Quartett in Leipzig

Folge: 458 | 26. November 2000 | Sender: MDR/WDR | Regie: Kaspar Heidelbach
Bild: MDR
So war der Tatort:


Ost-westlich. 

Zum ersten Mal in der Tatort-Geschichte kommt es nämlich zu einer Zusammenarbeit eines Ermittlerteams aus den alten Bundesländern mit einem aus den neuen: Federführend bei der Produktion dieser bemerkenswerten Tatort-Folge ist der MDR, der WDR tritt als co-produzierender Sender auf. 

Wie gewohnt für Köln im Einsatz: Die Hauptkommissare Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär), die eine Leiche in einem von Leipzig in die Domstadt gefahrenen Intercity der Deutschen Bahn auffinden. Durch diesen Leichenfund wird gekonnt die Verbindung nach Sachsen geknüpft, wo die ostdeutschen Kollegen Bruno Ehrlicher (Peter Sodann) und Kain (Bernd Michael Lade) ebenfalls einen Mord aufklären müssen: Beide Opfer waren Doktoren und zugleich "Alte Herren" in der studentischen Burschenschaft "Votania". 

Über ein amüsantes Handy-Telefonat, bei dem sich sowohl Ehrlicher als auch Ballauf dem Gesprächspartner zunächst nicht zu erkennen geben, schließt man sich kurz und geht nach anfänglichem Misstrauen als Quartett in Leipzig auf Spurensuche. 

Die Begegnung der vier so unterschiedlichen Ermittlertypen fällt natürlich nicht ganz vorurteilsfrei aus: Während Ehrlicher die einleitenden Telefonate scherzhaft mit "Alaaf!" beendet und den Kölner Kollegen Ballauf zu Unrecht als Karnevalisten bezeichnet (vgl. die Folge Restrisiko, in der sich Ballauf als Karnevalsmuffel outet), kann sich Schenk ("Da gibt's bestimmt kein Kölsch!") vor der inoffiziellen Dienstreise von Berührungsängsten nicht freisprechen.


BALLAUF:
Du hast in der Zwischenzeit schon mitgekriegt, dass die da drüben jetzt auch zu uns gehören, oder nicht?

SCHENK:
Deswegen muss man doch nicht gleich da hinfahren!


Gleich drei Autoren schrieben für Quartett in Leipzig am Drehbuch mit (was normalerweise eher ein schlechtes Zeichen ist): Wolfgang Panzer (Direkt ins Herz), Fred Breinersdorfer (Aus der Traum) und Hans-Werner Honert (Ein Fall für Ehrlicher) gelingt das Kunststück, die ost-westdeutsche Völkerverständigung humorvoll auszuarbeiten, ohne dabei die Kriminalgeschichte oder einen der anderen Handlungsstränge zu vernachlässigen. 

Die Traditionen und Rituale innerhalb der strengen, wenn auch etwas angestaubt wirkenden Leipziger Burschenschaft, die besorgniserregende ärztliche Diagnose, die Ehrlicher bald zu einem Krankenhausaufenthalt zwingt, aber auch Ballaufs Undercover-Einsatz als vermeintlicher Angehöriger des Verstorbenen: Regisseur Kaspar Heidelbach (Klassentreffen) hält die Spannung auf konstant hohem Niveau. 

Im 458. Tatort kann er sich zudem auf einen mit zahlreichen bekannten Gesichtern gespickten Cast verlassen: Hier glänzt vor allem Vadim Glowna (Wie einst Lilly) als Professor Kleist, der nicht nur Ehrlichers Arzt, sondern zugleich Oberhaupt der Burschenschaft ist. Nie kann sich der Zuschauer sicher sein, welche Absichten der Mediziner wirklich verfolgt. 

Der hochspannende Showdown im OP markiert dabei den tollen Höhepunkt eines starken Krimis ohne nennenswerte Längen, der als – für damalige Verhältnisse durchaus außergewöhnliches – Experiment mit vier gemeinsam ermittelnden Kommissaren auf ganzer Linie überzeugt.

Bewertung: 9/10

Direkt ins Herz

Folge: 449 | 6. August 2000 | Sender: WDR | Regie: Wolfgang Panzner
Bild: WDR/Guido Engels
So war der Tatort:

In Feierlaune.

