Heimatfront

Folge: 789 | 23. Januar 2011 | Sender: SR | Regie: Jochen Alexander Freydank
Bild: SR/Manuela Meyer
So war der Tatort:

Traumatisch.

Pünktlich zum zehnjährigen Jubiläum des deutschen Bundeswehreinsatzes in Afghanistan widmet sich der Saarländische Rundfunk mit Heimatfront nämlich einem Politikum, das die Nation seit Jahren spaltet und von den Parteien damals regelmäßig für den Wahlkampf ausgeschlachtet wird.

Natürlich bezieht der öffentlich-rechtliche Sender zum Krieg am Hindukusch keine Stellung – der von Regisseur und Oscar-Gewinner Jochen Alexander Freydank (Allmächtig) inszenierte Tatort liefert dem Krimipublikum lediglich Denkanstöße, um sich seine eigene Meinung  zu bilden. Die Drehbuchautoren Christiane Hütter und Christian Heider, beide erstmalig für den Tatort am Ruder, machen es sich vielmehr zur Aufgabe, nachdrücklich darauf hinzuweisen, dass bei der professionellen Betreuung traumatisierter deutscher Soldaten hierzulande einiges im Argen liegt.

Das gelingt über weite Strecken authentisch, wurde aber bereits in Dokumentationen wie der ZDF-Produktion Der Krieg bleibt ausführlich und nicht minder kritisch beleuchtet. Das Thema in die Prime Time am Sonntagabend zu hieven, ist aller Ehren wert, kann aber kaum annähernd so differenziert ausfallen wie im Doku-Format. Angesichts des neunzigminütigen Krimi-Korsetts ist nicht mehr drin als der erhobene Zeigefinger – immerhin, die Botschaft kommt an, und unterhaltsam ist der 789. Tatort auch.

Das liegt nicht zuletzt an der harten Nuss, die die Saarbrücker Hauptkommissare Franz Kappl (Maximilian Brückner) und Stefan Deininger (Gregor Weber) diesmal zu knacken bekommen: Vier deutsche Bundeswehrsoldaten, alle zum Scharfschützen ausgebildet und gleichermaßen tatverdächtig, decken sich getreu dem vielzitierten Musketier-Motto gegenseitig. Bis zum Schluss darf fleißig mitgetippt werden, welcher der Afghanistan-Rückkehrer den Abzug betätigt und die blonde Performancekünstlerin Viktoria Schneider (Sophie Dolibois) ermordet hat.

Für eine bis dato ungewohnt humorvolle Note – immerhin handelt es sich bei Heimatfront um einen Tatort aus dem Saarland – sorgen die amüsanten Verhöre der Tatverdächtigen, bei der Kappl und Deininger einmal mehr die eingespielte Good-Cop-Bad-Cop-Nummer abziehen.


KAPPL:
Wollen Sie'n Schluck Wasser?

DEININGER:
Nein, jetzt nicht! 


Während der Soldat Hendrik Milbrandt (Martin Kiefer, Es ist böse) jeden Satz unterwürfig mit einem gehorsamen "Herr Hauptkommissar!" beendet, kontert Ingo Böcking (Constantin von Jascheroff, Im Abseits) die Provokationen mit knackigen One-Linern ("Seit Afghanistan steh' ich eh nur noch auf Verschleierte." ) und führt die Teilnehmer eines Online-Shooters als Zeugen für sein Alibi vorm heimischen Laptop an.

Das macht stellenweise großen Spaß, lässt sich aber nur bedingt mit den Videoaufzeichnungen, in denen die vier Soldaten bei der Therapie seelisch blank ziehen, vereinbaren: Die schmale Gratwanderung zwischen Seelenstriptease und unfreiwilliger Komik gelingt in diesem Tatort nicht immer.

Bewertung: 7/10

Der schöne Schein

Folge: 788 | 16. Januar 2011 | Sender: SWR | Regie: Rene Heisig
Bild: SWR/Peter Hollenbach
So war der Tatort:

Schön. Und wer schön sein will, muss bekanntlich leiden – oder wie in diesem Fall: sterben.

