Zartbitterschokolade

Folge: 518 | 15. Dezember 2002 | Sender: rbb | Regie: Erhard Riedlsperger
Bild: MDR/SFB
So war der Tatort:

Bitter – für und wegen Ritter.

Denn der smarte Berliner Hauptkommissar Till Ritter (Dominic Raacke) muss beim sechsten Einsatz an der Seite seines Kollegen Felix Stark (Boris Aljinovic) viel verkraften: Mal kommt dem Möchtegern-James-Bond ein von der Polizei konfiszierter, vorübergehend ausgeliehener Aston Martin DB5 abhanden, dann streckt man ihn mit einer Holzlatte nieder. Und schließlich sieht er sich auch noch dem Vorwurf der sexuellen Nötigung ausgesetzt. Obwohl er in diesem winterlichen Krimi viel Schokolade probieren darf, ist das Leben eben kein Zuckerschlecken – und bei seinem strengen Vorgesetzten Wiegand (Veit Stübner) steht Ritter auch noch auf der Abschussliste.

Die Berliner Vorweihnachtszeit bietet insgesamt wenig Besinnliches. Das gilt auch für den Auftakt, dessen Postkartenkulisse ebenfalls an 007 erinnert: Der angesehene Psychologe und Gerichtsgutachter Prof. Erwin Probst stürzt vom Grunewaldturm, nachdem er dort eine (in ihrer Form doch recht fragwürdige) Konfrontationstherapie gegen Höhenangst durchgeführt hatte, wie der emsige Assistent Lutz Weber (Ernst-Georg Schwill) berichtet. Ein Suizid kann ausgeschlossen werden. Zudem stellt sich heraus, dass Probst von seinem einstigen Klienten, dem gewalttätigen und vorbestraften Walter Meisner (August Schmölzer, Jagdzeit) bedroht wurde.

Über Meisner und dessen Selbsthilfeverein für Gutachtengeschädigte sowie ein am Tatort gesichtetes Auto führt die Spur zum Schokoladenfabrikanten Thomas Hofmann-Brixel (Rolf Becker, Ein paar Worte nach Mitternacht). Er wurde von seinen Stieftöchtern Ruth (Mavie Hörbiger, Die letzte Wiesn) und Alice (Magdalena Ackermann) wegen sexuellen Missbrauchs angezeigt. Zwar wurde die Anzeige wieder zurückgezogen, doch schwebt das vom ermordeten Probst erstellte Gutachten noch immer wie ein Damoklesschwert über der Familie. Die zuständige Staatsanwältin Dr. Ellinghaus (Wieslawa Wesolowska) ist von der Schuld Hofmann-Brixels überzeugt und ermittelt weiter – sehr zum Missfallen von dessen Frau Margot (Michaela Rosen, Das Böse).

Drehbuchautor Gerhard J. Rekel (Edel sei der Mensch und gesund) entwirft in diesem Tatort ein Szenario, das zum einen die Grundlage für einen klassischen Kriminalfall bietet, zum anderen aber auch das Potenzial für ein emotionales Familiendrama birgt. Doch der Film funktioniert weder als das eine noch als das andere. Regisseur Erhard Riedlsperger (Die Liebe und ihr Preis) – genau wie Drehbuchautor Rekel aus Österreich stammend – versammelt bei seinem Tatort-Debüt mit Mavie Hörbiger, Michaela Rosen und August Schmölzer zwar mehrere namhafte Mimen aus seinem Heimatland um sich. Doch die biedere Inszenierung dieses über weite Strecken vorhersehbaren und in der Tonalität häufig wechselnden Whodunits, dessen Spannung nahezu durchgängig auf Sparflamme köchelt, will auch das nicht recht aufwerten. Überraschungsmomente lassen im 518. Tatort ebenso auf sich warten wie das Christkind.

Zudem lassen uns die Geschehnisse rund um die Familie Hofmann und ihre Schokoladenfabrik unberührt. Das liegt auch daran, dass die Figuren merkwürdig überzeichnet wirken; wir finden keinen Zugang zu ihnen. Das gilt allen voran für die infantil-aufreizende Ruth Hofmann, die dem als Frauenheld bekannten Ritter als misslungener Marlene-Dietrich-Verschnitt mit großen Kulleraugen den Kopf verdreht und ihm ständig Schoko-Leckereien in den Mund schiebt. Dabei säuselt sie eigentümlich nichtssagende Sätze.

Zartbitterschokolade ist aber noch in anderer Hinsicht ein Ärgernis: Dem Krimi, dessen Geschichte den Tiefgang vermissen lässt und der sich unbeholfen mit dem Thema sexueller Missbrauch beschäftigt, fehlt es auch sprachlich an der nötigen Sensibilität dafür. Ritter und Stark tappen bei der ersten Begegnung mit der weiblichen Geschäftsführung der Schoko-Fabrik voll in die Sexismus-Falle ("Ich wette, Sie haben 'nen Kaffee für uns. Blond. Zwei Stück Zucker.") und manche Dialoge wirken selbst für das Jahr 2002 komplett aus der Zeit gefallen.


