Ein neues Leben

Folge: 848 | 28. Oktober 2012 | Sender: BR | Regie: Elmar Fischer
Bild: BR/Bernd Schuller
So war der Tatort:

Ein bisschen wie DSDS, Popstars und die anderen, unzähligen Castingshow-Ableger.

Am Anfang steht in Ein neues Leben das große Casting in einem schmucken Münchener Hotel: Während die Jury, bestehend aus der forschen Isabella (herrlich fies: Nina Proll, Passion) und der sensibleren Sandra (zumindest hübsch anzusehen: Mina Tander, Blutschrift) sitzt, steht der Kandidat, der von einem neuen Leben träumt, stocksteif im Raum und muss sich neben löchernden Fragen auch noch abwertende Kommentare in Bezug auf sein Einkommen und seinen Lebenslauf gefallen lassen.

Wer sein Handy nach dem erfolgreichen Vorsprechen bei den Chefinnen der Drückerkolonne, die sich angeblich mit Spendengeldern gegen das Abschlachten von Robben stark macht, nicht abgibt, kann sich den Recall gleich abschminken. Lässt sich der Kandidat – in diesem Fall der undercover ermittlende Hauptkommissar Ivo Batic (Miroslav Nemec) – aber auf das Spiel ein, wird er postwendend in die große Gemeinschaftsvilla der Drückerkolonne verfrachtet. Ganz wie bei DSDS oder Big Brother eben - nur, dass statt festinstallierten Kameras argwöhnische Kollegen für die Überwachung sorgen, das Preisgeld deutlich niedriger angesetzt ist und im harten Drückergeschäft keine Zeit für falsche Tränen bleibt.

Undercover-Einsätze, mit denen in den letzten Jahren vor allem der Hamburger Kollege Cenk Batu (Mehmet Kurtulus) für Furore in der zu diesem Zeitpunkt in Sachen Drehbuchvielfalt doch recht überschaubaren Tatort-Landschaft sorgte, sind für Batic übrigens nichts Neues: 2007 schlich sich der Münchener Kommissar zum Beispiel in der starken Folge Der Finger als Küchenhilfe in einem Gourmetrestaurant ein, um dort den gestressten Köchen auf den Zahn zu fühlen.

Mit Der Finger oder Batu-Meilensteinen wie Der Weg ins Paradies oder Auf der Sonnenseite kann Ein neues Leben leider selten mithalten: Regisseur Elmar Fischer, der zuletzt die ersten beiden Fälle der Stuttgarter Kollegen Lannert und Bootz (Hart an der Grenze und In eigener Sache) inszenierte, gelingt es kaum, beim Treiben in der Villa und den Streifzügen ihrer Bewohner für echte Spannung und Überraschungen zu sorgen.

Zudem bremst das Drehbuch aus der Feder von Fred Breinersdorfer (Quartett in Leipzig) und Léonie-Claire Breinersdorfer (Aus der Traum) die Batic-Schnüffeleien immer wieder unnötig aus: Kollege Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) muss sich auf dem Präsidium mit Fechner (Kabarettist Maxi Schafroth) herumschlagen, dem furchtbar anstrengenden Neffen seines Vorgesetzten. Der eifert ihm in Sachen lockiger Haarpracht zwar eindrucksvoll nach, erweist sich dank seiner Redseligkeit ansonsten aber als wenig amüsante Nervensäge, die im Verlauf der neunzig Tatort-Minuten für keinen einzigen Lacher sorgt.

Als interessantester Handlungsstrang erweist sich vielmehr die problematische Beziehung zwischen der dominanten Isabella und ihrer Partnerin Sandra, die zwar mit ihr das Bett teilt, zugleich aber regelmäßige Quickies mit Drücker Arman (Navid Akhavan) einschiebt. Das rettet Ein neues Leben immerhin noch ins Mittelmaß, denn ansonsten verlässt der 848. Tatort, der nie die Klasse vieler Münchner Folgen der letzten Jahre erreicht, die ausgetretenen Genrepfade bis zum blutigen Showdown im Wald nur selten.