Als erstes (aber natürlich nicht letztes) trifft es Bonnie Marquardt, die Leiterin einer Schönheitsklinik, die in einem Schweizer Planetarium tot und mit einem Goldfisch in der Kehle aufgefunden wird, und trotz ihres Wohnorts Konstanz zunächst auf dem Leichentisch von Reto Flückiger (Stefan Gubser) landet. Flückiger?

Genau: Zum dritten Mal nach dem enttäuschenden Seenot und dem verschneiten Grenzkrimi Der Polizistinnenmörder unterstützt der Ermittler der Thurgauer Kantonspolizei die Kollegen auf der deutschen Seite des Bodensees und kommt Hauptkommissarin Klara Blum (Eva Mattes) bei einem gefühlvollen Abschiedskuss so nah wie nie zuvor. Der schöne Schein bleibt aber die letzte Zusammenarbeit der beiden: Flückiger lässt sich nach Luzern versetzen und bekommt in Kürze seinen eigenen Schweizer Tatort.

Man hätte ihm einen hochkarätigeren Abschied vom Bodensee gewünscht: Der 788. Tatort fällt vor allem im direkten Vergleich zum spannenden Der Polizistinnenmörder deutlich ab, obwohl die Ausgangslage durchaus vielversprechend ist.

Hauptkommissar Kai Perlmann (Sebastian Bezzel), der sich angesichts der dauerflirtenden Kollegen ohnehin "wie der letzte Hiwi" vorkommt, wird nämlich in bester Cenk Batu-Manier undercover in der Schönheitsklinik eingeschleust und darf sich ohne Handy und Laptop voll darauf konzentrieren, in einem blauen Bademantel durch die Entspannungszonen zu schlendern und hübsche Frauen kennenzulernen.

Denkt man zurück an seinen köstlichen Schnöselauftritt in seiner Debütfolge Bitteres Brot, böte dies reichlich Spielraum für humorvolle Zwischentöne – doch Drehbuchautorin Susanne Schneider (Engel der Nacht) weiß die Steilvorlage leider nicht zu verwandeln.

Stattdessen frühstückt die Autorin in Der schöne Schein so ziemlich jede Problematik ab, die einem im Zusammenhang mit physischer Rundumerneuerung in den Sinn kommt: gefährliche Billig-Implantate, folgenschwerer Ärztepfusch und natürlich die allgegenwärtige Frage nach der Notwendigkeit von Schönheitsoperationen, die Vollweib Blum halbherzig mit Frauenschwarm Flückiger und einer unterkühlten Klinikschwester diskutiert.


BLUM:
Lieber was Richtiges im Kopf als was Falsches im BH.

SCHWESTER:
Lassen Sie sich das doch auf ein T-Shirt drucken.


Pünktlich zur vollen Tatort-Stunde gibt es die zweite Leiche – und spätestens dann wird klar, dass Blum & Co. einen Serientäter suchen, der es offenbar auf das einst verschworene Quartett um Bonnie Marquardt, ihren in der Klinik als Anästhesist tätigen Ehemann Peter Marquardt (Johann von Bülow, Waffenschwestern) und das Chirurgenpärchen Gloria (Ursina Lardi, Wunschdenken) und Holger Riekert (Andreas Pietschmann, Fettkiller) abgesehen hat.

Da außer diesen vier Personen, zwischen denen es erwartungsgemäß heftig knirscht, nur noch zwei weitere näher beleuchtet werden, ist die Auflösung nicht weiter knifflig, wird von Regisseur René Heisig (Hexentanz) bei einer Verfolgungsjagd auf hoher See aber trotz einiger unfreiwillig komischer Momente zumindest packend in Szene gesetzt.

Ansonsten punktet der 788. Tatort vor allem – und das rettet in Konstanz ja häufig auch die schwächeren Drehbücher – mit einer stimmigen Atmosphäre: Die Bildgestaltung in der Klinik ist kalt und steril, die Welt der Reichen und Schönen erscheint herrlich oberflächlich, und der Ausblick aus der Marquardtschen Villa schlichtweg atemberaubend.

Schade, dass letzteres nicht auch für den Rest des Krimis gilt.

