Puppenspieler

Folge: 864 | 24. Februar 2013 | Sender: Radio Bremen | Regie: Florian Baxmeyer
Bild: Radio Bremen/Jörg Landsberg
So war der Tatort:

Angenehm zurückhaltend. 

Denn nach dem nervtötenden Ordnung im Lot, dem schwächsten Tatort des Jahres 2012, und dem kaum weniger katastrophalen, überdrehten Nachfolger Hochzeitsnacht schaltet Regisseur Florian Baxmeyer, der auch beim letzten Bremer Tatort Regie führte, diesmal zwei Gänge zurück. Und das Ergebnis kann sich sehen lassen: Puppenspieler entpuppt sich früh als atmosphärisch dichter Krimi, der seinem Publikum selten Verschnaufspausen gönnt und immer dann an Fahrt gewinnt, wenn sich gerade Längen einzuschleichen drohen.

Das ist nicht zuletzt dem ungewöhnlichen Drehbuch von Christian Jeltsch (Der illegale Tod) zu verdanken, das sich mit einer klassischen Auftaktleiche und konventioneller Ermittlungsarbeit nicht zufrieden gibt: Wie zuletzt im soliden Wiener Tatort Zwischen den Fronten ist der Mord am jugendlichen Ole (Sven Gielnik) einer weitaus größeren Angelegenheit – hier: der geplanten Weservertiefung und einer Sextape-Erpressung – untergeordnet. Hauptkommissarin Inga Lürsen (Sabine Postel) und ihre männlichen Kripo-Kollegen bekommen das BKA vor die Nase gesetzt, das natürlich nicht mit offenen Karten spielt und andere Ziele verfolgt als die Bremer Beamten.

Keine besonders originelle Idee, doch Jeltsch und Baxmeyer, der seine Bilder in mehreren Sequenzen gekonnt parallel montiert, verzichten über weite Strecken auf das bekannte Kompetenzgerangel: Statt sich in Revierstreitigkeiten zu verheddern, konzentrieren sich die Filmemacher in Puppenspieler auf den Mordfall, und der wird im Rahmen einer nächtlichen Verfolgungsjagd nicht nur packend inszeniert, sondern in der Folge auch ansprechend ausgearbeitet – allen kleineren Unglaubwürdigkeiten wie den mobilen Einsatzteams in LKW zum Trotz. 

Und dann ist da noch Leo Uljanoff (köstlich: Antoine Monot Jr., Das Dorf), der Neue, Typ Teddybär, dessen lebensfrohes Naturell in Bremen beileibe nicht jedem schmeckt.


KATZMANN: Ich mag den nicht. Der ist mir viel zu freundlich.

LÜRSEN: 
Tja. Da siehste mal, was du an mir hast.


Uljanoff, der die blonde Kommissarin nach einer kurzen Phase des Abwartens und gemeinsamen Tee-Trinkens prompt in die Horizontale bittet, bringt gehörig frischen Wind in den Bremer Tatort und stiehlt dank seiner entwaffnend blendenden Laune gleich mehrere Szenen.

Der kaffeeverschmähende Hobby-Philosoph erinnert ein wenig an Publikumsliebling Gisbert aus dem herausragenden Münchener Tatort Der tiefe Schlaf, ohne sich aber in dessen Manier in den Vordergrund zu drängen: Uljanoffs sympathische Coolness ist subtilererer Natur, Monot Jrs Spiel dabei erfreulich zurückgenommen.

Im 864. Tatort steht schließlich auch der abwanderungswillige Stedefreund im Mittelpunkt: Die nachdenklichen, selbstreflexiven Momente und die Aussprache mit Lürsen tun der bis dato recht überschaubaren Charakterzeichnung der Figur gut. Oliver Mommsen darf in den Szenen mit der minderjährigen Prostituierten Mel (überzeugend: der spätere Shootingstar Jella Haase) endlich einmal zeigen, dass schauspielerisch mehr in ihm steckt als der genügsame Assistent, der in Tote Männer mit Lürsens Tochter Helen Reinders (Camilla Renschke) schlief.

Trotz des sich drehenden Personalkarussells bleibt der Kriminalfall aber stets Antriebsfeder der Handlung und punktet mit einigen guten Einfällen: Exemplarisch sei hier etwa der zufällig über die Schulter geschossene Schnappschuss des Killers genannt, der die Ermittler auf die richtige Spur bringt.

