Falsch verpackt

Folge: 832 | 25. März 2012 | Sender: ORF | Regie: Sabine Derflinger
Bild:  rbb/ORF/Petro Domenigg
So war der Tatort:

Selbstkritisch.

Denn in zwei bemerkenswerten Szenen ihrer vierten gemeinamen Mörderjagd zweifeln die beiden Wiener Ermittler Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) und Bibi Fellner (Adele Neuhauser) an ihren eigenen Fähigkeiten.

Das Bemerkenswerte daran: Nicht nur die angetrunkene Fellner, bekanntlich deutlich näher am Wasser gebaut als ihr männlicher Kollege und einmal mehr in Sachen Alkohol rückfällig geworden, kommen dabei die Tränen: Auch Eisner weint, nachdem ihm Fellners Stecher und krimineller Zuhälterfreund Inkasso-Heinzi (Simon Schwarz, bereits in Ausgelöscht in der gleichen Rolle zu sehen) ohne Vorwarnung die Nase gebrochen hat.

Eine derart verletztliche Seite konnte der Zuschauer bis dato selten beim Wiener Chefinspektor, der auch in Falsch verpackt wieder die Eskapaden seiner umtriebigen Kollegin ausbaden muss, selten ausmachen.

Das bedeutet freilich keineswegs, dass der 832. Tator ausschließlich nachdenkliche Töne anstimmen würde: Gerade die gesunde Mischung aus Drama, Satire, Thriller und klassischen Krimi-Elementen macht den Wiener Tatort und sein unverbrauchtes Ermittlerduo im Jahr 2012 zu einem der sehenswertesten der Krimireihe. Der Humor beispielsweise ist spürbar subtiler dosiert als bei den Münsteraner Kollegen Thiel und Boerne – von einer grandiosen Sequenz, in der Claudia Eisner (Tanja Raunig) den abgetrennten Kopf eines Chinesen im Kühlschrank ihres Vaters findet, einmal abgesehen.


CLAUDIA:
Papa!? Da ist ein Kopf in unserem Kühlschrank!

EISNER:
Ja, sorry. Ist meiner.


Wenig subtil fallen auch die Flirtversuche der hübschen Claudia Wiesner (Stefanie Dvorak) aus, die Eisner ("Du hast ja 'nen schönen Busen - aber du musst ihn mir net immer ins Gsicht halten.")  bereits in Ausgelöscht schöne Augen machte und weiterhin konsequent ignoriert wird.

Für Affären mit jungen Dingern hat der Ermittler schließlich keine Zeit, haben Fellner und Eisner doch auch in Falsch verpackt wieder alle Hände voll zu tun: Tiefgefrorene Leichen müssen aufgetaut, Torsoteile akribisch aus Müllcontainern und Hinterhöfen zusammengetragen und angeknabberte Finger zur Laboruntersuchung aus den Mäulern spielender Hunde gerettet werden.

Was Regisseur Fabian Eder im überragenden Meilenstein Kein Entkommen, der es auf stolze 15 Leichen und literweise Kunstblut brachte, begann, setzt seine österreichische Kollegin und Tatort-Debütantin Sabine Derflinger in Falsch verpackt fort: Der Wiener Tatort ist einer der blutigsten der Reihe und nicht für zartbesaitetes Fernsehpublikum gemacht.

Das Drehbuch von Martin Ambrosch, der lediglich Eisners Diätversuche ein wenig halbherzig ausarbeitet, geizt ebenfalls nicht mit Todesfällen, überzeugt vor allem durch die zu Ende gedachte Auflösung und hat noch eine rührende Schlusssequenz in der Hinterhand, in der Eisner und Fellner – passend zum abgeschlossenen Fall – auf einer Parkbank Drei Chinesen mit dem Kontrabass anstimmen und sich gegenseitig mit Kaviar füttern.

Ein wenig skurril und kauzig sind sie ja manchmal, die beiden – aber man muss sie einfach ins Herz schließen.

Bewertung: 8/10

Hinkebein

Folge: 831 | 11. März 2012 | Sender: WDR | Regie: Manfred Stelzer
Bild: WDR/Martin Menke
So war der Tatort:

Erst overdressed – dann underdressed.

Ziemlich merkwürdig schaut er in Hinkebein aus, der Hauptkommissar Frank Thiel (Axel Prahl): Erst pellt er sich zum Auftakt in einen 200 Euro teuren Anzug, um vor einer Abordnung russischer Kollegen eine feierliche Willkommensrede zu stottern und sich postwendend zum Gespött seines Vermieters und Nachbarn Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers) zu machen – und später jagt er dann dem flüchtigen Hauptverdächtigen Heinz "Hinkebein" Kock (Wolfram Koch, Ordnung im Lot) in Boxer-Shorts und St. Pauli-Shirt in einen stattlich gefüllten Kinosaal hinterher.

Den etwas zu groß geratenen Zwirn, dessen sich Thiel nach einer Viertelstunde zum Glück wieder entledigen darf, trägt der Ermittler aus Münster auch in der besten Szene des Krimis des 21. gemeinsamen Einsatzes mit seinem Kollegen Boerne: Man begegnet sich mal wieder im Hausflur, weil Boerne in ohrenbetäubender Lautstärke Richard Wagners Walküre aufdreht und Thiel   kurzerhand die Sicherung rausknipst.


BOERNE: Ist das Ihre neue Dienstkleidung? Gab's die auch in Ihrer Größe oder glauben Sie, Sie wachsen noch?

THIEL: 
Und Sie? Verdienen Sie sich'n bisschen was dazu? Beim Chinesen?