Bewertung: 5/10

Unter Druck

Folge: 787 | 9. Januar 2011 | Sender: WDR | Regie: Herwig Fischer
Bild: WDR/Uwe Stratmann
So war der Tatort:

Busy.

Denn wer sein deutsches und englisches Businessvokabular ein wenig aufpolieren möchte, ist bei Unter Druck genau an der richtigen Adresse: Der 49. gemeinsame Einsatz der Kölner Hauptkommissare Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) spielt im schmucken Verlagsgebäude des Kölner Abendblatts, das sich für eine anstehende Fusion ein vierköpfiges Unternehmensberaterteam ins Haus geholt hat, das den Verlag auf Herz und Nieren prüfen soll und dabei buchstäblich über Leichen geht.

Neben den Mitarbeitern, deren Stellen im Zuge der Fusion gestrichen werden müssen, bleibt auch Berater Carsten Moll auf der Strecke: Seine Leiche wird morgens nach einem spektakulären Sturz über eine Brüstung in der Lobby des Verlagsgebäudes entdeckt – das Handy noch in der Hand. Ein zwar etwas bedeutungsschwangeres, aber doch sehr treffendes Bild als Einstieg in einen Tatort, der auch im weiteren Verlauf die Work-Life-Balance zum Thema macht.

Die energische Teamleiterin und Karrierefrau Rita Landmann (Claudia Michelsen, Nachtgeflüster) legt ihr mobiles Endgerät nur im Ausnahmefall aus der Hand und gibt fast im Minutentakt Kostproben ihres verhandlungssicheren Business English, der ehrgeizige Geschäftsführer Lars Fraude (Johann von Bülow, Der schöne Schein) verbringt den Feierabend mit Geschäftsessen und die Controller Alex (Adrian Zwicker) und Valentin (Maximilian von Pufendorf, 3 x schwarzer Kater) finden kaum Zeit für geregelte Mahlzeiten.

Doch der Kölner Tatort wäre nicht der Kölner Tatort, wenn nicht auch Franziska Lüttgenjohann (Tessa Mittelstaedt) für die thematisierte Gesellschaftsproblematik herhalten müsste: Nacht um Nacht schlägt sich die langjährige Assistentin im Polizeipräsidium um die Ohren, bis auch wirklich der letzte Zuschauer begriffen hat, dass ein Leben für die Arbeit – sei es nun bei der Kölner Kripo, im Abendblatt-Verlag oder in einer Unternehmensberatung – auf Dauer nicht glücklich machen kann. 

An den mahnenden Zeigefinger, den vor allem Ballauf im Gespräch mit Landmann gen Himmel streckt, hat man sich in der Domstadt längst gewöhnt, im Vergleich zu anderen Folgen fällt die Sozialkritik in Unter Druck aber auch durchaus erträglich aus.

Die gute Besetzung, aus der kaum ein Darsteller negativ heraussticht, ist ein weiterer Pluspunkt: Neben Claudia Michelsen und Johann von Bülow überzeugt auch Hansjürgen Hürrig (Mauerpark) als gnadenlos ökonomisch denkender Verlagsleiter, dem fünfzehn leidenschaftliche Dienstjahre eines Angestellten keinen Pfifferling wert sind, wenn es um nackte Zahlen geht.

Dass Drehbuchautorin Dagmar Gabler (Schlafende Hunde) noch eine halbgare Beziehungskiste mit in den Plot quetscht, erschließt sich hingegen nicht: Die selbstmitleidigen Auftritte der quoten- und stressgeplagten Anzeigenverkäuferin Elli Klein (Christin Heim) hätte es wahrlich nicht mehr gebraucht. Gleiches gilt für Freddy Schenks nervtötende Telefonate mit seiner Enkelin, die den bekennenden BVB-Fan sogar noch beim Feierabendkölsch an der Wurstbraterei selig lächelnd zum Hörer greifen lassen.

Der 787. Tatort überzeugt daher als typischer Vertreter aus der Domstadt nur bedingt, lädt dank seiner klassischen Whodunit-Konstruktion und einem halben Dutzend Verdächtiger aber zumindest passabel zum Miträtseln ein.

Bewertung: 5/10

Tödliche Ermittlungen

Folge: 786 | 2. Januar 2011 | Sender: SWR | Regie: Michael Schneider
Bild: SWR/Andrea Enderlein
So war der Tatort:

Fortschrittlich. 

