Schattenlos

Folge: 531 | 27. April 2003 | Sender: WDR | Regie: Thomas Stiller
Bild: WDR/Michael Böhme
So war der Tatort:

Toll(kühn).

Und das gilt beim 24. Einsatz der Kölner Hauptkommissare Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) vor allem für das actiongeladene erste Filmdrittel, das nichts für schwache Nerven ist: eine nächtliche Entführung, ein irrwitziger Banküberfall samt Explosion und SEK-Einsatz, Kugelhagel und eine Geiselnahme mit Verfolgungsjagd: Die Nerven liegen blank. Und "Stirb langsam" lässt grüßen!

Regisseur und Drehbuchautor Thomas Stiller (Das Wunderkind) macht im übertragenen Sinne keine Gefangenen – wortwörtlich hingegen schon. Denn gleich zu Beginn wird der wohlhabende Unternehmer Stefan Kühn (bravourös: Michael Mendl, Die Neue), dessen Nachname Programm ist, nachts in seinem Haus von zwei Männern überwältigt und verschleppt. Am nächsten Tag erscheint der sichtlich verängstigte Kühn, der einen Sprengsatz am Körper trägt, in der einleitend erwähnten Bank und verlangt vom kiffenden Filialleiter Frank Treut (Nicki von Tempelhoff, Sonnenwende), den er auch persönlich kennt, drei Millionen binnen einer Stunde zu beschaffen. 

Wie es der Zufall will, befindet sich auch Geburtstagskind Freddy Schenk in der Bank, der auf den Vorfall aufmerksam wird und seinen Kollegen Ballauf informiert. Doch als der die Bank betritt, eskaliert die Situation: Einer der Entführer (Lutz Teschner, Quartett in Leipzig) stürmt in die Bank und erschießt vermeintlich den Filialleiter. Doch damit nicht genug: Bei einer Explosion vor der Bank wird auch noch eine Kioskinhaberin (Christa Strobel, Schürfwunden) getötet und ein kleines Mädchen schwer verletzt. Der Entführer kann mit Kühn, dem Geld und dem Sohn einer Kundin (Wolf-Niklas Schykowski, Tempelräuber) als Geisel die Bank verlassen. Die anschließende Verfolgungsjagd endet zwar glimpflich, doch die Entführer können mit der Beute entkommen.

Ein packender Auftakt, der an den späteren Dortmunder Tatort-Meilenstein Sturm erinnert, mit dem die Inszenierung von Thomas Stiller zwar nicht ganz mithalten kann, aber doch mitreißt: Das liegt in erster Linie am interessanten Drehbuch, das nicht nur mit der einen oder anderen überraschenden Wendung um die Ecke kommt, sondern auch auf das klassische Whodunit-Prinzip und damit auf abgegriffene Wo-waren-Sie-zur-Tatzeit-Dialoge verzichtet. Stiller lässt stattdessen Bilder sprechen und fängt insbesondere die Stimmung zwischen Kühn und seiner Frau Anna (Sabine Vitua, Frauenmorde) wirkungsvoll ein. Der schweigsame Kühn, der seine Frau über alles zu lieben scheint und neben seinem Faible für die japanische Kultur auch großen Wert auf Sicherheit legt, wird in der Folge zum Fixpunkt der Ermittlungen, die allerdings schleppend verlaufen.

Dass  Schattenlos nach dem fulminanten Auftakt nicht in ein Spannungsloch fällt, hat mehrere Gründe: zum einen stellt sich bald heraus, dass hier nichts so ist, wie es scheint. Was als fiebriger Geiselnahme-Thriller beginnt, entpuppt sich nach und nach als intelligenter Bluff, in dessen Zentrum der schwer einzuschätzende Kühn steht. Er scheint irgendetwas zu verbergen. Aus ihm werden wir einfach nicht schlau. Mal rührt uns seine Art, mal lässt sie uns erschaudern. Der glänzend aufgelegte Michael Mendl läuft hier einmal mehr zu ganz großer Form auf. 

Apropos erschaudern: Zwar tragen auch die beiden Hitzköpfe Schenk und Ballauf, die sich des Öfteren in die Wolle kriegen, mit ein paar knackigen Dialogen wie gewohnt zur Unterhaltung bei, sind dabei aber nicht immer auf der Höhe der Zeit. Etwa wenn Papa (!) Schenk das respektlose Verhalten des entführten Jungen während der Verfolgungsjagd süffisant kommentiert, dabei aber aus (nicht nur) heutiger Sicht fragwürdige Erziehungsmethoden propagiert:


SCHENK:
Der hat auch schon lange keine Tracht Prügel mehr bekommen.