STARK:
Die Schokotorte ist jung, hübsch, reich. Irgendein medizinisches Problem, von dem ich etwas wissen sollte? Oder ist einfach dein Harem voll?


Gerade Stark, der einmal mehr den betont fürsorglichen Papi gibt und für seinen Kleinen sogar einen Schlitten zu Weihnachten besorgt, wirkt des Öfteren scheinheilig. Und durch den Umstand, dass es am Ende Stark ist, der als Bote und Fürsprecher der Familie Hofmann bei der Staatsanwältin vorstellig wird und um die Einstellung des Verfahrens bittet, sendet der Film eine zumindest fragwürdige Botschaft. Na dann, frohe Weihnachten.

Wenigstens wird es beim Showdown noch mal richtig dramatisch, wenngleich dem großen Finale weniger Overacting gut getan hätte. Und das über die Maßen kitschige Finale – einsetzender (Kunst-)Schneefall und lieblos in Szene gesetztes Überraschungsgeschenk für den mitgenommen Ritter inklusive – rundet diesen schwachen Berliner Tatort passend ab.

Bewertung: 3/10

Fakten, Fakten...

Folge: 517 | 1. Dezember 2002 | Sender: WDR | Regie: Susanne Zanke
Bild: WDR/Michael Böhme
So war der Tatort:

Hieb- und stichfest. 

Beim zweiten gemeinsamen Einsatz von Professor Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers) und Hauptkommissar Frank Thiel (Axel Prahl) geht es nämlich – der Krimititel verrät es bereits – in erster Linie um dreierlei: Fakten, Fakten, und nochmal Fakten. 

Für die ist beim Tatort aus Münster in erster Linie Forensiker Boerne zuständig, der dem genervten Kollegen und Instinktpolizisten nicht nur in aller Ausführlichkeit darlegt, warum sein alter Studienkollege Prof. Bernhard Dreiden (Oliver Stritzel, Klassentreffen) trotz zahlreicher Indizien und Verdachtsmomente nicht der gesuchte Mörder sein kann und darf, sondern auch seine bedauernswerte Assistentin Silke "Alberich" Haller (Christine Urspruch) vor der versammelten Ermittlermannschaft zu Demonstrationszwecken in den Schwitzkasten nimmt. 

Die kontroverse Diskussion der verschiedenen Tathergangstheorien – allen voran eine köstliche "Bratensaft"-Sequenz im Büro der verschwundenen Juliane Kraft (Vasiliki Kanakis-Roussi, Bienzle und der steinerne Gast) – bildet in Fakten, Fakten... die Grundlage für die bereits im ersten Münster-Tatort Der dunkle Fleck erfolgreich etablierten Streitigkeiten und Frotzeleien zwischen Hauptkommissar und Gerichtsmediziner, in die sich auch Staatsanwältin Wilhelmine Klemm (Mechthild Grossmann) fleißig einmischt. 

Die ganz großen Lacher bleiben dabei aber aus – in Erinnerung bleibt allenfalls die unverhoffte Begegnung in der Waschküche und Boernes kurzer Dialog mit der diesmal deutlich enger in die Ermittlungen eingebundenen Assistentin Nadeshda Krusenstern (Friederike Kempter).


BOERNE:
Das Studium der Weiber ist schwer, dideldampampam... Das stammt aus der Operette...

KRUSENSTERN: 
Ich hasse Operetten.

BOERNE:
Ja. Zu Recht.


Fakten, Fakten ist ein nicht ganz so satirischer Tatort aus Westfalen, funktioniert aber auch als Sonntagskrimi der klassischeren Sorte: Vor allem die mühsamen Verhöre des verhinderten Juristen, Hartz IV-Empfängers und Hauptverdächtigen Felix Kraft (Michael Schiller, Trübe Wasser), der sich immer wieder clever aus Thiels bohrenden Fragen herauswindet, animieren das Publikum erfolgreich zum Miträtseln. 

Und welche Rolle spielt die garstige Großmutter Kraft (stark: Gudrun Ritter, Todesbilder), die ihren bettlägerigen Mann vor dem ermittelnden Hauptkommissar versteckt hält und irgendetwas zu verbergen scheint? Fakten, Fakten und zugleich Fragen, Fragen – die Antworten und vor allem die Auflösung fallen aber eher harmlos aus. 

So enttäuscht der 517. Tatort zwar keineswegs, zählt aber beim Blick auf das überragende Debüt Der dunkle Fleck und spätere Hochkaräter wie Der doppelte Lott zu den eher durchschnittlichen Tatort-Folgen aus der Studentenstadt.

Bewertung: 6/10

Rückspiel

Folge: 514 | 10. November 2002 | Sender: WDR | Regie: Kaspar Heidelbach
Bild: WDR/M. Böhme
So war der Tatort:

West-östlich. 

