Letzte Tage

Folge: 878 | 23. Juni 2013 | Sender: SWR | Regie: Elmar Fischer
Bild: SWR/Stephanie Schweigert
So war der Tatort:

Spontan.

Denn Vorhersehbarkeit kann man Letzte Tage wahrlich nicht vorwerfen. Allenfalls in der Täterfrage: Am Ende mimt mal wieder der prominenteste Nebendarsteller den Mörder, und die obligatorischen Revierstreitigkeiten zwischen Deutschland und der Schweiz sind auch nicht unbedingt neu. Aber wer hätte gedacht, dass sich Hauptkommissar und Teenieschwarm Kai Perlmann (Sebastian Bezzel), der früher Assistentin Annika "Beckchen" Beck (Justine Hauer) den Kopf verdrehte, tatsächlich nochmal so richtig verliebt? Im Typisierungszelt. In eine Studentin. Hals über Kopf. Spontan. Wow.

Das Problem dabei: Letzte Tage ist in erster Linie ein Sonntagskrimi und kein seichtes Herzschmerz-TV-Movie, dass man zur gleichen Sendezeit im ZDF oder unter der Woche auf einem Privatsender vermuten würde. Spannung? Nicht vorhanden. Die Täterfrage? Zweitrangig.

Gemächlich plätschert der 878. Tatort, den mit Elmar Fischer (In eigener Sache) ein leinwanderprobter Filmemacher inszeniert, vor sich hin – im Mittelteil nehmen sich die Filmemacher sogar die Zeit, die Suche nach dem Mörder von Jochen Heigle (Ralf Beckord) für Minuten komplett auszublenden, weil Perlmann zum ersten Mal bei Medizinstudentin Mia (Natalia Christina Rudziewicz, Abgezockt) übernachtet - und dabei das Dilemma des Krimis unfreiwillig auf den Punkt bringt.


PERLMANN:
Du musst mich langsam wieder bremsen. Ich glaube, ich hab noch nie so viel am Stück gesprochen!


Die Spannungskatastrophe offenbart sich vor allem im Vergleich zum zwölf Jahre älteren, dramaturgisch ähnlich gelagerten Münchner Hochkaräter Im freien Fall, in dem sich Hauptkommissar Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) Hals über Kopf in eine Studentin verliebte und am Ende des hochdramatischen Krimidramas trauernd zurückblieb.

Geredet wird in Letzte Tage viel, geknutscht, geschmachtet und über das Leben philosophiert auch, doch passieren tut am Ende viel zu wenig. Perlmanns Kollegin Klara Blum (Eva Mattes) schlägt sich mit dem Schweizer Kollegen Mattheo Lüthi (Roland Koch) herum, der natürlich nicht mit offenen Karten spielt, und zeigt sich ebenfalls spontan: Die Kommissarin kettet Lüthis Hand kurzerhand an die ihre und wirft den Schlüssel zu den Handschellen in den Bodensee. Wenn die Ermittlungen schon nicht Hand in Hand, stattfinden können, dann doch wenigstens Hand an Hand.

Das ist für das weitere Geschehen zwar folgenreich, aber vollkommen konstruiert und dient im Drehbuch von Stefan Dähnert (Bluthochzeit) nur dazu, ein bisschen Pepp in die auf Sparflamme köchelnde Beziehung zwischen Blum und Lüthi zu bringen. Die Chemie will hier noch immer nicht stimmen, auch weil die kleinen Neckereien bei weitem nicht so charmant ausfallen wie einst zwischen Blum und Reto Flückiger (Stefan Gubser, der mittlerweile in Luzern ermittelt).

So steht unter dem Strich ein vollkommen spannungsfreier Genremix aus Leukämiedrama, kitschiger Romanze und deutsch-schweizerischem Fadenkreuzkrimi, der den schwachen Trend der vorherigen Tatort-Wochen bestätigt.

Bewertung: 2/10

Die Wahrheit stirbt zuerst

Folge: 877 | 16. Juni 2013 | Sender: MDR | Regie: Miguel Alexandre
Bild: MDR/Saxonia Media/Junghans
So war der Tatort:

Stimmungsvoll.