Sowohl Rechtsmediziner Dr. Roth (Joe Bausch), der diesmal erst spät seinen Auftritt hat, als auch die fleißige Assistentin Franziska Lüttgenjohann (Tessa Mittelstaedt) geraten hier immer mal wieder zwischen die Fronten. Letztere wird von Ballauf zudem dafür instrumentalisiert, dem Computer-Nerd Martin schöne Augen zu machen, um sich mit dessen Hilfe illegal Zugang zum Netzwerk des BND zu verschaffen. Das wiederum zieht einen denkwürdigen Auftritt Ballaufs beim deutschen Inlandsgeheimdienst nach sich. Franziska ist es diesmal immerhin vorbehalten, den entscheidenden Hinweis zu liefern, der über die japanische Schwertkampfkunst Kendō führt.

Abgesehen von wenigen Schönheitsfehlern – etwa Ballaufs Selbstvorwürfe in Bezug auf das verletzte Mädchen, die zu dick aufgetragen sind und die es auch gar nicht gebraucht hätte – überzeugt die 531. Tatort-Folge, in der Regisseur Stiller in bester Alfred-Hitchcock-Manier einen Kurzauftritt als falscher Polizist hinlegt. An seiner Seite ist dabei der viel zu früh verstorbene Birol Ünel zu sehen, der zwei Jahre später in Fatih Akins Selbstzerstörungsdrama "Gegen die Wand" seinen großen Durchbruch feiert und in Schattenlos zum vierten und letzten Mal für einen Tatort vor der Kamera steht.

Bewertung: 7/10

Hexentanz

Folge: 529 | 13. April 2003 | Sender: NDR | Regie: René Heisig
Bild: NDR/Ines Gellrich
So war der Tatort:

Wie verhext. 

Hauptkommissarin Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler), die zum zweiten Mal für das Landeskriminalamt Niedersachsen im Einsatz ist und nach einer knappen Stunde wieder Unterstützung von ihrem treuen Mitbewohner Martin Felser (Ingo Naujoks) erhält, wird nämlich auch in Hexentanz wieder in die tiefste norddeutsche Provinz abkommandiert. Und in dem namenlosen Dörfchen in der Nähe des Teufelsmoors ticken die Uhren noch anders: Wer glaubt, dass Hexenverfolgung und weiße Magie ins Mittelalter gehören, ist schief gewickelt. 

Das zumindest wollen Drehbuchautor Markus Stromiedel (Einmal täglich) und Regisseur René Heisig (Der schöne Schein), die einen klassischen Whodunit-Fall konstruieren und die Täterfrage bis zur letzten Filmminute offen halten, ihrem Publikum weismachen: Die unglaubwürdige Skizzierung der übertrieben engstirnigen Dorfbewohner, an der bereits Lindholms Erstling Lastrumer Mischung krankte, raubt auch Hexentanz einen Großteil seiner Authentizität. Wenn im 21. Jahrhundert in deutschen Vorgärten Pentagramme brennen und Hühnerknochen an Fäden von dürren Ästen baumeln, dann kann die Geschichte noch so clever angelegt und der Kreis der Verdächtigen noch so vielfältig sein: Es fällt einfach schwer, der Krimihandlung dauerhaft Glauben zu schenken. 

Die Suche nach dem Mörder von Werner Hellmann (Wolfgang Packhäuser, 3 x schwarzer Kater), der einen Bogen zum dreizehn Jahre zurückliegenden Mord an seiner Ehefrau schlägt, steht damit von Beginn an auf tönernen Füßen. Das ist umso ärgerlicher, weil der 529. Tatort ansonsten schwer zu durchschauen und nie wirklich auszurechnen ist: Tatverdächtige gibt es gleich ein Dutzend, und weil in der Mordnacht ein Häuserbrand – Hurra, das ganze Dorf ist da! – den ganzen Ort in helle Aufregung versetzt, hat auch keiner der Dorfbewohner ein wasserdichtes Alibi. 

Mit dem Trottelfrisur tragenden, in einen unfassbar hässlichen Pulli gesteckten Dieter Grote (Thomas Schmieder), seinem umtriebigen Vater (Karl Kranzkowski, Heimwärts) und dessen unsympathischer Gattin Henrike (Swetlana Schönfeld, später  in Todesstrafe und vielen weiteren Folgen als Eva Saalfelds Mutter Inge im Leipziger Tatort zu sehen) drängen sich gleich mehrere Verdächtige in den Vordergrund, um dann vorübergehend aus dem Blickfeld zu geraten. War es vielleicht doch die psychisch kranke, fleißig Vogelfutter knabbernde Erika Hinrichs (Monika Hansen), die man im Dorf glatt wegsperrt? Oder gar Kirsten Hellmann (Lisa Potthoff, Bittere Trauben), die Tochter der beiden Opfer, die von heute auf morgen wieder in der Gegend um das Teufelsmoor auftaucht? 

Charlotte Lindholm, die den Kollegen von der Dorfpolizei nach allen Regeln der Kunst vorführt, sich im Verhör aber von Tierarzt Grote denkwürdig unterbuttern lässt, sucht lange nach des Rätsels Lösung. Die gefällt, rettet den Hexentanz aber auch nicht mehr ins sehenswerte Mittelmaß.

Bewertung: 4/10