Zum zweiten Mal in der Geschichte des Krimireihe fahnden nämlich zwei Ermittlerpärchen unter der Regie von Kaspar Heidelbach (Willkommen in Köln) zusammen nach dem Mörder – und zwar dieselben wie beim ersten Mal, als die Leipziger Hauptkommissare Bruno Ehrlicher (Peter Sodann) und Kain (Bernd Michael Lade) in Quartett in Leipzig Seite an Seite mit den Kölner Kollegen Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) in der sächsischen Großstadt hinter die Kulissen einer nach strengen Regeln lebenden studentischen Bruderschaft blickten. 

Zwei Jahre nach dem ersten Beschnuppern gibt es das Rückspiel in Köln – und das beginnt eine ganze Ecke furioser als der vergleichsweise ruhige Auftakt des Vorgängers aus dem Jahr 2000. Ballauf und Schenk werden zu einer Schießerei an einer Tankstelle gerufen – und wenige Minuten später muss sich Kain, der nach einer ausgedehnten Beschattungsaktion über die Autobahn nach Köln fleißig im Kugelhagel mitgemischt hat, in Handschellen gegenüber Ballauf erklären. 

Das Wiedersehen der beiden Ermittler steht exemplarisch für die clevere Strategie, mit der Drehbuchautor Wolfgang Panzer (Sag nichts), der auch am Drehbuch zu Quartett in Leipzig mitschrieb, in Rückspiel verfährt: Er schickt die vier Kommissare nicht etwa als Gruppe auf Tätersuche, sondern splittet das Quartett in gemischte Doppel. Während Kain zumeist mit Ballauf unterwegs ist, ermittelt Ehrlicher, der erfahrenste der vier Kommissare, Seite an Seite mit dem Ur-Kölner Freddy Schenk.

Diese Aufteilung ist gewiss kein Zufall: Während Schenk im Gegensatz zu seinem zugezogenen Kollegen Ballauf aus vollster Überzeugung die rheinischen Sitten und Bräuche vorlebt und Ehrlicher humorvoll an die Kultur in der Domstadt heranführt, kontert Bilderbuch-"Ossi" Ehrlicher die hämischen Provokationen seines westdeutschen Kollegen routiniert mit viel Selbstironie. Den Gipfel dieser köstlichen Sticheleien bildet eine gemeinsame Trabi-Fahrt, die beim Zuschauer sofort Erinnerungen an die kultige DDR-Komödie Go Trabi Go wecken dürfte und im letzten Filmdrittel auf der Schwelle zum Klamauk gerade noch rechtzeitig kehrtmacht. In Sachen Humor setzen die Filmemacher im 514. Tatort also im Vergleich zu Quartett in Leipzig noch eine Schippe drauf, reduzieren die Geschichte aber diesmal effizient auf einen Kernstrang der Handlung.

Rückspiel ist damit deutlich sehenswerter als die späteren Nachfolger Kinderland und Ihr Kinderlein kommet, in denen Ballauf und Schenk 2012 gemeinsam mit den Leipziger Nachfolgern Keppler und Saalfeld auf Täterfang gehen. Auch die Nebendarsteller, die in Sachen Prominenz vom späteren Good Bye Lenin!-Star Kathrin Saß (Tod einer Heuschrecke) in der Rolle der unterkühlten Kunsthistorikerin Annette Baumann angeführt werden, agieren durch die Bank zu überzeugend. 

Damit ist Rückspiel ein würdiger Nachfolger von Quartett in Leipzig und wie schon der Vorgänger einer der stärksten Fälle der Leipziger Kommissare Ehrlicher und Kain und der Kölner Kommissare Ballauf und Schenk.

Bewertung: 9/10

1000 Tode

Folge: 513 | 3. November 2002 | Sender: SWR | Regie: Jobst Oetzmann
Bild: SWR
So war der Tatort: 

Lebensmüde. 

Doch es ist nicht etwa die frisch verwitwete Hauptkommissarin Klara Blum (Eva Mattes), die nach dem Tod ihres Ehemannes Martin (Michael Gwisdek, verstorben beim einzigen gemeinsamen Einsatz in Schlaraffenland) von dieser Welt in die nächste fliehen möchte: Es ist die junge Manuela Seelbruck (Alexandra Schalaudek), die schon in jungen Jahren mit dem Leben abgeschlossen hat und sich per Abschiedsbrief von ihren Eltern und einer ganz besonderen Clique verabschiedet: einer Selbstmord-Community im Internet. 

Schon Jahre bevor Facebook & Co. das Web 2.0 definieren und das Aufwachsen der Internet-Generation entscheidend mitprägen, mahnt der 513. Tatort, bei dem Blum erneut von Kommissar Bülent Isi (Ercan Özcelik) unterstützt wird, eine bedenkliche Entwicklung an. Anonymes Online-Verabreden zum Suizid – solche Fälle sorgten noch Jahre später für Aufsehen und sind bis heute kaum zu verhindern. 

