Die Unmöglichkeit, sich den Tod vorzustellen

Folge: 773 | 26. September 2010 | Sender: rbb | Regie: Christine Hartmann
Bild: rbb/Hans-Joachim Pfeiffer
So war der Tatort:

Künstlerisch.

Und das nicht nur beim einleitenden, spektakulären Todesfall, den die Berliner Hauptkommissare Till Ritter (Dominic Raacke) und Felix Stark (Boris Aljinovic) bei ihrem 23. gemeinsamen Einsatz in Die Unmöglichkeit, sich den Tod vorzustellen aufzuklären haben: Der extrovertierte Künstler Hanns Helge (Max von Thun, Lohn der Arbeit) liegt tot in einem aufwendig zurecht gemachten Bett – erschlagen von einer riesigen Panzerglasplatte, die er im Rahmen seiner ungewöhnlichen Installation über dem Bett montiert hatte.

Das morbide, tödliche Kunstwerk ist nur eines von vielen: Helge malte Bilder mit seinem eigenen Blut, benutzte in seinen Werken mit Vorliebe Quecksilber und Sprengstoff und kreierte in bester Jigsaw-Manier immer wieder ausgefallene Todesfallen, für die Kunstliebhaber seiner blondgelockten Galeristin Oana von Wilm (Karoline Eichhorn, Klassentreffen) ein Vermögen zu zahlen bereit waren.

Verdächtige gibt es im 773. Tatort, den Drehbuchautorin Beate Langmaack (Das Recht, sich zu sorgen) und Regisseurin Christine Hartmann (Schwarzer Peter) als klassischen Whodunit anlegen, genügend, und sie alle sind fest in der freizügigen Berliner Kunstszene verwurzelt: Helges freche Muse Patty (Josefine Preuß, Vermisst) steht Stark wie selbstverständlich in Unterwäsche Rede und Antwort und Aktmodell Anna Linde (Brigitte Hobmeier, Häschen in der Grube) verzichtet in der Zeichenstunde, bei der ihr Ritter seinen ersten Besuch abstattet, gleich ganz auf ihre Kleidung.

Für die Damenwelt findet Frauenheld Ritter diesmal jedoch keine Zeit – der Tatort wäre schließlich nicht der Tatort, wenn er Die titelgebende Unmöglichkeit, sich den Tod vorzustellen, nicht auch mit dem persönlichen Schicksal der Ermittler verknüpfen würde. Ritter muss völlig unerwartet den Suizid seines Onkels beklagen, der ihm seine Sorgen und Probleme trotz vieler gemeinsamer Thai-Essen offenbar über Jahre verschwiegen hat und den Berliner Hauptkommissar in eine ungewohnt nachdenkliche, selbstreflexive Phase stürzt.

Das passt hervorragend zur melancholischen Grundstimmung des Tatorts, in dem die Kitschklippen gekonnt umschifft werden und in dem mit einem unschuldigen blonden Knaben passenderweise ein Sinnbild des neuen Lebens den Schlüssel zur Klärung der Täterfrage bildet. Leider muss ausgerechnet Ritters Kollege Stark in Sachen Frauengeschichten in die Bresche springen und Galeristin von Wilm schöne Augen machen – ein unnötiger Nebenkriegsschauplatz, der den Tatort zu keinem Zeitpunkt voranbringt.

Amüsanter fällt da schon der Verweis auf die erste Begegnung der Berliner Kommissare in Berliner Bärchen aus, bei dem Stark seinem neuen Kollegen Ritter auf dem Parkplatz des Präsidiums 2001 die Stoßstange demolierte.


STARK:
Das ist das Auto, in dem ich dich kennengelernt hab, weißte noch?

RITTER:
Ja, aufm Parkplatz. Werd ich nie vergessen.


Bewertung: 6/10

Bluthochzeit

Folge: 772 | 19. September 2010 | Sender: SWR | Regie: Patrick Winczewski
Bild: SWR/Stephanie Schweigert
So war der Tatort:

Menschenleer.

Vieles im Tatort Bluthochzeit, der die Konstanzer Hauptkommissarin Klara Blum (Eva Mattes) fernab des geliebten Bodensees über abgelegene Landstraßen, endlos grüne Wiesen und in düstere Wälder führt, erinnert an die starke Vorgängerfolge Der Polizistinnenmörder, die gut acht Monate vor der Erstausstrahlung von Bluthochzeit im Ersten auf Sendung ging.