Denn wirklich groß scheint der Abschiedsschmerz nicht zu sein, als Assistentin Lissy Pütz (Anna Loos) zu Beginn ihres zwölften Einsatzes für die Kölner Kripo feierlich ankündigt, dem Präsidium bald den Rücken kehren zu wollen: Pütz hat ihre Abschiedsparty, die man sich später nicht einmal vom aufgebrachten Polizeipräsidenten (Olaf Kreutzenbeck, Eine Leiche zu viel) versauen lässt, schon organisiert und will sich zukünftig auf ihre Gesangskarriere konzentrieren. Das entbehrt nicht einer gewissen Ironie – schließlich läuft Direkt ins Herz zu einem Zeitpunkt, in dem auch die Zweitkarriere der Schauspielerin und späteren Silly-Sängerin Anna Loos gerade an Fahrt aufnimmt. 

Diese augenzwinkernde Anspielung bleibt nicht die einzige: Regisseur und Drehbuchautor Wolfgang Panzer (Licht und Schatten) scheint sich einen Spaß daraus zu machen, humorvoll angehauchte Querverweise in seiner Kreuzung aus klassischem Whodunit, actionreichem Sniper-Thriller und tragischer Cop-Romanze einzubauen. 

Schon als Hauptkommissar Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und die attraktive Modeverkäuferin Franka Hecker (Anja Kling, Dunkle Zeit) zum ersten Mal allein Zeit miteinander verbringen und vor Heckers Laden nachstellen, aus welcher Richtung ihr Ehemann Charly (Bernd Tauber) von einem Scharfschützen heimtückisch erschossen wurde, entdeckt Ballauf durchs Fernglas das Hochhaus, auf dem der Sniper stand – es befindet sich genau hinter dem Sendergebäude, an dem groß ein WDR-Logo prangt. 

Auch einen Gastauftritt von Ballaufs pensioniertem Düsseldorfer Ex-Kollegen Bernd Flemming (Martin Lüttge), der sich kurz in die Ermittlungen einklinkt, und einen verbalen Gruß an die s(w)ingenden Hamburger Tatort-Kommissare Paul Stoever (Manfred Krug) und Peter Brockmöller (Charles Brauer) hat der Filmemacher in seinen fünften und zugleich letzten Tatort eingebaut.


PÜTZ:
Auf jeden Fall werd' ich in dem Loch hier nicht versauern.

SCHENK:
Wir könnten doch als Background-Chor bei ihr einsteigen.

BALLAUF:
Singende Kommissare?!

SCHENK:
Ja, Max, das gibt's!


Wenngleich Flemmings sympathisches Gastspiel samt Video-Präsentation etwas konstruiert anmutet, zählt es noch zu den besseren Sequenzen im 449. Tatort, in dem ansonsten vieles gut gemeint, aber nur wenig gut gemacht ist. 

Denn trotz einiger rasanter, aber oft unbeholfen inszenierter Actionszenen und viel Emotionen kann der doppeldeutig betitelte Krimi zum Beispiel mit dem thematisch ähnlichen Münchner Tatort Im freien Fall, der wenige Monate später auf Sendung geht, bei weitem nicht mithalten: Ist es im Krimidrama aus Bayern Hauptkommissar Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl), der sich schwer in die Künstlerin Anne Mars (Jeanette Hain) verliebt, trifft Amors Pfeil hier Ballauf Direkt ins Herz (und das nicht zum letzten Mal, vgl. Altes Eisen). 

So wähnt man sich in der ersten Dreiviertelstunde, in der der ewige Junggeselle und die frisch verwitwete Hecker intensiv auf Tuchfühlung gehen, oft eher in einer Rosamunde-Pilcher-Schmonzette als in einem Sonntagskrimi: Die dünnen Dialoge klingen wie aus dem Baukasten für kitschige Romanzen und werden nur selten durch markante One-Liner aufgebrochen (Hecker: "Diese Fischerweste ist ehrlich gesagt 'n bisschen affig."). Klaus J. Behrendt, der schauspielerisch alles ihm Mögliche in die Waagschale wirft, mimt abwechselnd einen schüchternen Schuljungen, der verklemmt nach getrennten Schlafzimmern fragt, und dann wieder den routinierten Casanova, der bei Hecker zum Schuss kommen will, ohne die Dienstwaffe zücken zu müssen. 