Zweifellos tolle Winterbilder liefert der langjährige TV-Regisseur Miguel Alexandre (Die kleine Zeugin), der zum zweiten Mal nach Todesbilder einen Leipziger Tatort inszeniert und sich erstmalig auch als Kameramann versucht, in Die Wahrheit stirbt zuerst. Doch leider nützt eine hübsche Verpackung, zu der auch der Gastauftritt der bereits zweimal im Tatort zu sehenden Katja Riemann (Katjas Schweigen) zählt, am Ende wenig, wenn der Inhalt nicht überzeugt.

Und da liegt  der Hase im Pfeffer: Das Drehbuch von Alexandre und den nicht minder TV-erprobten André Georgi (Fette Hunde) und Harald Göckeritz (Mord in der ersten Liga) ist die größte Schwäche eines melancholisch angehauchten, emotionalen Tatorts aus Sachsen, der trotz Starbesetzung und wundervollen Seeaufnahmen letztlich nur die bekannten Versatzstücke des Sonntagskrimis aneinanderreiht und von Beginn an mit seiner mangelnden Glaubwürdigkeit zu kämpfen hat.

Da spendet Hauptkommissarin Eva Saalfeld (Simone Thomalla) dem hauptverdächtigen Peter Albrecht (Pasquale Aleardi) schon mal spontan im Laderaum eines Leichenwagens (!) ein paar Liter Blut: Klingt eher nach einem typisch grotesken Gag der Münsteraner Tatort-Kollegen, ist aber tatsächlich todernst gemeint.

Auch die Auflösung, mit der Alexandre bis in die Schlussminuten hinter dem Berg hält, ist nicht vollends schlüssig, zählt am Ende aber noch zu den überraschenderen Momenten eines ansonsten reichlich konstruierten und einfallsarmen Fadenkreuzkrimis aus Leipzig, dessen Spannungskurve selten nach oben ausschlägt.

Exemplarisch für die Ideenarmut des Drehbuchautorentrios steht Riemanns Gastauftritt als toughe BKA-Ermittlerin Linda Groner, die Hauptkommissar Andreas Keppler (Martin Wuttke) zunächst am Telefon terrorisiert, penetrant auf einer selbstgedrehten Zigarette kaut und sich in der Pension des mürrichen Halbglatzkopfs einquartiert, um ihm bei den Ermittlungen schließlich die Zügel aus der Hand zu nehmen: Wie schon der schwache Leipziger Vorgänger Schwarzer Afghane wird auch dieser Leipziger Fall auf eine höhere, internationalere Ebene gehievt, so dass mal wieder die Uhr danach gestellt werden kann, dass das Geschehen auf dem Polizeipräsidium schon bald von Kompetenzgerangel, gegenseitigem Misstrauen und verletzten Eitelkeiten dominiert wird.

Szenen, wie man sie im Tatort schon dutzende Male deutlich besser gesehen hat. Dass der Zwist in einer Doppel-Suspendierung für Keppler und Saalfeld gipfelt, ist zwar mutig, verpufft aber letztlich ohne nachhaltige Wirkung, weil der 877. Tatort wenige Minuten später ohnehin zu Ende ist.

Für Fans der Leipziger Ermittler liefert Die Wahrheit stirbt zuerst zumindest eine interessante Weiterentwicklung der Figuren: Keppler wird von seiner Wiesbadener Vergangenheit eingeholt und schwelgt mit Ex-Frau Saalfeld in Erinnerungen, während Laborratte Wolfgang Menzel (Maxim Mehmet) förmlich über sich hinaus wächst und am Ende fast Freundschaft mit dem mürrischen Straßenbullen ("Ich mag ihre Stimme nicht! Vielleicht auch nur das nicht, was sie sagt!") schließt.

Pensionswirt Brunner (Tom Jahn) hingegen plaudert munter aus dem Nähkästchen und bittet Groner zum gemeinsamen Frühstück: Alles nett anzusehen, aber trotz des stimmungsvollen Auftakts am Seeufer in den seltensten Fällen wirklich fesselnd.