Drehbuchautorin Dorothee Schön (Der Wald steht schwarz und schweiget) versteht es zwar, dem weniger webaffinen Zuschauer die technischen Tücken und Gefahren entsprechender Communities näherzubringen, vernachlässigt bei der Suche nach dem Entführer von Manuela aber die Charakterzeichnung der Opfer: Weder im Hinblick auf Manuela, die von dem eiskalten Psychopathen Leander (André Hennicke, Inflagranti) verschleppt wird, noch im Hinblick auf ihre nicht minder lebensmüde Freundin Nicole (Lilia Lehner, Heimspiel) klären sich die Beweggründe für die Selbstmordpläne. Das erschwert es dem Publikum erheblich, um das Leben der Mädchen zu bangen und auf Rettung in letzter Sekunde zu hoffen. 

Auch Leander, dem Blum und Isi dank des Verzichts auf das klassische Whodunit-Prinzip schon bald auf die Schliche kommen, wird charakterlich kaum skizziert. Bliebe also eigentlich genügend Zeit, sich beim ersten Einsatz nach dem Tod des geliebten Ehemannes näher mit der Kommissarin aus Konstanz auseinanderzusetzen – doch auch in 1000 Tode dringt der Zuschauer nie wirklich zur verschlossenen Blum durch, die in den oft aufgesetzt wirkenden Gesprächen mit Isi außer ein paar Lebensweisheiten wenig von ihrer Gefühlswelt preisgibt, durch. 

Wegweisend ist 1000 Tode aber dennoch: Nach dem kitschigen Auftakt-Tatort Schlaraffenland inszeniert Regisseur Jobst Oetzmann (Im freien Fall) erstmalig einen typischen Blum-Krimi. Schicke Seepanoramen, einfühlsame Gespräche unter Frauen und eine melancholische Grundstimmung, die erst beim Showdown fiebriger Spannung weichen muss: Dieses unaufgeregte Rezept, das nicht allen Zuschauern schmeckt, dominiert die Krimis aus Konstanz auch in den nächsten Jahren und macht den Bodensee-Tatort im Hinblick auf die Einschaltquoten durchaus zu einem Sorgenkind der Reihe. 

Auch der Humor, der beispielsweise die Münsteraner Kollegen Thiel und Boerne so beliebt macht, köchelt in Konstanz auf Sparflamme. Mit einer Ausnahme: Blum, die beim großen Finale todesmutig auf den offenen Bodensee hinausschwimmt, beweist vorm Sprung ins Wasser entwaffnenden Mut zur Selbstironie.


ISI:
Bist du verrückt geworden?

BLUM:
Warum? Weil ich nicht aussehe wie die Mädels von Baywatch?


Bewertung: 5/10

Der dunkle Fleck

Folge: 511 | 20. Oktober 2002 | Sender: WDR | Regie: Peter F. Bringmann
Bild: WDR/Michael Böhme
So war der Tatort:

Bis dato für nicht möglich gehalten. 

Ein innovatives Figurenkonzept mit einem halben Dutzend ausgefallener Charaktere, eine satirische Grundausrichtung und nicht zuletzt das Debüt der beschaulichen Studentenstadt Münster als neuer Krimi-Schauplatz: Der dunkle Fleck bringt 2002 gehörig frischen Wind in die zunehmend angestaubte Krimireihe und setzt den Startschuss für die atemberaubende Erfolgsgeschichte des neuen Ermittlerduos Frank Thiel (Axel Prahl) und Professor Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers).

Regisseur Peter F. Bringmann (Waidmanns Heil) und die Drehbuchautoren Stefan Cantz und Jan Hinter, die als Erfinder von Thiel und Boerne gelten und noch viele weitere Folgen der beiden konzipieren, punkten beim ersten Auftritt der beiden gänzlich verschiedenen Ermittler nicht nur mit einer gekonnten Einführung der neuen Personen, sondern auch mit köstlicher Liebe zum Detail: Thiels Handy beispielsweise spielt bei eingehenden Anrufen einen Hans Albers-Klingelton als Hommage an seine hanseatische Heimatstadt. 

Und Jan Josef Liefers stiehlt dank der köstlichen Überheblichkeit seines schlagfertigen Rechtsmediziners Karl-Friedrich Boerne schon bei seinem ersten Tatort-Auftritt fast jede Szene.


BOERNE:
Sie sind kein Freund von Nebensätzen, oder?


Axel Prahls norddeutscher Hauptkommissar Frank Thiel fällt als Figur deutlich unspektakulärer, aber herrlich unterkühlt aus, und bildet dadurch von Beginn an den perfekten Gegenpol zu seinem neuen Kollegen und Vermieter. 

Der dunkle Fleck lebt wie auch viele weitere Tatort-Folgen aus Münster von seinen messerscharfen Dialogen, der entwaffnenden Political Incorrectness (so erklärt Staatsanwältin Klemm dem Zuschauer, warum Boerne seine Assistentin Silke Haller "Alberich" nennt) und der perfekt getimten Situationskomik. 

Und nicht zuletzt weil die einfallsreiche Rahmenhandlung um eine jugendliche Moorleiche inklusive überraschendem Twist auf der Zielgeraden dem Zuschauer lange Rätsel aufgibt, verdient sich das Debüt des kongenialen Münsteraner Duos das Prädikat Meilenstein.

