Mord auf Langeoog

Folge: 887 | 24. November 2013 | Sender: NDR | Regie: Stefan Kornatz
Bild: NDR/Boris Laewen
So war der Tatort:

Friesisch unterkühlt – und leider bei weitem nicht so witzig wie der bärenstarke Hamburger Vorgänger Feuerteufel.

Eine steife Brise weht am Sandstrand der beschaulichen Nordsee-Insel Langeoog, auf die es Hauptkommissar Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring) und seine Kollegin Katharina Lorenz (Petra Schmidt-Schaller), die ab 2014 bundesweit ermitteln, bei ihrem zweiten gemeinsamen Einsatz verschlägt – dabei wollte der Kommissar und Katzenliebhaber eigentlich nur ein paar Urlaubstage bei seinem Kumpel und Ex-Kollegen Jan Katz (Sebastian Schipper) und dessen Frau Mimi Meinders (Laura Tonke, Schlafende Hunde) verbringen.

Falkes Freunde haben sich aus der Hansestadt verabschiedet und sind zurück in ihre ostfriesische Heimat gekehrt – und dort ermittelt Falke, der die kompletten neunzig Minuten einen modisch durchaus diskutablen Norwegerpulli trägt, im Fall der ermordeten Künstlerin Bella Goosen (Julia Jessen), deren Leiche morgens in den malerischen Dünen gefunden wird.

Die tollen Kameraflüge über das UNESCO-Weltnaturerbe Wattenmeer und die scheinbar endlosen Sandstrände des Eilands, die der leinwanderprobte Kameramann Bernhard Keller in tollen Panoramen einfängt, sind aber auch schon das stärkste an Mord auf Langeoog: Regisseur Stefan Kornatz (Es ist böse) und Drehbuchautor Max Eipp (Salzleiche) gelingt es viel zu selten, ihren windig-unterkühlten Küstenkrimi auf Betriebstemperatur zu bringen.

Selbst auf der Zielgeraden, auf der einmal mehr die Kommissarin (sonst meist Lena Odenthal, vgl. Der kalte Tod, Hauch des Todes oder Der Wald steht schwarz und schweiget) aus den Händen des Täters gerettet werden will, kommt der 887. Tatort nicht mehr recht in Fahrt.

Das liegt nicht zuletzt daran, dass sich die Filmemacher viel zu stark auf ihren Hauptverdächtigen konzentrieren: Der verwirrte Florian (Leonard Carow, Dinge, die noch zu tun sind), jüngerer Bruder von Mimi Meinders, wacht blutverschmiert und ohne Erinnerung an die zurückliegende Nacht neben der toten Frau auf – und scheidet damit als Täter praktisch aus. Denn wenn der vermeintliche Mörder direkt neben der Leiche aufgefunden wird – man denke zurück an Prof. Boerne (Jan Josef Liefers) in Die chinesische Prinzessin – dann ist es im Tatort so sicher wie das Amen in der Kirche, dass jemand anders das Opfer auf dem Gewissen hat. Wäre schließlich viel zu einfach.

So wird Mord auf Langeoog im Mittelteil zwar zu einem authentischen Psychogramm, in dem Carow sein schauspielerisches Potenzial unter Beweis stellen kann, doch auf der Zielgeraden steht der Tatort vor einem Problem: Ein Mörder muss her, obwohl die Charakterzeichnung der übrigen Nebenfiguren vollkommen vergessen wurde. Was passiert also? Täter und Motiv werden im Schnellverfahren nachgereicht – eine überraschende, aber mit der Brechstange konstruierte Auflösung, die viel ausführlicher hätte vorbereitet werden müssen.

Auch das Gastspiel der früheren Frankfurter Tatort-Kommissarin Nina Kunzendorf, die in Wer das Schweigen bricht ihren Abschied feierte und als Auricher Kollegin Christine Brandner mit von der Partie ist, fällt im Vergleich zu ihren vorherigen Tatort-Auftritten harmlos aus. Immerhin: Dank der übergroßen Nerd-Brille ist für Stammzuschauer eine Verwechslung mit der charismatischen Power-Tussi Conny Mey ausgeschlossen.

Bewertung: 5/10

Eine andere Welt

Folge: 886 | 17. November 2013 | Sender: WDR | Regie: Andreas Herzog
Bild: WDR/Thomas Kost
So war der Tatort:

Scherbenreich.