Damit ist Puppenspieler, in dem Christoph M. Ohrt (Alp-Traum) nach sechzehnjähriger Tatort-Abstinenz als Richter Konrad Bauser eine Schlüsselrolle einnimmt, der beste Bremer Tatort seit Jahren und ein erfreuliches Lebenszeichen nach den zuletzt indiskutablen Krimis aus der Hansestadt.

Bewertung: 7/10

Zwischen den Fronten

Folge: 863 | 17. Februar 2013 | Sender: ORF | Regie: Harald Sicheritz
Bild: rbb/ORF/Petro Domenigg
So war der Tatort:

Vielsprachig. 

Beim fünften gemeinsamen Einsatz von Sonderermittler Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) und Major Bibi Fellner (Adele Neuhauser) wird nämlich im ersten Filmdrittel gefühlt jeder zweite Satz auf Englisch gesprochen und auch sonst ein buntes Dialekt- und Akzentfeuerwerk abgebrannt, das in der Tatort-Geschichte bis dato seinesgleichen sucht. 

Das Wiener Duo, das zuletzt in Falsch verpackt und dem überragenden Thriller Kein Entkommen in zwei der stärksten Tatort-Folgen des Jahres 2012 zu sehen war, wird diesmal auf einen eher ungewöhnlichen Mordfall angesetzt: Ums Leben kommt Selbstmordattentäter Kásim Bagdadi (Samy Hassan), der bei einer internationalen Konferenz der Vereinten Nationen einen Vortrag über die politische Internetplattform Comet halten soll, es aber offenbar auf das Leben von Konferenzleiter Marcus Sherman abgesehen hat und einen Wiener Polizisten mit in den Tod nimmt. 

Während sich Sherman und seine Tochter mühsam auf Englisch unterhalten und die einflussreichen Mitglieder der offenbar in den Anschlag involvierten Organisation "Semper Veritas" gar auf Latein ihr Tischgebet sprechen, plappern Eisner und Fellner wie gewohnt Wienerisch, treffen aber auch auf pakistanische Kioskbesitzer und werden zunächst zum Stillhalten verdonnert. 

Der hochtrabende BVT-Kollege Fred Michalski (Kabarettist Alfred Dorfer), der mehr über den Anschlag zu wissen scheint als alle anderen, setzt dem ungleichen Duo nämlich Major Melanie Warig (Susanne Wuest) vor die Nase, die sich in der Folge nachhaltig für den Titel "kühlste Nebenfigur der Tatort-Geschichte" empfiehlt, immer wieder den Unmut Eisners  auf sich zieht und erst auf der Zielgeraden ein wenig auftaut. 

Der Zufall und Drehbuchautorin Verena Kurth wollen es, dass ausgerechnet Eisners Tochter Claudia (Tanja Raunig) regelmäßig auf Comet aktiv ist und ihrem Papa daher mehr über den Attentäter verraten kann: Der ermittelt dank seines Wissensvorsprungs bald Zwischen den Fronten, wird aber immer dann ausgebremst, wenn Fellner und er gerade einen kleinen Erfolg erzielt haben. Nicht unbedingt die originellste Geschichte, die der 863. Tatort erzählt, doch ist sie in Zeiten von Anonymous, Piratenpartei und Occupy-Bewegung zumindest am Puls der Zeit.

Kurth tut gut daran, dass mit dem Kriegsheimkehrer Martin Ledic (Vedran Kos) auch jemand zum Kreis der Verdächtigen zählt, der Bagdadi vielleicht einfach nur aus Liebe zu Sherman-Tochter Mary (Geneviève Boehmer) ermordet hat: So dürfen Eisner und Fellner auch ein wenig klassische Ermittlungsarbeit fernab von Hierarchiefragen und politische motiviertem Taktieren leisten.

Dennoch gelingt es Regisseur Harald Sicheritz, der zuletzt den hervorragenden Tatort Ausgelöscht inszenierte, zu selten, Spannung zu erzeugen, weil die Revierkämpfe zwar Emotionen schüren, ansonsten aber alles nach Schema F verläuft. Selbst Fellner, zuletzt kein Kind von Traurigkeit, gibt sich diesmal handzahm: keine Parties, kein Inkasso-Heinzi, kein Saufgelage. 