Bewertung: 10/10

Schatten

Folge: 506 | 28. Juli 2002 | Sender: Radio Bremen | Regie: Thorsten Näter
Bild: Radio Bremen/Jörg Landsberg
So war der Tatort:

Überfällig. 

Erst 2002 widmet sich die Krimireihe zum ersten Mal dem Thema Linksterrorismus, das Mitte der 70er Jahre die Bundesrepublik aufgewühlt hatte – etwas spät für ein Format, das sich doch stets bemüht, gesellschaftspolitische Entwicklungen abzubilden. 

Dafür legt Radio Bremen allerdings einen packenden Beitrag vor, der nicht nur die Zeitgeschichte mit einem aktuellen Kriminalfall verknüpft, sondern auch noch ungekünstelt das Sechstagerennen und James-Bond-Darsteller Roger Moore in die Handlung einzubauen vermag: Der Tod eines Journalisten, den Hauptkommissarin Inga Lürsen (Sabine Postel) gekannt hat, bildet den Aufhänger, mit dem Regisseur und Drehbuchautor Thorsten Näter schlüssig in die Biographie der Bremer Kriminalen einsteigt. 

"Furchtbar ist es zu töten, aber nicht andere nur, auch uns töten wir", zitiert sie aus Bertolt Brechts Die Maßnahme – einen Text also, den die Mitglieder der RAF in ihren Briefen aus der Haft an die Gesinnungsgenossen schrieben. Lürsens (Um-)Weg zur Polizei war bis zu dieser Folge nur angedeutet worden. Nun blendet die Handlung 26 Jahre zurück, als sie gemeinsam mit ihrer Gruppe von kritischen Linken nach dem Tod von Ulrike Meinhof am 9. Mai 1976 versucht hatte, die Auslieferung der Zeitung "Weserexpress" zu stoppen. 

Bei dieser Auseinandersetzung starb ein Wachmann: Sören Feldmann (Dominique Horwitz, Die fette Hoppe), der damals als vermeintlicher Mörder untergetaucht war, kehrt zurück nach Bremen und wird von einem SEK verhaftet. Lürsen wird wegen ihrer Verstrickungen von Staatsanwalt Karl-Heinz Worms (Peter Sattmann, Roomservice) suspendiert und versucht, ihre Unschuld zu beweisen. Dazu nimmt sie Kontakt zu ihren ehemaligen Mitstreitern auf (s. Bild), die inzwischen alle ein Leben führen, das sich weit von den Idealen und Zielen der bewegten 1970er Jahre entfernt hat. So auch das von Rechtsanwalt Lothar Köster (Burghart Klaußner, Aus der Traum), der ein ernüchterndes Fazit zieht:


KÖSTER:
Hat uns alle verändert. Guck dich doch um: Inga ist zu den Bullen gegangen, du selbst gibst eine Zeitung raus, die sich unglaublich liberal gibt. Armin spielt den Heiligen und verschickt Care-Pakete in die Dritte Welt. Ich verteidige irgendwelche reichen Arschlöcher. Berger stimmt im Parlament für alles, was wir früher verurteilt haben. Von Walter will ich gar nicht reden.


Eine handverlesene Auswahl von Akteuren bietet Radio Bremen auf, die in erkennbar guter Spiellaune ihre gemeinsame Vergangenheit Revue passieren lassen: Neben Rechtsanwalt Köster schwelgen auch Buchhändler Armin Wulf (Dieter Pfaff, Zabou), Verlegerin Renate Lahn (Angela Roy, Nachtsicht), Taxifahrer Walter Miske (Paul Faßnacht, Willkommen in Köln) und der Bundestagsabgeordnete Georg Berger (Karl Kranzkowski, Hexentanz) mit Lürsen in Erinnerungen, so dass selbst eine Szene, in der alle zusammen einen Joint teilen, nicht aufgesetzt wirkt. 

Thorsten Näter zeichnet im stimmigen, straffen Plot ein präzises Bild von gealterten Idealisten, die einen Platz in der Gesellschaft gefunden haben, den sie eigentlich gerade nicht angestrebt hatten. Den Alleingängen seiner Chefin geschuldet, bleibt ihr Kollege Nils Stedefreund (Oliver Mommsen) unsicher. Respektlos behandelt, persönlich und dienstlich ignoriert, zweifelt er an Lürsens ehemaligen Freunden und ist sich – auch was seine Vorgesetzte betrifft – nicht ganz sicher. Spannend, wie er dem drohenden Loyalitätskonflikt zu entkommen vermag. Mit seinem Verhalten bleibt er die einzige völlig makellos sympathische Figur der Handlung. 

15 Jahre nach dem Bremer Beitrag wird Filmemacher Dominik Graf im Stuttgarter Tatort Der rote Schatten den RAF-Terrorismus erneut zum Thema machen – im Gegensatz zum kontrovers diskutierten Film von 2017 verliert sich Schatten allerdings nicht in Verschwörungstheorien, sondern schafft es, die Entwicklungen und Dramen der handelnden Akteure (und auch des Täters) aufzuzeigen und Verständnis dafür zu entwickeln. 