Als richtiger Laborfuchs entpuppt sich der langjährige Ludwigshafener Kriminaltechniker Peter Becker (Peter Espeloer), der Hauptkommissarin Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) und ihrem Kollegen und Mitbewohner Mario Kopper (Andreas Hoppe) seit vielen Jahren treue, wenn auch bisweilen recht mürrische Dienste leistet und dem Täter in Tödliche Ermittlungen mit brandneuen Labortechniken aus London das Handwerk legt.

Leider ist das hochmoderne Analyseverfahren, dass sich Becker angeblich selbst beigebracht hat, aber auch schon das Erfrischendste am 43. gemeinsamen Einsatz von Odenthal und Kopper, die im ersten Tatort des Jahres 2011 einmal mehr unter Beweis stellen, dass sie ihre besten Tage langsam aber sicher hinter sich haben. Lange her sind die Zeiten, in denen sich der Humor in Ludwigshafen aus amüsanten Neckereien und kleineren Zwists ergab und es noch keiner sturen Politessenblondine bedurfte, um den italienischen Kommissar auf die Palme und müde Gags im Plot unterzubringen.

Drehbuchautor Andreas Schlüter (Todesschütze) verrichtet nur Dienst nach Vorschrift und konstruiert einen vor Klischees nur so triefenden, komplett überraschungsfreien Mordfall, der auf direktem Weg in eine Hahner Polizeischule führt, in der das Opfer zuvor selbst ausgebildet wurde. Und bei dem schnell klar ist, dass es sich beim Täter entweder um Odenthals ehemaligen Dozenten, den jetzigen Schulleiter Robert Brandstetter (Christian Redl, Waidmanns Heil), oder einen der drei näher beleuchteten, aber keineswegs ausführlich skizzierten Polizeischüler – Brandstetters Sohn Torben (Matthias Ziesing, Bluthochzeit), Sabine Erler (Britta Hammelstein, Happy Birthday, Sarah) oder Heiner Struck (Adrian Topol, Das schwarze Grab) – handeln muss.

Bilderbuch-Fitnesstrainer Malte Boller (Ralph Herforth, Tödliches Verlangen) und Hobbyboxer Hasan Kiser (Fahri Yardim, feiert 2013 in Willkommen in Hamburg sein Debüt als Hamburger Tatort-Kommissar) scheiden früh als ernstzunehmende Verdächtige aus – dafür sind sie einfach viel zu kleinkriminell, und das ist in der öffentlich-rechtlichen Krimireihe ein hervorragendes Indiz für die Unschuld in Sachen Mord.

Hooligans tragen in Ludwigshafen nicht etwa schwarz, sondern blau-weiße Schals zum obligatorischen Baseballschläger und demolieren in der Stadt am Rhein mal eben ein halbes Stadtviertel, bevor sich zwei Dutzend Bereitschaftspolizisten nach getaner Arbeit mit Odenthal in ein Straßencafe hocken und die Krawallmacher im Hintergrund fröhlich plaudernd auf ihre Abholung warten.

Kaffeetassenkino gibt es in Ludwigshafen auch wieder zu bestaunen: Einfach mal in Minute 71 und 72 drauf achten, wie akribisch Adrian Topol seine von der Requisite gar nicht erst gefüllte, aber offenbar schon wieder leergetrunkene Tasse nachfüllt, um danach noch einmal einen großen Schluck des unsichtbaren Kaffees hinunterzustürzen. Angesichts solcher Mängel nimmt man die hanebüchene Funkzellenauswertung von Assistentin Edith Keller (Annalena Schmidt), die fix ein Wabenmuster über einen Stadtplan legt und daraus messerscharf Routen schlussfolgert, schon fast beiläufig zur Kenntnis.

Wahrlich kein gelungenes Debüt für den langjährigen TV-Krimi-Regisseur Michael Schneider, dessen erster Tatort Tödliche Ermittlungen bis heute sein letzter geblieben ist – was aber wohl eher dem schwachen Drehbuch als seiner soliden Inszenierung geschuldet ist.

Bewertung: 3/10