Außer bei einem kurzen Flirt mit Oberst Sebastian Moslechner (Oliver Karbus) schlägt sie kaum über die Stränge, dafür aber beim Showdown im Autohaus Hoppenstädt (ohne Opa und Lametta) kompromisslos mit einem Auspuff zu. Letztere Szene ist eine der wenigen wirklich amüsanten in einem auffallend ernsten Wiener Tatort, der zwar eine nette Schlusspointe zum Thema staatliche Überwachung bietet, aber selten auf Touren kommt und von Hochkarätern wie Kein Entkommen weit entfernt ist.

Bewertung: 5/10

Schmutziger Donnerstag

Folge: 862 | 10. Februar 2013 | Sender: SRF | Regie: Dani Levy
Bild: ORF/ARD/Nikkol Rot
So war der Tatort:

Fasnächtlich.

Der dritte gemeinsame Einsatz der Hauptkommissare Reto Flückiger (Stefan Gubser) und Liz Ritschard (Delia Mayer) findet nämlich mitten im Luzerner Fasnachtstrubel statt: Es ist schließlich Schmutziger Donnerstag, und dementsprechend verwandelt sich die vor feierfreudigen Menschen nur so berstende Innenstadt in ein riesiges, alkoholschwangeres Volksfest.

Folgen hat dies nicht nur für den angesehenen Politiker Franz Schäublin, der in der unübersichtlichen bunten Menge von einem als Tod verkleideten Unbekannten brutal erstochen wird, sondern auch für Ermittlerin Ritschard, die die Nacht nach den ausufernden Feierlichkeiten mit einer Frau im Bett verbringt. Hoppla!

Figurentechnisch tut sich also endlich was im Schweizer Tatort: Nachdem Flückigers Kollegin bei ihren ersten beiden Auftritten im schwachen Skalpell und im noch schwächeren Hanglage mit Aussicht charakterlich vollkommen unskizziert blieb, erfährt das Fernsehpublikum nun erstmalig mehr über die Frau an der beruflichen Seite des diesmal auffallend schlecht gelaunten Kommissars und Hobbyseglers, der mit Fasnacht herzlich wenig am Hut hat und auf seinem Boot die Ruhe vor dem Trubel und dem Feuerwerk sucht. 

Erfreulicherweise bleibt Ritschards kurze, wenn auch leidenschaftliche Liaison letztlich ebenso Randnotiz wie der vollkommen überflüssige Cameo-Auftritt des Schweizer Ex-Eurodance-Stars DJ Bobo (Pray, Everybody), der dem unvorbereiteten Publikum nicht einmal auffallen, geschweige denn in Erinnerung bleiben dürfte. Regisseur Dani Levy, für den die öffentlich-rechtliche TV-Landschaft noch Neuland ist, konzentriert sich stattdessen in erster Linie auf seinen Kriminalfall, schaltet nach einer gelungenen Auftaktsequenz im Luzerner Fasnachtschaos aber zwei Gänge zurück und kann das hohe Niveau der ersten fünfzehn Minuten nicht lang halten.

Der ermordete Schäublin, der im 862. Tatort erwartungsgemäß nicht das einzige Opfer des maskierten Messerstechers bleibt, war nämlich nicht nur Vorsitzender des Luzerner Bauausschusses, sondern zugleich aktives Mitglied in der Fasnachtszunft "Wächter am Pilatus", in der bruderschaftsähnliche Prinzipen herrschen und in der noch nach alter, strenger Tradition gehandelt wird.

Drehbuchautorin und Tatort-Debütantin Petra Lüschow verheddert sich im extrem spannungsarmen Mittelteil des Krimis, der auch mit einigen befremdlich wirkenden Kontroversen auf dem Polizeipräsidium zu kämpfen hat, zunehmend in der Ausarbeitung dieser Thematik, findet aber zumindest pünktlich zum großen Prunksitzungsfinale wieder in die Spur.

Das Katz- und Maus-Spiel des unbekannten Killers, dessen Identität leider eine ganze Ecke zu früh preisgegeben wird, gerät nie aus dem Blickfeld, so dass sich dank der schaurig-bunten Kostümierungen und einer verblüffenden Verwandlung zur blondgelockten Polizeibeamtin zumindest eine Handvoll kleinerer Gänsehautmomente einstellen.