Mit Hinkebein bietet der diesmal von Manfred Stelzer (Spargelzeit) inszenierte Quotenrenner dem erwartungsfrohen Publikum einmal mehr ein Dialogfeuerwerk erster Güte, denn auch Staatsanwältin Wilhelmine Klemm (Mechthild Grossmann), die Kock bei einer illegalen Zigarettenpause unfreiwillig zur Flucht verhilft, zeigt sich in Top-Form ("Keine Sorge, ich nehme das natürlich auf meine Kippe."). 

Wenngleich das eingespielte Autorengespann Stefan Cantz und Jan Hinter, das schon zahlreiche Drehbücher zu Münster-Folgen wie Der dunkle Fleck oder 3 x schwarzer Kater schrieb, Boerne in einigen Sequenzen noch stärker überzeichnet als gewohnt, sind es doch vor allem die Sequenzen mit dem Forensiker, die einmal mehr für die lautesten Lacher der Krimisatire sorgen.

Ein stilvoller Japan-Abend mit Sushi und Hausmusik, die amüsanten Frotzeleien mit Silke "Alberich" Haller (Christine Urspruch), vor allem aber die knauserigen Auseinandersetzungen mit Thiels "Vaddern" Herbert (Claus Dieter Clausnitzer) um eine nicht bezahlte Taxirechnung – dem 831. Tatort mangelt es wahrlich nicht an amüsanten Einfällen.

Dass Boernes Begegnung mit seiner ehemaligen Geliebten Katja Braun (Tanja Schleiff, Mein Revier) erst so richtig witzig wird, als er auf dem Obduktionstisch an ihrer Leiche herumsägt und Thiels Magen damit an die Belastungsgrenze bringt, ist dabei ebenso leicht zu verschmerzen wie Nadeshda Krusensterns (Friederike Kempter) müde ausgearbeitete Affäre mit einem russischen Kollegen, die das ansonsten sehr originelle Drehbuch überhaupt nicht nötig hat.

Denn auch ohne diesen halbherzig in den Plot geflochtenen Einfall harmonieren Thiel und Boerne einmal mehr prächtig und bieten beste Unterhaltung – Hinkebein ist einer der letzten wirklich guten Fälle aus Münster, ehe es in den Jahren darauf fast kontinuierlich in den Keller geht.

Bewertung: 8/10

Scherbenhaufen

Folge: 830 | 4. März 2012 | Sender: SWR | Regie: Johannes Grieser
Bild: SWR/Stephanie Schweigert
So war der Tatort:

Zerbrechlich – und das sowohl im wörtlichen als auch im übertragenen Sinne.

Große Teile von Scherbenhaufen spielen nämlich in den Produktionshallen und Büroräumen einer Stuttgarter Porzellanmanufaktur: Thorsten Lannert (Richy Müller) und Sebastian Bootz (Felix Klare) ermitteln bei ihrem zehnten gemeinsamen Einsatz in der baden-württembergischen Landeshauptstadt in einem Familienunternehmen, das den Anschluss an die technischen Neuerungen der Porzellanindustrie verpasst hat und kurz vor dem Scherbenhaufen der eigenen Schlafmützigkeit steht.

Seniorchef Otto Imberger (Otto Mellies, Sag nichts), der im Betrieb von seinen Söhnen Lukas (Ole Puppe, Schweinegeld) und Gerald (Felix Eitner, Tote Männer) unterstützt wird, wird einleitend Opfer eines Attentats, bei dem sein Chauffeur sein Leben lässt, und steht auch sonst ganz im Mittelpunkt der Geschichte.

Der Tod von Imbergers Fahrer bietet Hauptkommissar Bootz, der eigentlich einen Urlaub mit seiner wenig erfreuten Ehefrau Julia (Maja Schöne) geplant hatte, nämlich die günstige Gelegenheit, sich undercover als Imbergers Chauffeur und Leibwächter im Familienunternehmen einzuschleichen – was zugleich bedeutet, dass Lannert und Bootz über weite Strecken getrennte Wege gehen und sich (wie auch der Hamburger Tatort-Kollege Batu und sein Chef Kohnau) immer wieder heimlich treffen müssen. Das sorgt im Mittelteil des 830. Tatorts für mehrere Lacher, weil beide Kommissare diebische Freude dabei empfinden, ihre Rolle im Umgang miteinander zu überzeichnen und dem anderen eins auszuwischen.

Imberger als gealterter Großindustrieller, der mit den Herausforderungen der modernen Wirtschaft überfordert und auf seine strategisch ganz unterschiedlich agierenden Söhne und Erben angewiesen ist, findet in Bootz hingegen eine neue Bezugsperson, der er sein Herz ausschüttet und deren vermeintliche Loyalität er schnell zu schätzen weiß.

Mit dem leinwanderprobten Otto Mellies ist die Rolle ideal besetzt. Er lotet den labilen, ja zerbrechlichen Imberger charakterlich überzeugend aus und spielt die übrigen Nebendarsteller mit seiner großartigen Performance praktisch an die Wand. "Irgendwie hab ich ihn gemocht", resümiert ein trauriger Bootz kurz vor Ende des Films und spricht dem Zuschauer damit aus der Seele.

Dass Scherbenhaufen eher Familiendrama als Tatort ist, liegt neben dem dialoglastigen Drehbuch aus der Feder des eingespielten Autorenduos Eva und Volker A. Zahn (Die Unsichtbare) vor allem an der ruhigen, mit einem stimmig-melancholischen Score unterfütterten Inszenierung von Johannes Grieser (Nasse Sachen), der erst auf der Zielgeraden zwei Gänge hochschaltet. Da wird es dann auch zum ersten Mal so richtig spannend – ansonsten schlägt die Spannungskurve bei Bootz' amüsantem Undercover-Versteckspiel und Lannerts akribischen Ermittlungen eher selten nach oben aus.

Bewertung: 6/10