Sein Kollege Freddy Schenk (Dietmar Bär), der gerade in der ersten halbe Stunde weniger Kamerazeit eingeräumt bekommt, hat's natürlich gleich geahnt, weil die Fischerweste irgendwann im Schrank bleibt – das wirkt alles reichlich bemüht und dick aufgetragen, generiert aber hinten raus zumindest Spannung, weil der Weg zur Auflösung der Sniper-Morde nur über Hecker und ihre undurchsichtige Kollegin Elisabeth Leuschner (Emanuela von Frankenberg, Bierkrieg) führen kann.

Beim großen Showdown, in dem die Kommissare alte Bundeswehr-Verstrickungen und ein im Untergrund agierendes Verbrecher-Netzwerk auffliegen lassen, werden dann sogar Erinnerungen an die 007-Reihe wach: Die Bösewichter wirken wie Abziehbilder echter Gauner, während James "Ballauf" Bond sich direkt in die Höhle der Löwen begibt und sich und das Bond-Girl mit einer Tackernadel aus einer misslichen Lage befreit. 

Dass die Liebe der beiden die temporeich inszenierte, zum Schluss aber fast in die unfreiwillige Komik abdriftende Tatort-Folge nicht überdauert, dürfte niemanden ernsthaft überraschen.

Bewertung: 4/10

Viktualienmarkt

Folge: 438 | 12. März 2000 | Sender: BR | Regie: Berthold Mittermayr
Bild: BR/Bavaria Film GmbH/klick/Rolf von der Heydt
So war der Tatort:

Lebensmittelfixiert.

Und das nicht nur bei den Außeneinsätzen der Ermittler, sondern auch im Münchner Polizeipräsidium: Weil sich Hauptkommissar Ivo Batic (Miroslav Nemec) in Viktualienmarkt auf die Aufnahmeprüfung des Gourmetclubs "Die Topfgucker" vorbereitet, lässt er sich bei der einleitenden Autofahrt zum Fundort eines Skeletts von seinem Kollegen Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) mal eben Rezepte abfragen und versucht sich später in der bestreikten Präsidiumskantine an der Zubereitung eines Seeteufels. 

Den staunenden Oberkommissar Carlo Menzinger (Michael Fitz), der seine Bockwürstchen stilecht in der Mikrowelle gart, beschenkt er hingegen mit teurem Sonnenblumenhonig, den er auf dem titelgebenden Viktualienmarkt erstanden hat. Und an eben diesen bei Touristen gefragten Ort verschlägt es die Kommissare bei ihrem 25. Einsatz immer wieder: Hier laufen zwischen Gemüsekästen, Kartoffelsäcken und Obstkartons die Handlungsfäden zusammen. Im geschichtsträchtigen Herzen der bayrischen Landeshauptstadt schlägt auch das Herz der Geschichte – sie ist eine ähnlich liebevolle München-Hommage wie der Vorvorgänger Das Glockenbachgeheimnis, der im Glockenbachviertel spielte. 

Regisseur Berthold Mittermayr und Drehbuchautor Ingmar Gregorzewski, deren Karrieren kurz nach der TV-Premiere des Krimis zu Ende gehen, arrangieren eine mit viel Lokalkolorit durchsetzte Variation des Teenie-Slashers Ich weiß, was du letzten Sommer getan hast – wer nach der ebenso nebulösen wie stimmungsvollen Rückblende zum Auftakt allerdings noch Miträtseln möchte, was sich beim Todesfall im August 1978 wirklich zugetragen hat, sollte das Lesen der spoilernden ARD-Inhaltsangabe tunlichst vermeiden. 

Wie lang die Geschehnisse zurückliegen, bekommt Menzinger bei der Rekonstruktion eines Fotos zu spüren, das im verwitterten Personalausweis der in der Nähe eines Kieswerks gefundenen Leiche klebt, von der lediglich das einleitend genannte Skelett übrig geblieben ist.


MENZINGER:
Er ist mindestens 20 Jahre da gelegen, wo wir ihn gefunden haben. Was hat man denn da für Haare getragen?

KOLLEGIN:
Lange Haare waren schon Ende der 70er out.

MENZINGER (streicht sich seine langen Haare hinters Ohr)
:
Ach so?


Humorvolle Zwischentöne wie diese und pfiffiger Wortwitz ("Darauf verwertbare Spuren zu finden, das ist echte Knochenarbeit.") ziehen sich wie ein roter Faden durch den 438. Tatort, der ansonsten als unterhaltsame Kreuzung aus klassischem Krimi, heimlicher Dreiecksbeziehung und emotional aufgeladenem Vater-Sohn-Drama daherkommt.