Diesmal sind die Rollen allerdings vertauscht: Blum, die erneut ohne ihren im Präsidium ausharrenden Kollegen Kai Perlmann (Sebastian Bezzel) loszieht, ist diesmal nicht die Gejagte, sondern die Jägerin, und macht sich gemeinsam mit dem frisch verheirateten Hanno Brünner (Peter Kremer, Todesbilder) auf die Suche nach dessen nach altem Brauch entführter und zugleich in Lebensgefahr schwebender Braut Beate Gellert (Petra Schmidt-Schaller, ermittelt später als Tatort-Kommissarin Katharina Lorenz in Hamburg und Umgebung). 

Doch während die vermeintliche Abstinenz der menschlichen Bevölkerung im Polizistinnenmörder, in dem Blum und ihr Schweizer Kollege Reto Flückiger (Stefan Gubser) mit einem Strafgefangenen durch verschneite Bergregionen stiefeln und von Ganoven unter Beschuss genommen werden, vortrefflich mit den eisigen Winterlandschaften harmoniert und sich enorm spannungsfördernd auswirkt, will sich die offensichtliche Menschenleere beim alkoholschwangeren Ausflug in Bluthochzeit nie wirklich mit der idyllischen Wald- und Wiesenkulisse im baden-württembergischen Frühling vereinbaren lassen. 

Bis auf einen Gastwirt, bei dem die Braut und ihre vier Entführer auf ein paar Bierchen einkehren, scheint die Gegend wie ausgestorben. Nun finden Hochzeitsfeiern in aller Regel am Wochenende statt – doch an den herrlichen Ausflugsecken, die die Truppe im Laufe ihrer Odyssee ansteuert – einen malerischen Badesee, plätschernde Gebirgsbäche und einen Sessellift – ist in diesem Tatort keine Menschenseele anzutreffen.

Patrick Winczewski (Tod auf dem Rhein), der unter anderem bei den Bodensee-Krimis Im Netz der Lügen und Nachtkrapp Regie führte, steht vor einem Dilemma: Er inszeniert den 772. Tatort, dessen Verfolgungsjagd über Stock und Stein im späteren Katastrophentatort Der Wald steht schwarz und schweiget wieder aufgewärmt wird, durchaus packend, die Geschichte von Drehbuchautor Stefan Dähnert (Schlaraffenland) aber wirkt viel zu konstruiert. 

Dass keiner der vier männlichen Hochzeitsgäste, die alle ein Geheimnis mit sich spazieren tragen, den anderen kennt und man sich einander erst nach einer guten Stunde vorstellt, ist ein weiteres Beispiel für den seltsam künstlich erzeugten Spannungsbogen und die mangelnde Glaubwürdigkeit, an der Bluthochzeit nach einem bleihaltigen Auftakt mit Beginn der Brautentführung zunehmend krankt. 

Da passt es ins Bild, dass Braut und Bräutigam, die ein rund zwanzigjähriger Altersunterschied trennt, nicht recht zueinander passen wollen und mit dem stocksteifen Üppe (Godehard Giese, Fette Hunde), den man zum Tragen einer – Hallo! Ich bin verklemmt! – Männerhandtasche nötigt, ein echtes Vorzeige-Muttersöhnchen mit von der Partie ist. 

Dreimal darf geraten werden, wer am Ende wohl das schwächste Glied in der Kette der angetrunkenen Entführer ist. Na?

Bewertung: 4/10

Schmale Schultern

Folge: 771 | 12. September 2010 | Sender: WDR | Regie: Christoph Schnee
Bild: WDR/Uwe Stratmann
So war der Tatort:

Therapeutisch.

In Schmale Schultern beschränkt sich der Kreis der Tatverdächtigen nämlich auf zwei (Ex-)Familien, deren Mitglieder fleißig miteinander streiten und einander die Krätze an den Hals wünschen – und so dürfen sich die Kölner Hauptkommissare Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) wie später in Familienbande, Trautes Heim oder Der Fall Reinhardt als Therapeuten versuchen.

Da sind zum einen die geschiedenen Jens (Pierre Besson, Schwarzer Peter) und Claudia Otten (Nina Petri, Leerstand) sowie ihre Kinder, die aufmüpfige Teenager-Göre Laura (Michelle Barthel, Hinkebein) und der kleine Benjamin (Mateo Wansing Lorrio): Jens Otten wollte eigentlich seine neue Freundin Regina Scheffler heiraten und seiner Ex-Frau den Unterhalt kürzen, weshalb sich die beiden immer wieder auf Kosten der Kinder heftig gestritten hatten – doch die schwangere Scheffler wurde aus dem Fenster ihrer Wohnung gestoßen und Otten vermutet, dass seine Tochter Laura und ihr Freund Patrick Cosca (Ben Unterkofler) etwas mit dem Mord zu tun haben.

