Schöner sterben

Folge: 528 | 30. März 2003 | Sender: SWR | Regie: Didi Danquart
Bild: SWR
So war der Tatort:


Damals sprintete im Trikot des Deutschen Reichs eine Frau durchs Berliner Olympiastadion, die nach der Idee der Filmemacher die Tante von Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) ist: Läuferin Emmy Albus verpatzte, sicher in Führung liegend, vor den Augen von Reichskanzler Adolf Hitler die letzte Übergabe des Staffelstabs. Das 4x100m-Rennen ging auf der Zielgeraden verloren.

Im Drehbuch von Daniel Martin Eckhart (Ein mörderisches Märchen) wird aus Emmy Albus kurzerhand Emma Odenthal (Gisela Trowe, Tödliche Freundschaft): Ohne Kontakt zu ihrer Nichte lebt die frühere Leichtathletin mittlerweile im Altersheim Grünwald, deren umtriebige Bewohnerin Marina Cortese (Ingrid van Bergen, Schlaflose Nächte) im Prolog des Krimis von einem Unbekannten niedergeschlagen wird und die Treppe hinunter in den Tod stürzt.

So begegnen sie sich in der Eingangshalle des Heims nach langer Zeit wieder, Emma Odenthal und Lena Odenthal, die auf den Fall angesetzt und wie gewohnt von ihrem Kollegen Mario Kopper (Andreas Hoppe) unterstützt wird. Das nächtliche Wiedersehen der verwandten Frauen ist frostig, das gute Verhältnis ging in die Brüche – dabei war Emma einst die wichtigste Bezugsperson im Leben der späteren Kripo-Beamtin.


ODENTHAL:
Emma war meine beste Freundin. Ich wollte nicht so sein wie mein Vater oder meine Mutter. Ich wusste, irgendwann werde ich genau sein wie Emma. Wild und frei, ich würde nie jemanden brauchen. Selbständig und stark, genau wie sie.

KOPPER:
Das hast du ja erreicht.


Wie so oft im Ludwigshafen-Tatort ist Lena Odenthal persönlich in den Fall involviert, und auch die Ausgangslage des Whodunits im Miss-Marple-Stil könnte klassischer kaum gestrickt sein: Im Mikrokosmos Altenheim, das neben dem Präsidium praktisch der einzige Schauplatz der 528. Tatort-Folge ist, kommt ein halbes Dutzend Verdächtiger als Täter infrage – und es liegt an Odenthal und Kopper, den Mörder mit Unterstützung von Assistentin Edith Keller (Annalena Schmidt) und Spurensicherungsleiter Peter Becker (Peter Espeloer) zu überführen.

Schon früh offenbart sich, dass der Weg zur richtigen Auflösung über den schüchternen und geistig zurückgebliebenen Hausmeister Willy Vogelsang (Bruno Cathomas, Ein Hauch von Hollywood) führt: Einleitend von Lenas zugeknöpfter Tante beim Abdecken der Leiche beobachtet, dann vom herrischen Heimleiter Karl Kranz (Rudolf Wessely, Passion) mit einem dünnen Alibi in Schutz genommen und später immer auffällig unauffällig in Hörweite, wenn Odenthal und Kopper im Garten des Heims Befragungen durchführen. Dieser Sonderling muss einfach eine Leiche im Keller haben.

Und doch ist Vogelsang auf den zweiten Blick ein so herzensguter, bemitleidenswerter und aufrechter Mensch, das er für krimierprobte Zuschauer schnell als Mörder ausscheidet – da stört es auch nicht, dass der angeblich so glühende Der Herr-der-Ringe-Fan die Elbenkönigin Galadriel als Elfenkönigin bezeichnet und mit dem Fotoapparat einem ziemlich eigenwilligen Hobby nachgeht. Vogelsangs Szenen sind die stärksten des Krimis, und das liegt vor allem am bravourösen Auftritt von Bruno Cathomas, der drei Jahre zuvor – ebenfalls unter Regie von Didi Danquart – bereits im Ludwigshafener Tatort Der schwarze Ritter zu sehen war und der von 2017 bis 2019 Staatsanwalt Fosco Cariddi im Frankfurter Tatort spielt.

Wer die männermordende Cortese auf dem Gewissen hat, klärt sich erwartungsgemäß erst in den Schlussminuten, und auch sonst ist Schöner sterben ein Krimi, nach dem man die Uhr stellen kann: Die obligatorische zweite Tatort-Leiche folgt – wie könnte es anders sein – nach exakt einer Stunde, eine Verfolgungsjagd durchs Treppenhaus steht ebenfalls im Skript und eine brenzlige Situation für Lena Odenthal, die bereits im grandiosen Kopper-Erstling Der kalte Tod auf dem Seziertisch eines Serienmörders landete, macht sich auf der Zielgeraden auch immer gut. Überzeichnete Selbstgespräche der Tatverdächtigen, die das erzählerische Erfolgsprinzip "Show, don't tell" ad absurdum führen, tun ihr Übriges zur altbackenen Aufmachung. Wirklich spannend wird es selten.