Bewertung: 5/10

Tote Erde

Folge: 847 | 21. Oktober 2012 | Sender: SWR | Regie: Thomas Freundner
Bild: SWR/Alexander Kluge
So war der Tatort:

Perfekt getimt.

Die ARD strahlt Tote Erde, den elften gemeinsamen Einsatz der Stuttgarter Hauptkommissare Thorsten Lannert (Richy Müller) und Sebastian Bootz (Felix Klare) nämlich nicht an irgendeinem Sonntag aus, sondern am 21. Oktober 2012, am Abend der Oberbürgermeister-Wahlen in Stuttgart.

Da Baden-Württemberg mit Winfried Kretschmann seit einigen Monaten nicht nur den ersten grünen Ministerpräsidenten in der Geschichte der Bundesrepublik, sondern die baden-württembergische Landeshauptstadt mit Fritz Kuhn kurz darauf auch einen neuen grünen Stadtvater hat, passt die umweltthemenlastige Geschichte, die der vierzehnfache Tatort-Regisseur Thomas Freundner (Väter) gemeinsam mit Debütant Wolf Jakoby geschrieben hat, wie die Faust aufs Auge zur Heimat der engagierten Wutbürger und Parkschützer.

Überzeugend ist der Krimi deswegen noch lange nicht: Freundner und Jakoby siedeln ihr klassisches Whodunit.-Konstrukt im Milieu studentischer Umweltaktivisten an, die auf den selten dämlichen Namen "Eco-Pirates" hören und politisch irgendwo zwischen Piratenpartei, Anonymous und der 68er-Bewegung anzusiedeln sind.

Dabei bedienen nicht nur Studentin Melli (Paula Kalenberg, Bermuda) und ihr gesundheitlich angeschlagener Aktivistenfreund Timo (Philipp Quest) so ziemlich jedes Klischee: Vor allem die nervtötende Wahrsagerin Saraswati (Katharina Heyer, Brandmal), der eine Schlüsselrolle im 847. Tatort zukommt, fällt als Figur erschreckend eindimensional aus – Handlesen inklusive.

Lannert und Bootz müssen bei ihren Ermittlungen zum ersten Mal auf die Unterstützung der gänzlich unschwäbischen Staatsanwältin Emilia Álvarez (Carolina Vera, kurz vor den Dreharbeiten erkrankt) verzichten: Die gebürtige Stuttgarterin Natalia Wörner (Martinsfeuer), zuletzt unter anderem in der schwäbischen Klamotte Die Kirche bleibt im Dorf im Kino zu sehen, tut als Staatsanwältin Henrike Habermas genau das, was zu befürchten ist: Sie schwäbelt sich bemüht durch sämtliche Dialoge und wackelt schon in den Anfangsminuten des Krimis mit ihrem blanken Busen, den das TV-Publikum kurz zuvor bereits in der Sat.1-Verfilmung Die Säulen der Erde bewundern durfte, durchs Bild.

Doch ob Quickie im Hotel, Karaoke-Abend oder überraschender Heitratsantrag: Keine der kitschigen Techtelmechtel-Szenen mit dem schmierigen Unternehmer Johannes Riether (der spätere Berliner Tatort-Kommissar Mark Waschke, Familienbande) bringt die Handlung auch nur einen Deut voran. Viel einfacher wäre es gewesen, die Liebesbeziehung zwischen Habermas und Riether zu streichen – dann wäre auch etwas mehr Zeit für das Privatleben von Lannert und Bootz geblieben, in das diesmal Bewegung kommt.

So versandet Tote Erde früh als klischeebeladener, selten spannender Öko-Krimi, der zwar viel schwäbisches Lokalkolorit mitbringt, inhaltlich aber durchfällt und bis heute zu den schwächsten Fällen mit Lannert und Bootz zählt.