Bewertung: 4/10

Er wird töten

Folge: 876 | 9. Juni 2013 | Sender: Radio Bremen | Regie: Florian Baxmeyer
Bild: Radio Bremen/Jörg Landsberg
So war der Tatort:

Zeitlupenreich.

Rein ästhetisch ein durchaus reizvolles Unterfangen – schließlich spielten sich schon eine ganze Reihe denkwürdiger Szenen der Filmgeschichte (man denke an 2001: Odyssee im Weltraum oder Spiel mir das Lied vom Tod) in reduzierter Geschwindigkeit ab.

Doch das Stilmittel, auf das Regisseur Florian Baxmeyer (Der illegale Tod) viel zu oft zurückgreift, will in Er wird töten nicht immer zum Geschehen passen: Wenn Aushilfskommissar Leo Uljanoff (Antoine Monot Jr., Das Dorf) beim Todeskampf vor den Pissoirs der Herrentoilette vergeblich versucht, sich das tödlich im Rücken steckende Messer herauszuziehen, verleiht die Zeitlupe der großartig arrangierten Sequenz zusätzliche Dramatik.

Wenn aber Kriminalassistent Karlsen (Winfried Hammelmann) der trauernden Hauptkommissarin Inga Lürsen (Sabine Postel), die die kompletten neunzig Minuten über in einer eigenwilligen Kegelkutte ermittelt, auf dem Flur des Präsidiums bedeutungsschwanger ein Indiz in die Hand drückt und danach wortlos ins Büro abmarschiert, wirkt das eher unfreiwillig komisch.

Die inszenatorische Einseitigkeit ist aber nicht die einzige Schwäche eines Tatorts, der nach dem überzeugenden Vorgänger Puppenspieler und dem überraschenden Auftaktmord an Publikumsliebling Uljanoff – Technikfreak Gisbert aus dem hochkarätigen Münchener Tatort Der tiefe Schlaf lässt grüßen – qualitativ an viele indiskutable Bremer Folgen der jüngeren Vergangenheit (vgl. Ordnung im Lot oder Hochzeitsnacht) anknüpft.

Die Antwort auf die Täterfrage ist erschreckend leicht zu beantworten: Joseph Vegner (Peter Schneider, der eine Doppelrolle stemmt) ist als unsympathischer Ex-Sträfling und terrorisierender Ex-Mann der aufgelösten Ärztin Marie Schemers (Annika Kuhl, Nachtgeflüster) so extrem verdächtig, dass er für jeden halbwegs krimierprobten Zuschauer sofort als Mörder ausscheidet. Und da lediglich eine einzige weitere Person charakterlich näher skizziert und mit entsprechender Kamerapräsenz bedacht wird, muss das Publikum eigentlich nur noch 1 und 1 zusammenzählen.

Und dann ist da noch die überraschende Rückkehr von Nils Stedefreund (Oliver Mommsen), der sich in Puppenspieler nach Afghanistan verabschiedet und in Er wird töten plötzlich wieder auf der Matte steht: Wie halbherzig die traumatischen Erfahrungen seines Auslandseinsatzes im 876. Tatort abgefrühstückt werden, zeigt sich vor allem im direkten Vergleich zum deutlich gelungeneren Saarbrücken-Tatort Heimatfront, in dem sich die Hauptkommissare Kappl und Deininger in langen Gesprächen intensiv mit Kriegsrückkehrern auseinandersetzten.

Im Bremer Tatort hingegen werden Stedefreunds einschneidende Erlebnisse fast im Vorbeigehen abgehandelt: ein paar heimlich eingeschmissene Pillen, das blutende Gesicht eines Kameraden – das war's. Das wird dem kontrovers diskutierten Bundeswehreinsatz und der psychischen Belastung der Soldaten nicht im Ansatz gerecht und ist am Ende fast das größte Ärgernis eines entsetzlich vorhersehbaren Tatorts, in dem einzig Annika Kuhl für die eine oder andere schauspielerische Duftmarke sorgt.

Man hätte dem sympathischen Uljanoff einen würdigeren Abschied gewünscht.

Bewertung: 3/10