So ist Odenthals 28. Fall zwar ein ansprechend besetzter, aber formelhafter und vorhersehbarer Krimi, der nach dem stimmungsvollen Auftakt selten in Fahrt kommt und aus dem Brückenschlag in die Nazizeit keinen Mehrwert für den Kriminalfall generiert. Die für die Charakterzeichnung wertvolle Geschichte, die Tante Emma erzählt, wird zwar emotional vorgetragen, ist für die Auflösung der Täterfrage aber völlig irrelevant. Am Ende mündet die Jagd auf Mörder dann noch in ein unfreiwillig komisches Finale, in dem ein schöner Opel Kapitän HydraMatic nach einem Absturz aus zwei Metern in Flammen aufgeht – was diesen Tatort eher abwertet, als ihn noch aus dem grauen Mittelmaß herauszuhieven.

Bewertung: 5/10

Mutterliebe

Folge: 527 | 23. März 2003 | Sender: WDR | Regie: Züli Aladag
Bild: WDR/Stratmann
So war der Tatort:

Familienfixiert. 

Und das sowohl vor als auch hinter der Kamera: Filmemacher Züli Aladağ (Schwerelos) führt bei Mutterliebe nicht nur Regie, sondern schrieb auch das Drehbuch zum Film  – zusammen mit seiner damaligen Frau Feo Aladağ (Exitus), die außerdem in einer Nebenrolle zu sehen ist. 

Mit einem vielversprechenden Vorspann, in dem die Darsteller wie auf einer Theaterbühne einzeln ins Licht treten und scheu in die Kamera blicken, beginnt ein Krimi, der in der Folge nicht recht in Fahrt kommen will: Der Auftaktmord und eine damit verbundene Kindesentführung dienen vor allem dazu, dem Zuschauer das zerrüttete Innenleben einer vermeintlich intakten Familie vor Augen zu führen. 

Die Krankenschwester Monika Kleiber (Sonja Baum, Alter Ego) hat Nachtschicht, als ein Säugling in die Babyklappe gelegt wird – kurz darauf ist sie tot und das Baby verschwunden. Während die Kölner Hauptkommissare Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) bei ihrem 23. gemeinsamen Fall also nicht nur einen Mord, sondern auch eine Entführung aufklären müssen, weiß der Zuschauer von Anfang an, wer die gesuchte Mutter des Babys ist: Es ist die verheiratete Maria Wagner (Claudia Michelsen, später im Magdeburger Polizeiruf 110 als Hauptkommissarin Doreen Brasch zu sehen) die ihre Schwangerschaft bis zuletzt vor ihrem Mann Andreas (Tonio Arango, Die chinesische Prinzessin) und dem Rest der wohlhabenden Familie um Vorzeige-Patriarch Heinrich Wagner (Manfred Zapatka, Havarie) geheim gehalten hat. Nach der ebenso unbemerkten wie packend inszenierten Geburt im Haus der Schwiegereltern bringt sie das Neugeborene direkt zur Babyklappe.

Die bröckelnde Fassade einer vermeintlich gut situierten Familie ist ein beliebtes Tatort-Motiv (vgl. Familienbande, Blutschuld) – und auch in Mutterliebe treffen die Kommissare auf mehr oder minder labile und intrigante Familienmitglieder, die alle ihre kleinen Geheimnisse hüten. In Schwung kommt die Handlung allerdings nicht – was auch daran liegt, dass die Drehbuchautoren die falsche Fährte um Kleibers Ex-Freund Bernd Schiffer (Erdal Yildiz, beginnend mit Willkommen in Hamburg später mehrfach als Bösewicht Firat Astan im Hamburger Tatort zu sehen) sehr halbherzig ausarbeiten und vor allem die Figuren näher charakterisieren, die nur indirekt mit den Verbrechen zu tun haben. Entsprechend gehetzt und vorhersehbar fällt auch die Auflösung aus. 

Immerhin: Ganze neun Jahre, bevor seine späteren Dortmunder Tatort-Kollegen Peter Faber (Jörg Hartmann) und Martina Bönisch (Anna Schudt) diese Technik zu ihrem Markenzeichen machen, bieten die Ermittlungen Ballauf die Gelegenheit, mit vollem Körpereinsatz einen Mord nachzustellen. Die irritierte Reaktion von Assistentin Franziska Lüttgenjohann (Tessa Mittelstaedt) auf die Schauspieleinlage ihres Chefs ist ein amüsanter Lichtblick in dem ansonsten eher steif erzählten Fall: Wie später in Die Blume des Bösen bekommt Junggeselle Ballauf von einer alten Flamme vor Augen geführt, was er als überzeugter Single so alles verpasst. Da dürfen Schenks Schwärmereien von der eigenen Familie ("Ich möchte meine beiden Prinzessinnen um nichts in der Welt missen!") natürlich nicht fehlen. 