Insofern ist es nur folgerichtig, dass die 506. Tatort-Folge später eine Nominierung für den Adolf-Grimme-Preis erhielt und bis heute zu den am meisten geschätzten Lürsen-Fällen zählt.

Bewertung: 9/10

Schlaraffenland

Folge: 499 | 28. April 2002 | Sender: SWR | Regie: Nina Grosse
Bild: HR/SWR/Hollenbach
So war der Tatort:

Unrund. 

Drehbuchautor Stefan Dähnert (Bluthochzeit) steht nämlich vor einem Dilemma: Der erste Einsatz von Hauptkommissarin Klara Blum (Eva Mattes), die nur wenige Wochen nach ihrer niedersächsischen Tatort-Kollegin Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler, erster Auftritt in Lastrumer Mischung) ihr Debüt im Ersten feiert, muss dramaturgisch nicht nur als Sonntagskrimi funktionieren, sondern die neue Konstanzer Ermittlerin zugleich ausführlich beim Publikum einführen. 

An sich kein aussichtsloses Unterfangen – doch Schlaraffenland ist kein gewöhnlicher Auftakt. Blum muss nicht etwa einleitend, sondern erst auf der Zielgeraden den Tod ihres Ehemannes verkraften: Ihr Ehemann Martin (Michael Gwisdek, Schiffe versenken) leitet das Polizeikommissariat in Konstanz und ist damit von Beginn an voll in die Ermittlungen involviert. 

Das führt dazu, dass die Jagd auf den geistig behinderten Hauptverdächtigen Wolfgang "Wolfi" Osburg (Alexander Beyer, Ein ganz normaler Fall) immer wieder auf Kosten der Spannung unterbrochen wird: Blum und Blum kitschen nicht nur ungeniert über den Polizeifunk, sondern bringen eine Verfolgungsjagd mit vier Polizeiautos schon mal mitten auf der Landstraße zum Stoppen, um ihre Gefühle füreinander zu klären. 

Dass bei der fieberhaften Suche nach dem Entflohenen, den die Filmemacher relativ plump in einen – Hallo, ich habe eine geistige Behinderung! – bauchfreien, rosafarbenen Pullover gesteckt hat, videospielähnliche Gute-Laune-Mucke dudelt, ist der spannenden Krimi-Atmosphäre ebenfalls nicht förderlich. Die erste Hälfte des Films, in dem Hans-Jörg Allgeier (Rendezvous) wie auch viele andere Kameramänner in den folgenden Bodensee-Folgen nette Wasserpanoramen bildsprechen lässt, misslingt der vierfachen Tatort-Regisseurin Nina Grosse (Der kalte Tod) damit völlig. 

Zumindest teilweise aufgefangen wird dies durch den glänzend aufgelegten Alexander Beyer, der nicht nur die hollywooderfahrene und frühere Fassbinder-Darstellerin Eva Mattes, sondern auch die Nebendarstellerriege um bekannte TV-Gesichter wie Martin Feifel (Das namenlose Mädchen) und Ercan Özcelik (1000 Tode) nach allen Regeln der Kunst an die Wand spielt. 

Auch die Gesangseinlage von Annika "Beckchen" Beck (Justine Hauer), die hemmungslos den Madonna-Karaoketitel Like A Virgin schmettert, zählt zu den unfreiwilligen Höhepunkten im 499. Tatort, der erst nach einer guten Stunde in Fahrt kommt. Dann gibt's allerdings große Gefühle: Sie ist eben eine Ermittlerin mit Herz, die Klara. Und mit Prinzipien: Meckert lautstark über die Metallic-Lackierung ihres neuen Mercedes, outet sich in einem Nebensatz als Haribo-Naschkatze und snackt am liebsten an der AVIA-Tankstelle – aber für das Product Placement und das unvorteilhafte Sommerkleid, das sie von Minute 1 bis 90 tragen muss, kann sie ja nichts.

Bewertung: 4/10

Oskar

Folge: 498 | 21. April 2002 | Sender: HR | Regie: Nikolaus Stein von Kamienski
Bild: HR/Claus Setzer
So war der Tatort:

Noch auf der Suche – nach einer neuen Linie und einem stimmigen Rhythmus. 

Exemplarisch für die permanenten Tempowechsel, die Nikolaus Stein von Kamienski (Manila) bei Oskar an den Tag legt, steht bereits die ausführliche Einleitung, in der der Regisseur und Drehbuchautor die neuen Frankfurter Ermittler Fritz Dellwo (Jörg Schüttauf) und Charlotte Sänger (Andrea Sawatzki), die das erste Mal  für den HR im Einsatz sind, vorstellt. 

Dellwo, bereits mitten im Geschehen, befindet sich gerade in einem Einsatz und hat nicht einmal Zeit, seine neue Kollegin, die vom Wirtschaftsdezernat zur Truppe stößt, bei der Mordkommission zu begrüßen. Sänger hetzt derweil direkt aus der Frankfurter U-Bahn aufs Präsidium und wird prompt zu einer Obduktion weitergeschickt. Unterbrochen wird dieser hektische Auftakt durch sekundenlange, verträumte Aufnahmen eines schwebenden Luftballons in Herzform, von einer verzweifelten Mutter an einen Müllcontainer mit Babyleiche geknotet, und nun auf seiner letzten, einsamen Reise über die Skyline Mainhattans. 