Antriebsfeder der erst am Ende etwas weichgespülten Handlung ist spätestens nach einer Stippvisite bei dem um seine Kirchenkunst beraubten Pfarrer Koschel (Gerd Fitz, Der oide Depp) nicht mehr die Frage, wer den Toten einst unter die Erde gebracht hat, sondern vielmehr die, ob es Batic und Leitmayr gelingt, die gemeinsamen Täter zu überführen. 

Aber auch die Frage, wie sich das über zwanzig Jahre zurückliegende Ereignis auf das Verhältnis der labilen Luise Schaller (stark: Carin C. Tietze, Borowski und die Frau am Fenster) zu ihrem alkoholkranken Mann Christian (wunderbar abgewrackt: Wilfried Labmeier, Das Glockenbachgeheimnis), ihrem verbitterten Sohn Andreas (solide: Florian Fischer, Schmuggler) und ihrer wettsüchtigen Schwester Bernadette König (überzeugend: Sissy Höfferer, Bienzle und der Mord im Park) auswirkt, die Schleichwerbung für Oddset und Toto Lotto machen darf. 

Der Zuschauer ist den Kommissaren dabei meist einen Schritt voraus: Vieles findet hinter dem Rücken von Batic und Leitmayr statt – dank des im Tatort fast obligatorischen zweiten Todesfalls darf am Ende aber doch noch ein Täter gesucht und eine Auflösung gefunden werden. Ohnehin fällt Viktualienmarkt trotz der historisch eingefärbten Geschichte als Tatort unter dem Strich klassischer aus, als man anfangs meinen sollte: Eine Leiche zum Auftakt, die zweite in der Mitte, eine Verfolgungsjagd am Ende – am interessantesten ist das, was dazwischen passiert. 

Über das Marktmilieu haben die Filmemacher allerdings nicht viel Neues zu erzählen: Als Standbetreiber muss man vor allem früh aufstehen, hohe Preise verlangen und seinen begehrten Verkaufsplatz gegen gierige Neider wie den Großhändler Hans Riedl (Erich Hallhuber, Schicki-Micki) verteidigen – und doch folgen wir den Kommissaren immer wieder gern an den Ort, an dem das Drama seinen Lauf nimmt und die Geschichte auf ihr trauriges Ende zusteuert. 

Ob Batic am Ende in den Gourmetclub unter Leitung des Pathologen Prof. Kratzer (Michael Degen, Satisfaktion) aufgenommen wird, bleibt allerdings offen – sieben Jahre später darf er sich im etwas stärkeren Tatort Der Finger dann zumindest mal als Aushilfskoch versuchen.

Bewertung: 7/10

Bittere Mandeln

Folge: 437 | 5. März 2000 | Sender: WDR | Regie: Kaspar Heidelbach
Bild: WDR/Bernd Spauke
So war der Tatort:

Von Beginn an am Ende. 

Und das ist durchaus wörtlich zu verstehen, denn Bittere Mandeln startet und endet nach 90 Minuten exakt an dem Ort, an dem Menschen für gewöhnlich ihre letzte Ruhestätte finden: auf dem Friedhof. Das ist kein Zufall. In der 437. Tatort-Folge ist der Tod allgegenwärtig. 

Und das nicht nur, weil bereits nach wenigen Minuten die obligatorische Auftaktleiche begutachtet wird: Der vermögende, aber gleichzeitig todkranke Gerd Weisbach liegt tot in seiner Villa und verströmt dabei den Duft der titelgebenden Bittermandel. Weisbach starb nämlich – wie Rechtsmediziner Dr. Roth (Joe Bausch) schon am Tatort richtig vermutet – an einer Vergiftung durch Zyankali. Sein Ableben ruft die Kölner Hauptkommissare Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) auf den Plan und schickt sie einmal mehr auf ein gesellschaftliches Minenfeld: In diesem Fall ist es die aktive Sterbehilfe. 

Solche kontrovers diskutierten Themen sind typisch für die Folgen aus der Domstadt rund um die Jahrtausendwende (man denke nur an die Debatte um Schwangerschaftsabbrüche in Licht und Schatten). Und auch beim elften gemeinsamen Einsatz der beliebten Ermittler setzt Drehbuchautor Karl-Heinz Käfer (Auskreuzung) auf dieses bewährte Konzept. Dabei muss man den Filmemachern um Regisseur Kaspar Heidelbach, der auch die ersten beiden Ballauf-und-Schenk-Folgen Willkommen in Köln und Bombenstimmung inszenierte, zugute halten, dass sie angesichts des Themas nicht der Versuchung unterliegen, den Film zum emotionalen Rührstück verkommen zu lassen. Heidelbach inszeniert vielmehr einen klassischen Whodunit, der neben der Suizidtheorie gleich eine ganze Reihe von Verdächtigen zu bieten hat. 