Bewertung: 3/10

Borowski und der freie Fall

Folge: 846 | 14. Oktober 2012 | Sender: NDR | Regie: Eoin Moore
Bild: NDR/Marion von der Mehden
So war der Tatort:

In der Realität verankert.

Denn im Jahr 1987 ging das Bild des tot in einer Genfer Hotelbadewanne aufgefundenen schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Uwe Barschel um die Welt: Mord oder Selbstmord? Seit mittlerweile 25 Jahren ranken sich wilde Theorien um den Schlusspunkt der Waterkantgate-Affäre – von Suizid und Sterbehilfe bis hin zu Stasi-Verwicklungen, BND-, CIA- und Mossad-Auftragsmord ist so gut wie alles dabei.

Nun wagt Regisseur und Drehbuchautor Eoin Moore mit Borowski und der freie Fall ein bemerkenswertes Experiment: Er verschränkt seinen Kieler Tatort mit dem zeitgeschichtlichen Kriminalfall, bezieht dabei sogar Stellung und stiehlt sich erst auf der Zielgeraden ein wenig aus der (Barschel-)Affäre. Ein Videotape bringt neues Leben in die eigentlich zu den Akten gelegten Fall, dem selbst der Fund einer DNA-Spur vor wenigen Monaten kein neues Leben einzuhauchen vermochte.

Wer von dem umstrittenen Ex-Politiker ("Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort!", auch Borowskis letzte Worte im Film) und seinem vieldiskutierten Ableben noch nie gehört hat, wird dank des öffentlich-rechtlichen Bildungsauftrags weich aufgefangen: Moore, der nach der Stuttgarter Episode Altlasten zum zweiten Mal einen Tatort inszeniert, zitiert Nachrichtenbeiträge und schreibt Hauptkommissar Klaus Borowski (Axel Milberg) und Kommissarsanwärterin Sarah Brandt (Sibel Kekilli) Zeilen ins Skript, die das historisch weniger bewanderte Publikum mit dem nötigen Grundwissen versorgen.

Der markige Dialogwitz, der das Verhältnis der beiden seit jeher kennzeichnet, kommt dabei dennoch nicht zu kurz.


BOROWSKI:
Sie sind so eine, die mit 35 Schladitz' Stelle haben will, oder?

BRANDT:
Ihre würde mir auch schon reichen.


Auch sonst darf erfreulich oft gelacht werden: So fuchtelt Borowski, der nach dem denkwürdigen Abgang seines rostigen Passats nun einen roten Volvo fährt, wie ein talentfreier Aushilfsmagier mit der Hand über Brandts iPad, in der vergeblichen Hoffnung, dass sich auf dem Tablet etwas regt.

Auch die aus der Not geborene Männer-WG mit seinem Vorgesetzten Roland Schladitz (Thomas Kügel) generiert einige Lacher, wenngleich die Szenen nicht ganz so köstlich ausfallen wie im herausragenden Brandt-Erstling Borowski und die Frau am Fenster.

Schwächeln tut Borowski und der freie Fall ein wenig im Nebenhandlungsstrang um das Outing des ambitionierten Politikers Karl Martin von Treunau (Thomas Heinze, Keine Polizei): Zwar fällt der Medienterror deutlich authentischer aus als im ähnlich gelagerten Berliner Tatort Eine ehrliche Haut, doch wird am Ende ein bisschen zuviel Trara um einen homosexuellen Abgeordneten gemacht, der zu Zeiten schwuler deutscher Außenminister und Berliner Bürgermeister in der Realität längst nichts Besonderes mehr ist.

Der entscheidende Schönheitsfehler, der eine höhere Wertung des ansonsten erstklassig und spannend konstruierten Krimis verhindert, ist aber ein altbekanntes Tatort-Problem: Einmal mehr ist der/die prominenteste/r Nebendarsteller/in der/die Mörder/in – und das macht den 846. Tatort trotz aller Experimentierfreude im Endeffekt doch ziemlich vorhersehbar.