Leider geraten diese Einschübe viel zu lang – einer von mehreren Gründen, warum der 498. Tatort erst nach einer halben Stunde in Fahrt kommt. Dann nämlich wird das tote Neugeborene, das in der letzten Einstellung des Krimis auf den Namen Oskar getauft wird, in einer Müllverbrennungsanlage gefunden, und zugleich eines klar: Mit Charlotte Sänger, die dem Tatort-Kosmos im April 2002 fast zeitgleich mit ihren Kolleginnen Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) und Klara Blum (Eva Mattes) beitritt, ermittelt ab sofort eine Kommissarin, die näher am Wasser gebaut ist als alle anderen Ermittlerinnen zuvor.

Der rätselhafte Fund der Babyleiche und der Raubmord in einem Pornokino, der den zweiten Handlungsstrang bildet, aber eher Bremsklotz als Antriebsfeder des Krimis ist, bedeuten emotionales Neuland für die unerfahrene Kommissarin, die sich bis dato nur mit Zahlen und illegalen Nummernkonten beschäftigt hat und dafür sogleich vom Staatsanwalt Dr. Scheer (Thomas Balou Martin, Bienzle und der Tag der Rache) aus der Reserve gelockt wird. Hundebesitzer Dellwo hingegen versucht, seine neue Kollegin in Watte zu packen und ist ähnlich erfolglos. Sänger entpuppt sich als charakterlich rätselhafte Figur, als verschlossene, höchst sensible Zeitgenossin, mit der weder Dellwo und ihr Chef Werner "Rudi" Fromm (Peter Lerchbaumer, Eulenburg) noch der Zuschauer bei ihrem Debüt viel anzufangen weiß. 

Die eigentliche Krimi-Handlung steht in Oskar – typisch für einen Tatort-Erstling – hinter der Einführung der Frankfurter Figuren zurück, vermag aber auch aufgrund der knappen neunzig Minuten, die sich angesichts der viel zu langen Einleitung auf gefühlte sechzig verkürzen, selten Spannung zu generieren. Es sei dem Hessischen Rundfunk verziehen: Mit Folgen wie Unter uns, Herzversagen oder Weil sie böse sind folgen in den nächsten Jahren schließlich zahlreiche Hochkaräter.

Bewertung: 5/10

Lastrumer Mischung

Folge: 496 | 7. April 2002 | Sender: NDR | Regie: Thomas Jauch
Bild: NDR/Wolfgang Meier
So war der Tatort:

Dörflich. 

Bei ihrem Debüt als niedersächsische Ermittlerin darf Charlotte Lindholm, gespielt von BILD-Zeitungs-Liebling und Burda-Gattin Maria Furtwängler, zum ersten, aber bei weitem nicht zum letzten Mal raus aufs Land – genauer gesagt ins beschauliche Lastrum im Landkreis Vechta. 

Wen es schon einmal in diese Gegend verschlagen hat, der weiß allerdings, dass die Bevölkerung dort keineswegs so erzkonservativ aufgestellt ist, wie es das Drehbuchautorenduo um Volkmar Nebe und Tennessee Ulysses Hemjeoltmanns dem Publikum weismachen will: Wer allen Ernstes glaubt, dass das asiatische Augenpaar von Maria Knauf (Minh-Khai Phan-Thi, Frau Bu lacht) im realen Lastrum des 21. Jahrhunderts für einen handfesten Dorfskandal sorgen würde, glaubt wahrscheinlich auch, dass Maria Furtwängler bei den Dreharbeiten höchstpersönlich in knöcheltiefe Schlammpfützen tritt. Einfach mal darauf achten, wie die Sequenz, in der Lindholm mit ihrem Wagen stecken bleibt, geschnitten ist.
 
Lastrumer Mischung, das Tatort-Debüt des später noch viele Male auf dem Regiestuhl Platz nehmenden Filmemachers Thomas Jauch (Kaltes Herz), fällt in vielerlei Hinsicht klassisch aus: LKA-Ermittlerin Lindholm ermittelt innerhalb eines wenig glaubwürdigen, dörflichen Mikrokosmos, der nur durch den hier noch überraschenden, später obligatorischen Besuch ihres Mitbewohners Martin Felser (Ingo Naujoks) aufgebrochen wird. 

Die Stippvisite des Krimi-Autors erfährt keine wirklich logische Erklärung, sondern dient in erster Linie dazu, nach dem nächtlichen Kampftrinken mit der einsamen Postbotin und Dorfmatratze Roswitha Porith (Nina Hoger, Bei Auftritt Mord) das ungewöhnliche Bruder-Schwester-Verhältnis zwischen Lindholm und Felser auszuloten. Letzterer wirkt schon bei seinem ersten Auftritt im Tatort aus Hannover stark überzeichnet, sorgt aber vor allem in der Partnervermittlungssequenz für heitere Zwischentöne. 