Dass Hauptkommissar und Vorzeige-Arschloch Peter Faber (Jörg Hartmann) gerne mal seinen Schreibtisch samt Arbeitseinrichtung zertrümmert, weiß der Zuschauer spätestens seit seinem spektakulären Abgang im zweiten Dortmunder Tatort Mein Revier – und in Eine andere Welt setzen Regisseur Andreas Herzog (Scheinwelten) und Drehbuchautor Jürgen Werner, der bereits an Mein Revier und dem Faber-Erstling Alter Ego mitschrieb, sogar noch einen drauf. Faber zerlegt das Waschbecken auf der Herrentoilette des Präsidiums in seine Einzelteile, lässt die Scherben liegen und kotzt gepflegt in die Kloschüssel – und das alles nur, weil ihn seine Vergangenheit einholt.

Was sich in den Schlussminuten von Mein Revier mit einem anonymen Brief bereits angedeutet hatte, setzt sich im 886. Tatort fort: Den Dortmunder Teamchef, der seine Kollegen Martina Bönisch (Anna Schudt), Daniel Kossik (Stefan Konarske) und Nora Dalay (Aylin Tezel) auch diesmal wieder wie den letzten Dreck behandelt, belastet der Tod seiner Familie, der seinen dritten Einsatz in der Ruhrpott-Metropole zugleich zu seinem bis dato persönlichsten macht.

Seine privaten Nachforschungen über den noch nicht bis ins Detail aufgeklärten Tod seiner Frau und Tochter sind aber nur einer der Nebenkriegsschauplätze, die den ansonsten angenehm bodenständigen und authentischen Fall immer wieder vom Kurs abbringen. Wenn Kossik und Dalay minutenlang darüber debattieren, ob sie nun gemeinsam zu einer türkischen Hochzeit gehen sollen oder nicht, gerät der Tod der umtriebigen Gymnasiastin Nadine Petzokat (Antonia Lingemann) vorübergehend aus dem Blickfeld.

Immerhin: Das Alter der beiden Jungermittler, die diesmal zu deutlich weniger GZSZ-Dialogen genötigt werden als in den beiden Vorgängerfolgen, zahlt sich im dritten Dortmunder Fadenkreuzkrimi erstmalig aus. Die kesse Dalay ermittelt undercover in einem Nobelclub, in dem die deutlich älteren Faber ("Der Slip muss weg!") oder Bönisch ("Der Slip bleibt, wo er ist!") unter den jungen Partygästen und Schnöseln sofort aufgefallen wären, und wird von den tatverdächtigen Konstantin Prinz (Sergej Moya, herausragend in Hilflos) und Lars von Hesseling (Anton Rubtsov) sofort zum Wodkatrinken eingeladen.

Das wirkt zwar nicht vollends glaubhaft, ist aber einer der besseren Einfälle von Drehbuchautor Jürgen Werner, der ansonsten auf eine konstruierte Häppchentaktik setzt: Hätten sich Faber & Co. das Videotagebuch der ermordeten Schülerin und ihrer besten Freundin Julia Nowak (Matilda Merkel, Spargelzeit) – Found-Footage-Hits wie das Blair Witch Project oder Cloverfield lassen grüßen – einfach sofort angesehen, wäre der Mord schon nach zehn Minuten aufgeklärt gewesen. In einem Kölner Tatort hätten Ballauf und Schenk ihre Assistentin Franziska wohl einfach zur einer Nachtschicht verdonnert (wie z.B. in Blutdiamanten), denn das Tatmotiv wird tatsächlich im letzten der zahlreichen Videoclips gelüftet.

Die Dortmunder Ermittler aber schauen immer mal wieder rein, wenn gerade Zeit ist, als gäbe es weitaus Wichtigeres zu erledigen – das leuchtet nicht ein und ist allein dem Spannungsaufbau und der Zurückhaltung der Auflösung geschuldet. Anders würde Eine andere Welt schlichtweg nicht funktionieren. Spaß macht der Tatort dennoch – nicht zuletzt aufgrund der zahlreichen One-Liner auf Stromberg-Niveau.


FABER:
Jetzt machen Sie mal nicht den Akten-Nazi!"


