aber mindestens zwei Nummern zu groß. Und wird angesichts von Eier-Experimenten in der Mikrowelle, einem Eiswagen mit Tötungsfunktion oder unbemerkten Paketbomben im Präsidium ohnehin der Lächerlichkeit preisgegeben.

Immerhin: Der 80er-Jahre-Soundtrack mit Depeche Mode oder Axel F. macht Laune und die damaligen Proteste gegen die Wiedervereinigung bieten eine gute Gelegenheit, den ewigen Rebellen "Vaddern" Thiel mal fernab von ausgelutschten Kiffergags gewinnbringend in die Handlung zu integrieren. Unter Gärtnern wirkt aber leider auch an anderen Stellen wie von gestern: Die ermüdenden Mann-Frau-Debatten zwischen Boerne und seine Assistentin, die trotz der in vielen Medien geführten Scheindiskussion um ihren Spitznamen weiterhin Alberich genannt wird, bewegen sich auf Mario-Barth-Niveau. Im Jahr 2024, in dem längst genderfluide Ermittler im Polizeiruf 110 auf Täterfang gehen, sind sie aus der Zeit gefallen und adressieren ein Publikum, das Geschlechterdebatten am Stammtisch führt oder in der BILD-Zeitung darüber liest.

In Zeiten des Angriffskriegs von Diktator Wladimir Putin auf die Ukraine mit einer fünfstelligen Zahl unschuldiger Toter hätte der erfolgreichsten öffentlich-rechtlichen Krimireihe auch klare Russlandkritik gut zu Gesicht gestanden – stattdessen verlieren sich Boerne und Alberich in Belanglosigkeiten, die dem Zeitgeist nicht im Geringsten gerecht werden. Im Münster-Tatort ist die heile Welt eben oberste Bürgerpflicht – da sind tote Eichhörnchen auf der Trage und zermatschtes Gehirn in der Petrischale offenbar schon das Schlimmste, was man der Zielgruppe auf der Fernsehcouch zumuten mag.


BOERNE:
Alberich, was fällt Ihnen zu Russland ein?

ALBERICH:
Matrjoschka, Balalaika, Väterchen Frost, Fabergé, Tolstoj, Wodka – wollen Sie auf etwas Bestimmtes hinaus?


Bewertung: 5/10



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