In Lastrumer Mischung sind "Charlotte und Martin" als Figuren schließlich auch noch gänzlich unverbraucht - weniger originell ist da schon Tatsache, dass im 496. Tatort mal wieder der/die bekannteste(r) Schauspieler(in) den/die Mörder(in) spielt.

Bewertung: 6/10

Schrott und Totschlag

Folge: 490 | 6. Januar 2002 | Sender: SWR | Regie: Jürgen Bretzinger
Bild: SWR/Krause-Burberg
So war der Tatort:

Schrottreif. 

Der 16. gemeinsame Einsatz des beim Fernsehpublikum nach wie vor beliebten Ermittlerduos Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) und Mario Kopper (Andreas Hoppe) ist eine dieser Ludwigshafener Folgen, die so ziemlich alles auf den Punkt bringt, was die zahlreichen Kritiker der beiden seit jeher auf die Palme bringt: Schrott und Totschlag strotzt vor Dialogen zum Fremdschämen, seichten WG-Momenten, witzfreien Versuchen von Situationskomik und langatmiger Ermittlungsarbeit, die mehr auf Zufall als auf cleveren Verhörmethoden und akribischer Indizienauswertung basiert. 

Hinzu kommt eine Kriminalgeschichte, der das Wort hanebüchen fast noch schmeichelt: Drehbuchautorin Dorothee Schön, die mit Der Wald steht schwarz und schweiget später für einen weiteren Katastrophen-Tatort aus der Stadt am Rhein verantwortlich zeichnet, pappt lieblos Klischees, schicksalhafte Begegnungen und abgegriffene Standardmomente aneinander. 

Dabei dreht sich alles um einen pädophilen Schwimmtrainer: Bertram Nock (René Hofschneider, Trübe Wasser) fasst die Tochter seiner anfangs verreisten Freundin Sylvia (Nina Hoger, Lastrumer Mischung) immer ein paar Sekunden zu lang an, studiert mit gierigem Blick die Videoaufnahmen schwimmender Grundschulmädchen und versucht vergeblich, das aufgeweckte Roma-Mädchen Giri (Romi Maria Goehlich) zu vergewaltigen. 

Ansonsten erfährt der Zuschauer nichts über den Pädophilen: Der kranke Typ steht nun mal auf kleine Mädchen, das muss reichen, um ihn einzuordnen. Zumindest in der Welt der Lena Odenthal, die ihr Urteil längst gefällt hat, als man Giris Leiche findet und ihr tödlicher Sprung in den Rhein das Resultat eines Sexualverbrechens zu sein scheint. Es hagelt plumpe Stammtischparolen, die ihren späteren Tatort-Kollegen Til Schweiger (Willkommen in Hamburg) – man denke an dessen peinlichen Rundumschlag bei Markus Lanz – zwar bestätigen, mit einer seriösen und differenzierten Aufarbeitung der Thematik aber wenig zu tun haben. 


ODENTHAL:
Wer einmal ein Kind vergewaltigt, der macht das auch nochmal.


Auch was die Skizzierung der Sinti-und-Roma-Sippschaft angeht, bemüht Drehbuchautorin Schön nur das, was man vom Hörensagen über die Einwanderer zu wissen glaubt, und was sich gut mit der Spannungskurve vereinbaren lässt ("Meine Eltern sind Zigeuner - und die bringen dich um!"). "Zigeuner" drohen mit dem Messer, "Zigeuner" bleichen ihre Wäsche mit Chlor und "Zigeuner" fideln bei der Beerdigung der jüngsten Tochter schräge Geigentöne, bevor sie in ihre Wohnwagenkolonie zurückkehren und finstere Rachepläne schmieden. 

Da gerät es fast zur Randnotiz, dass in Schrott und Totschlag auch unabhängig von dieser Klischee-Offensive fast alles im Argen liegt: Schwimmtrainer Nock, der Schrottplatzbesitzer Karl Scherkamp (Paul Faßnacht, Höllenfahrt) im Affekt ersticht und in dessen eigener Schrottpresse zerstückelt, stellt sich dermaßen dämlich an, als würde er von den eine halbe Ewigkeit im Dunkeln tappenden Ermittlern geradezu verhaftet werden wollen. Die Mordwaffe wird liegen gelassen, dann in der eigenen Küchenschublade durch ein identisches Messer ersetzt und der Kassenbon in den Abfall geworfen, damit die Spurensicherung ihn bei der Hausdurchsuchung auch sicher eintütet. 

Und dann sind da noch die nervtötende Assistentin Edith Keller (Annalena Schmidt, "Man sacht ja auch: Dscheneräischn Golf") und Autonarr Kopper: Dessen roter Kult-Fiat ist nur noch wenige Stunden von seinem mit satter Wertsteigerung verbundenen Oldtimer-Status entfernt und endet natürlich wo? Na klar: auf dem Schrottplatz. 

Dort wäre dieser grottenschlechte Tatort ebenfalls gut aufgehoben.

Bewertung: 2/10