Da ist Weisbachs jüngere Geliebte Marion Grimm (Jana Hora), die auf ihren neu gewonnen Luxus in Form einer geräumigen Wohnung und eines eigenen Fitnessstudios – finanziert von Weisbach – nicht mehr verzichten will und sich längst mit Bodybuilder Ralf Simon (Norbert Heisterkamp, Schwindelfrei) vergnügt. Da ist der ehemalige Eishockeyprofi Axel Nehls (Markus Knüfken, Und immer gewinnt die Nacht), der nach einem von Weisbach verschuldeten Unfall vom Halswirbel abwärts gelähmt ist und die Spiele der Kölner Haie nur noch von der Tribüne aus verfolgen kann. Da ist dessen ebenso verzweifelte wie rachsüchtige Ehefrau Dagmar (Susanna Simon, Die Möwe). Und da ist Pfleger Martin Lotz (Ralf Bauer, Warum), dessen sterbewillige Patienten in bemerkenswerter Häufigkeit das Zeitliche Segnen.

Viel zu tun also für Ballauf und Schenk, die sich routiniert durch die Wann-haben-Sie-den-Toten-zuletzt-gesehen-Standardmomente arbeiten, beim Feierabendbier an der Wurstbude betroffen die Lage bewerten und dabei angelesene Fakten zum Besten geben. Das ist nicht neu, das kennen wir auch im Jahr 2000 schon. Und ja, das funktioniert auch Jahrzehnte später noch. Die Filmemacher setzen auf Bewährtes und gehen einer intensiveren Auseinandersetzung mit dem Thema Sterbehilfe aus dem Weg. 

Stattdessen verwenden sie viel Zeit auf die Charakterzeichnung der beiden Kommissare: Während Autofreund Schenk in dieser Folge gleich zwei Mal entsetzt die Unfallschäden an seinem heißgeliebten Dienstwagen, einem 1977er Chevrolet Caprice, begutachten muss, darf Junggeselle Ballauf sein Image als Frauenschwarm aufpolieren und mit der frisch verwitweten Evelyn Weisbach (Renée Soutendijk, Rache-Engel) flirten. Als Femme fatale wirft sie sich ihm ungeniert an den Hals. 

Zu den Nebenfiguren und ihren Geschichten finden wir allerdings kaum Zugang, sie wirken – um im Bild zu bleiben – erstaunlich leblos. Daran ändert leider auch die musikalische Untermalung durch David Bowie und Edith Piaf wenig. Die seltenen Versuche, echte Betroffenheit zu erzeugen, wirken unbeholfen, etwa wenn Assistentin Lissy Pütz (Anna Loos) im Präsidium das Video eines Mannes kommentiert, der sich vor laufender Kamera mit Zyankali vergiftet.


PÜTZ:
Also ich weiß nicht, ob ich Zyankali nehmen würde.
Ich glaub' ich würde aus'm Fenster springen.

BALLAUF:
Ist ja gut, Lissy.

PÜTZ:
Keine Angst, ich wohn' parterre.


Apropos Lissy: Die muss sich diesmal nicht nur peinlich-anzügliche Bemerkungen von Staatsanwalt von Prinz (Christian Tasche) anhören ("Für eine so nette Kollegin mache ich mich doch gerne frei!"), sondern bekommt zum Geburtstag versehentlich einen Grabschmuck geschenkt. Diese Gags zünden nicht wirklich, sie wirken eher fehl am Platz und nehmen dem Thema Sterbehilfe die Seriosität, die es verdient gehabt hätte. 

Doch da ist noch der große Lichtblick und heimliche Star des Films: Die unvergessene Ilse Werner ist in Bittere Mandeln als Freddy Schenks Oma Gertrud zum ersten Mal im Tatort, gleichzeitig aber auch in ihrer letzten Fernsehrolle zu sehen und sorgt mit einer herrlich selbstironischen Darbietung als Lockvogel für die beste(n) Szene(n) des Films. Man hätte ihr mehr Kamerazeit gegönnt.

Bewertung: 5/10