Auch zwischen dessen Eltern Maria (Sema Meray, Schützlinge) und Ralf (Thomas Sarbacher, Frohe Ostern, Falke) kriselt es gewaltig, denn Ralf wird ein Verhältnis mit dem Opfer nachgesagt. "Der Täter hat das Opfer gekannt", bringt Ballauf das früh Offensichtliche auf den Punkt und vermittelt noch an einer anderen Front zwischen zwei zerstrittenen Parteien derselben Familie: Zwischen Schenk und seiner Tochter Melanie (Karoline Schuch), die sich im Urlaub einen durchtrainierten Surflehrer (Gerdy Zint, Dunkelfeld) angelacht hat und ihn kurzerhand bei sich und ihrer kleinen Tochter einziehen lässt, obwohl sie ihn erst seit zwei Wochen kennt.


MELANIE:
Kannst froh sein, dass Max mit mir geredet hat, sonst würde ich hier nicht stehen.

FREDDY:
Wieso mischt sich der denn schon wieder ein?

MELANIE:
Er ist Teil der Familie!


Unterm Strich verstehen sich die Ermittler in diesem Krimi unter Regie von Christoph Schnee (Trautes Heim) trotzdem noch am Besten, was selbst für den Kölner Tatort untypisch ist. Dadurch bleiben sie aber eher blass: Während sich Schenk über die Naivität und den Männergeschmack seiner Tochter echauffiert, führt Ballauf einen einsamen Kampf gegen den miserablen Kaffee im Präsidium, der in einer ziemlich müden Pointe gipfelt.

Die Drehbuchautoren Jürgen Werner (Tanzmariechen), Stephan Wuschansky und Ulrich Brandt haben die Nebenfiguren deutlich interessanter angelegt, weil diese den nötigen Tiefgang mitbringen: Die im Kölner Tatort häufig zu beobachtende Schwarz-Weiß-Malerei bleibt bei der Charakterzeichnung aus und die Motive der geschiedenen Ottens sind für den Zuschauer nachvollziehbar. Überhaupt ist das Thema Scheidung und deren Auswirkungen auf die Finanzen der einstigen Eheleute relativ unverbraucht, was für frischen Wind in der Krimireihe sorgt.

Positiv hervorzuheben sind außerdem die Schauspieler: Jungschauspieler Mateo Wansing Lorrio darf in den Anfangsminuten mit sichtlicher Freude ein Vokabular im Stile des späteren Hamburger Tatort-Kommissars Nick Tschiller (Til Schweiger) vortragen ("Ficken, ficken, fick dich!") - zugleich zeigt seine anrührende Darstellung des Scheidungskinds, das nach der Trennung seiner Eltern plötzlich wieder ins Bett nässt, wie stark Kinder von einer solchen Situation beeinflusst werden können.

Neben den uninspirierten Privatgeschichten der Ermittler hat Schmale Schultern aber noch weitere Schwachstellen: Allzu häufig darf Kommissar Zufall mitermitteln – zum Beispiel dann, wenn anfangs niemand die veränderte Position der Mülltonnen am Tatort bemerkt und Ballauf später beiläufig von einer Nachbarin darauf hingewiesen wird.

Andere Szenen sind ziemlich lachhaft: Schenk springt auf eine Lokomotive auf, um einen Verdächtigen zu verfolgen – dabei scheint sich der Lokführer (der bekanntlich die Bremse bedient) weder an dem blinden Passagier, noch an zwei rennenden Personen auf den Gleisen zu stören. Der Flüchtende versucht zudem, schneller vor der Lok wegzulaufen, bis ihn Schenk schließlich am Kragen packt, dabei hätte er doch nur zur Seite laufen müssen. Logikfehler sind in der Fiktion zwar kaum unvermeidbar, doch schmälern sie das Vergnügen erheblich, wenn sie wie hier fast slapstickhafte Züge annehmen.

Unterm Strich ist der 771. Tatort damit ein solider Durchschnittskrimi, der vor allem mit vielschichtigen Charakteren und dem bis dato im Tatort recht unverbrauchten Scheidungsthema punktet.

Bewertung: 5/10