Bewertung: 6/10

Kalter Engel

Folge: 885 | 3. November 2013 | Sender: MDR | Regie: Thomas Bohn
Bild: MDR
So war der Tatort:

Auf jung getrimmt

Denn in Kalter Engel feiert das jüngste Tatort-Team aller Zeiten sein Debüt: In Erfurt ermitteln erstmalig Hauptkommissar Henry Funck (Friedrich Mücke, Heimatfront), Oberkommissar Maik Schaffert (Benjamin Kramme) und Polizei-Praktikantin Johanna Grewel (Alina Levshin), die den beiden Jungbullen von Kriminaldirektorin Petra Fritzenberger (Kirsten Block, Edel sei der Mensch und Gesund) zur Seite gestellt wird. 

Ein mutiges, weil ausgefallenes Konzept, keine Frage: Doch Funck, Schaffert und Grewel hätten eigentlich viel besser ins Team der SK-Babies gepasst, die – die älteren Leser werden sich vielleicht erinnern – von 1996 bis 1999 bei den Kollegen von RTL auf Verbrecher und den Zuschauer losgelassen wurden. 

Qualitativ hebt sich der neue Tatort aus der thüringischen Landeshauptstadt kaum von dieser gruseligen, zu Recht schnell in Vergessenheit geratenen RTL-Produktion ab: Funck und Schaffert kippen im Präsidium literweise Energydrinks, schleudern wild mit Anglizismen um sich ("Fuck and Go oder was?") und sind von Regisseur und Drehbuchautor Thomas Bohn (Tod im All) so fürchterlich auf cool getrimmt, dass Kalter Engel schon nach wenigen Minuten zur ärgerlichen Geduldsprobe wird. 

Das beste am 885. Tatort ist noch die einleitende Verfolgung des mutmaßlichen Frauenmörders Roman Darschner (Godehard Giese, Leben gegen Leben): Nicht etwa aufgrund der knackigen Actionszenen (die Inszenierung fällt eher bieder aus), sondern schlicht und einfach deshalb, weil zu diesem frühen Zeitpunkt des Films noch alle die Klappe halten. 

Ob Funcks müder Currywurst-Flirt mit der hübschen Valerie (Karoline Schuch, auch bekannt als Freddy Schenks Tochter Melanie aus dem Kölner Tatort), Fritzenbergers tadelnde Worte im Präsidium oder die schier unerträglichen, pseudo-tiefsinnigen Zwischenresümees der beiden Kommissare: Die Dialoge sind hölzerner als eine finnische Sauna und wirken so himmelschreiend aufgesetzt, dass jeder Anspruch an einen halbwegs authentischen und spannenden Kriminalfall schon nach wenigen Minuten getrost zu den Akten gelegt werden kann. 

Kalter Engel mangelt es auch einfach an einem interessanten Thema: Frauenmörder, die keine sind, Eifersucht unter Mitbewohnerinnen, Medikamentenmissbrauch – das alles hat man im Tatort schon um Längen besser gesehen. Von Land und Leuten – für eine Kleinstadt wie Erfurt gleich doppelt wichtig, will sie sich mittelfristig in der unübersichtlichen Tatort-Landschaft behaupten – ist indes wenig zu spüren: Ein paar Außendrehs an der örtlichen Uni, eine Dialekt sprechende SpuSi-Kollegin – das war's. 

Stattdessen war die Requisite im Fan-Shop von Rot-Weiß-Erfurt einkaufen: In Studentenspinden baumeln einsame Vereinswimpel, Schaffert trinkt seinen Kaffee (Koffein kann man offenbar nie genug haben) aus einer Tasse mit RWE-Logo und spielt mit unerträglicher Penetranz an einem handsignierten Lederfußball herum, den man den Kommissaren nach dem siebten oder achten "Alter!" am liebsten mit Karacho ins Gesicht feuern würde.

Das Debüt des jüngsten Ermittlerteams aller Zeiten geht mit Pauken und Trompeten in die Hose: Der zu allem Überfluss auch noch völlig nichtssagend betitelte Kalter Engel ist einer der schwächsten Fadenkreuzkrimis des Jahres 2013 – und zugleich schon der vorletzte Einsatz des neuen Trios, das nach dem ähnlich schwachen Nachfolger Der Maulwurf das Handtuch wirft und den Dienst quittiert.

Bewertung: 2/10