Nach dem indiskutablen Totalausfall Wunschdenken und den kaum stärkeren Nachfolgern Skalpell und Hanglage mit Aussicht, die auch beim Großteil der Fernsehzuschauer sang- und klanglos durchfielen, ist Luzern mit Schmutziger Donnerstag zumindest halbwegs im Tatort angekommen – wenngleich noch immer viel Luft nach oben bleibt und die Synchronisation auch weiterhin wirklich miserabel ausfällt.

Bewertung: 4/10

Die schöne Mona ist tot

Folge: 861 | 3. Februar 2013 | Sender: SWR | Regie: Ed Herzog
Bild: SWR/Peter Hollenbach
So war der Tatort:

Überraschend heiter.

Hauptkommissarin Klara Blum (Eva Mattes) zu unterstellen, sie würde normalerweise zum Lachen in den Keller gehen, wäre vielleicht etwas übertrieben – dennoch erlebt sie der Zuschauer im Bodensee-Tatort Die schöne Mona ist tot, der auf der 18. Filmschau Baden-Württemberg in Stuttgart seine Vorpremiere feierte, von einer bis dato weniger bekannten, humorvollen Seite.

Das deutet sich schon bei ihrem ersten Auftritt im Polizeipräsidium an: Fröhlich trällernd schlendert die gut gelaunte Blum über die Gänge, ein Liedchen auf den Lippen, und lässt damit bereits erahnen, was den 861. Tatort so ungewöhnlich und sehenswert macht: In Konstanz darf neuerdings gelacht werden. 

Drehbuchautor Wolfgang Stauch, der auch das Skript zum umstrittenen Münsteraner Klamaukfeuerwerk Das Wunder von Wolbeck schrieb, weicht die typisch melancholische, ernste Grundstimmung des Bodensee-Tatorts spürbar auf und streut gleich eine ganze Reihe Dialoge ein, die dem zuletzt oft enttäuschenden Krimi aus Konstanz mit trockenem Humor und treffendem Wortwitz richtig gut tun. 

"Ich streite jeden Streit ab", gibt der Versicherungsberater Fritz Schönborn (köstlich: Ronald Zehrfeld, Liebe am Nachmittag) den Ermittlern zu Protokoll, während sich Blums Kollege Kai Perlmann (Sebastian Bezzel) vom muffeligen Kneipenwirt Eisner (Jürgen Rißmann, Der Fluch der Mumie) auf den Arm nehmen lassen muss.


EISNER:
Hat jemand meinen Pick-Up erschossen?


Regisseur Ed Herzog (Der Wald steht schwarz und schweiget) inszeniert mit Die schöne Mona ist tot einen unterhaltsamen, lange Zeit klassisch anmutenden Whodunit, bei dem eigentlich nur eines fehlt: die Leiche. 

Von der offenbar ermordeten Dorfschönheit Mona Seitz (Silke Bodenbender), die angeblich schon die halbe Wolfsheimer Fußballmannschaft hat abblitzen lassen, finden Blum und Perlmann nach einem Autounfall nur noch ihre rote Jacke im Bodensee und müssen fortan einem halben Dutzend Verdächtiger auf den Zahn fühlen.

Der undurchsichtige Ehemann und Hobbykoch Christian Seitz (überragend: der spätere Magdeburger Polizeiruf-110-Kommissar Sylvester Groth, Das Dorf), der seiner Frau zwar Flirts, aber keine One-Night-Stands zugesteht, Schönborn, dessen amüsierte Überheblichkeit die Kommissare zur Verzweiflung bringt, dessen gebeutelte Ehefrau Birgit (Anne Weinknecht) und nicht zuletzt Metzger Stefan Mader (Tristan Seith, Der Weg ins Paradies), der dem unbeliebten Seitz mit aufgespießten Schweineköpfen und Graffitischmierereien das Leben zur Hölle macht: Sie alle bringen ein Mordmotiv und die Gelegenheit für die Tat mit.

Des Rätsels Lösung ist für den Zuschauer diesmal aber besonders knifflig, weil das Drehbuch gleich zwei Trümpfe in der Hinterhand hält und erfolgreich mit den typischen Konventionen der Krimireihe bricht. Damit ist der stark besetzte, bis zum Schluss spannende Die schöne Mona ist tot trotz einiger hölzerner Dialogzeilen einer der besten Bodensee-Tatorte der letzten Jahre – auch, wenn am Ende mal wieder der/die prominenteste Nebendarsteller/in der/die Mörder/in ist.

Bewertung: 7/10