Bewertung: 8/10

Nachtkrapp

Folge: 845 | 7. Oktober 2012 | Sender: SWR | Regie: Patrick Winczewski
Bild: SWR/Peter Hollenbach
So war der Tatort:

Gar nicht mal so gruselig, wie es der Trailer zu Nachtkrapp, dem 10-jährigen Konstanzer Tatort-Jubiläum nach dem Erstling Schlaraffenland, hatte erhoffen lassen.

Dabei ist mit der Ausgangslage, bei der ein finster im Fenster erscheinender Kinderschreck – der Nachtkrapp – nachts in ein Schullandheim eindringt und einen kleinen Jungen bestialisch ermordet, eigentlich alles wie gemalt für einen packenden, düsteren und stimmungsvollen Tatort, bei dem Regisseur Patrick Winczewski (Tod auf dem Rhein) mit einer gekonnten Inszenierung die kindlichen Urängste seines Publikums wecken könnte.

Auf eben jene zielt er zweifellos ab – scheitert dabei aber recht kläglich. Nachtkrapp ist zwar (es handelt sich schließlich um einen Bodensee-Tatort) fantastisch fotografiert und spielt vor herbstlichen See- und Alpenpanoramen, aber leider alles andere als spannend.

Nach dem passablen Auftakt im Schullandheim kämpft sich Drehbuchautorin und Tatort-Debütantin Melody Kreiss mühsam durch einen müden Rundumschlag gegen die katholische Kirche, heiratswillige Asiatinnen (Young-Shin Kim, Der Traum von der Au) und das Kompetenzgerangel zwischen Hauptkommissarin Klara Blum (Eva Mattes), Kai Perlmann (Sebastian Bezzel) und Matteo Lüthi (Roland Koch), der zuletzt für den Schweizer Nachrichtendienst tätig war und nun für die Abteilung Leib und Leben der Thurgauer Kantonspolizei im Einsatz ist.


PERLMANN:
So 'ne Art James Bond für Arme.


Natürlich ist der inoffizielle Nachfolger von Reto Flückiger (Stefan Gubser), der sich vom Gastkommissar in Bodensee-Tatorten wie Der Polizistinnenmörder zum neuen Schweizer Tatort-Kommissar in Luzern gemausert hat, kein Teamplayer – alles andere wäre ja auch neu. Kreiss scheint um die schreckliche Gewöhnlichkeit ihrer Figurenkonstellation zu wissen und verschwendet daher auch kaum mehr als wenige Drehbuchminuten darauf, Lüthi und die Kollegen aus Konstanz giften und rangeln zu lassen.

Stattdessen eröffnet sie mit der Entführung von Klara Blum, die in bester Odenthal-Tradition künstliche Spannung schüren soll, einen zwar angemessen ausgearbeiteten, für die Suche nach dem geheimnisvollen Nachtkrapp aber leider völlig überflüssigen Nebenkriegsschauplatz, der Perlmann, Lüthi und – sie ist zurück – Annika "Beckchen" Beck (Justine Hauer) bei der Suche ihrer Kollegin ein wenig zusammenschweißt.

Retten tut den 845. Tatort letztlich eine glänzende Leistung der hollywooderprobten Eva Mattes, deren gebeutelte Hauptkommissarin ungewohnt lautstark auftritt, schreit, in Tränen ausbricht und in den Gesprächen mit ihrem pädophilen Entführer Holger Nussbaum (Hansa Czypionka, Inflagranti) zu Hochform aufläuft.

Dass Nussbaum nicht der Täter ist, offenbart sich leider schon lange vor dem Kidnapping – dann nämlich bleibt die Kamera von Ralf Nowak einen fatalen Moment zu lang auf dem Gesicht des wahren Täters.

Bewertung: 4/10