Besonders hölzern wirkt eine Sequenz, in der Ballauf mit seiner ehemaligen Geliebten Lara (Maximiliane Häcke) und deren Kindern zu Abend isst: "Meine Güte, das sieht ja lecker aus. Ich weiß gar nicht, wann ich das letzte Mal was Selbstgekochtes gegessen habe", verkündet der Kommissar begeistert, um dann einfach stocksteif am Tisch zu sitzen und das Essen gar nicht anzurühren. Anschließend erkundigt er sich unterm Tisch noch schnell bei der Gastgeberin, ob deren älteres Kind womöglich von ihm stammt – dass Laras Antwort genauso lang ausfällt wie die Erklärung, weshalb Krankenschwester Monika Kleiber eigentlich sterben musste, bringt das Dilemma im 527. Tatort gut auf den Punkt.

Bewertung: 3/10

Frauenmorde

Folge: 526 | 9. März 2003 | Sender: HR | Regie: Nikolaus Stein von Kamienski
Bild: HR/Jacqueline Krause-Burberg
So war der Tatort:

Nah dran an großen Vorbildern wie David Finchers Meisterwerk Sieben oder Jonathan Demmes Kult-Psychothriller Das Schweigen der Lämmer – und damit nah dran an der Höchstwertung auf der Bewertungsskala

Bei ihrem zweiten gemeinsamen Einsatz fahnden Hauptkommisswarin Charlotte Sänger (Andrea Sawatzki) und ihr Kollege Fritz Dellwo (Jörg Schüttauf) in Frankfurt nach einem Frauenmörder, der den von der Popkultur gefeierten Hollywood-Killern John Doe und Hannibal Lecter in Sachen Brutalität in nichts nachsteht: Nach dem Blind-Date-Sex schlachtet der Mörder seine Gespielinnen brutal ab, trennt den Torso von Kopf, Beinen und Händen und lässt das entsetzte Ermittlerteam unter Leitung von Werner "Rudi" Fromm (Peter Lerchbaumer) und Staatsanwalt Dr. Scheer (Thomas Balou Martin), der auch in Frauenmorde seinen Status als Ekelpaket unterstreicht, die Leichenteile zusammentragen. 

Regisseur und Drehbuchautor Nikolaus Stein von Kamienski (Willkommen in Köln), der bereits den unspektakulären Sänger/Dellwo-Erstling Oskar inszenierte, tut gut daran, das Privatleben des Frankfurter Duos diesmal aufs Nötigste zu reduzieren und sich ganz auf die temporeich in Szene gesetzte Suche nach dem cleveren Mörder, der das Treiben von Kriminalpolizei und Opfern geradezu hämisch mit einer Videokamera dokumentiert, zu konzentrieren. 

Der Zuschauer ist Sänger und Dellwo damit immer einen Schritt voraus: Während die Kommissare die ersten 50 Minuten des Films darauf verschwenden, den Täter im direkten Umfeld der zerstückelten Frau Karp (Stefanie Kunkel) zu vermuten und daher vor allem ihrem Ehemann (Jan-Gregor Kremp, Mann über Bord) auf den Zahn zu fühlen, wartet der Zuschauer bereits auf die zweite Leiche – wohl wissend, dass der Krimititel im Plural steht und ein voyeuristisch veranlagter Serienkiller am Werk sein muss. Und genau da liegt der Hase im Pfeffer: Der 526. Tatort kommt schwer in Fahrt, dreht erst nach einer Dreiviertelstunde so richtig auf und schrammt deswegen knapp am Meilenstein-Status vorbei. 

Mit dem Auftritt von BKA-Oberrat Wimmer (Tim Bergmann) und FBI-Agent Gordon (Geoffrey Burton) erhält der Fall aber plötzlich eine internationale Dimension und ab diesem Moment macht von Kamienski alles richtig: Schneller und schneller peitscht er das Treiben in Frankfurt, das in einem sterilen Stundenhotel schließlich in einem hochspannenden Finale gipfelt, nach vorn, erdet seinen Tatort aber immer wieder in der Realität und verzichtet – der schlichte Titel Frauenmorde steht dafür exemplarisch – auf jeglichen Firlefanz. 

Spätestens, wenn Dellwo während der Observation einen unerwarteten Anruf des Killers erhält und panisch den eigenen Garten aufsucht, wird die Nähe zum Fincher-Klassiker Sieben überdeutlich. Und doch spielt von Kamienski hier nur gekonnt mit seinem Publikum: Natürlich überlebt Ehefrau Steffi Dellwo (Edda Leesch) den Krimi, in dem alle Beteiligten nach dem eher schleppenden Auftakt zwei Gänge hochschalten und der beim Blick auf die Gesamtreihe zu den stärksten Fällen des Frankfurter Duos Sänger und Dellwo zählt. 

Bewertung: 9/10