Borowski und die Rückkehr des stillen Gastes

Folge: 964 | 29. November 2015 | Sender: NDR | Regie: Claudia Garde
Bild: NDR/Philip Peschlow
So war der Tatort:

Ungeplant.

Denn eigentlich sollte der herausragende Kieler Tatort Borowski und der stille Gast mit seiner fiesen Schlusspointe für sich alleine stehen – doch die erfolgreiche Flucht des mehrfachen Frauenmörders Kai Korthals (Lars Eidinger, Hauch des Todes), der in der Schlussminute des hochklassigen Thrillers aus einem Krankenwagen entkam, ließ vielen TV-Zuschauern das Blut in den Adern gefrieren. Schnell wurden Rufe nach einer Fortsetzung laut – und so schrieb Drehbuchautor Sascha Arango (Borowski und der Engel), der mit Regisseurin Claudia Garde zuletzt den letzten Leipziger Tatort Niedere Instinkte arrangierte, eine Fortsetzung.

Die Messlatte in Sachen Unterhaltungswert könnte kaum höher liegen, und der zweifache Grimme-Preisträger hätte es sich einfach machen können: Die Geschichte um den gespenstischen Gast, der sich heimlich in die Wohnungen seiner Opfer schleicht und in deren Privatsphäre schnüffelt, hätte in ähnlicher Form auch ein zweites Mal funktioniert, und wäre dabei sicher kaum weniger spannend ausgefallen als der vielgelobte Vorgänger.

Doch Arango spinnt die Handlung weiter: Psychopath Korthals, der das Publikum wie kaum ein zweiter Mörder in der Tatort-Geschichte begeisterte, hat sich über die Jahre verändert. Er ist Vater geworden und hat sein Kind brutal aus dem Leib der geistig verwirrten Mandy Kiesel (Lea Draeger, Im Sog des Bösen) geschnitten. Weil sie überlebt, bringt sie die Kieler Hauptkommissare Klaus Borowski (Axel Milberg) und Sarah Brandt (Sibel Kekilli) auf die richtige Spur – und die Jagd auf den unberechenbaren Serientäter geht ohne größeres Vorgeplänkel in die zweite Runde. Doch halt.


BRANDT:
Auch Unmenschen ändern sich.


Borowski und die Rückkehr des stillen Gastes ist keine uninspirierte Neuauflage des Vorgängers, sondern ein eigenständiger Psychothriller mit neuen Stärken. Statt einer fieberhaften Suche nach Korthals und eines Wettlaufs gegen die Zeit, bei dem es weitere Opfer zu verhindern gilt, entspinnen die Filmemacher ein emotionales Mann-gegen-Mann-Duell, bei dem sich der sonst so besonnene Borowski über sämtliche Dienstvorschriften hinwegsetzt.

Das hat einen triftigen Grund: Psychologin Frieda Jung (Maren Eggert), die sich in Tango für Borowski für lange Jahre aus der Fördestadt verabschiedete, ist für diesen besonderen Kieler Tatort zurückgekehrt – und nach einer gemeinsamen Silvesternacht nicht nur Borowskis Ehefrau in spe, sondern auch Korthals' nächstes Opfer. Der Kieler Hauptkommissar zeigt sich aufgrund dieser persönlichen Betroffenheit so aufgewühlt wie selten.

Nach einem anfänglichen Wechselspiel aus Spannung und Entspannung entwickelt sich durch Jungs Entführung ein fiebriger Kampf zweier Männer, die bis zum Äußersten gehen würden – und wenn sich Korthals und Borowski in der Küche des Kommissars eine wilde Würgerei liefern, liegen Gut und Böse so nah beieinander wie selten in der Krimireihe.

Dem blendend aufgelegten Axel Milberg bietet dieser Alleingang die Gelegenheit, etwas mehr von seinem schauspielerischen Können zu zeigen als sonst im Kieler Tatort – an seinem starken Auftritt ändert auch der alberne Oberlippenbart nichts, mit dem er zwar nicht unbedingt ästhetischen Ansprüchen, dafür aber der TV-Premiere im Movember gerecht wird.

Unumstrittener Star des packenden und – wie immer bei Arango – wendungsreichen Thrillers ist dennoch Lars Eidinger: Der Theaterschauspieler brilliert auch bei seinem zweiten Auftritt als stiller Gast in jeder einzelnen Sequenz und unterstreicht im 964. Tatort seinen Status als einer der besten Charakterdarsteller Deutschlands. Korthals' innerliche Gratwanderung zwischen verzweifeltem Vater, vordergründig normalem Durchschnittsbürger ("Ich bin kein böser Mensch!") und sadistischem Frauenmörder ist allein schon das Einschalten wert. Sie stellt sogar das überzeugende, wenn auch etwas konstruiert wirkende Comeback von Maren Eggert in den Schatten, die im Zusammenspiel mit Milberg und Eidinger ebenfalls eine starke Performance abliefert.

Und der Kieler Tatort wäre nicht der Kieler Tatort, wenn nicht auch noch Zeit für feindosierten Humor bliebe: Köstlicher Dialogwitz und eine süffisante Anspielung auf die Star Wars-Reihe runden den packenden Thriller gelungen ab.


KORTHALS:
Willkommen auf der dunklen Seite, mein Freund.


Bewertung: 9/10

Spielverderber

Folge: 963 | 22. November 2015 | Sender: NDR | Regie: Hartmut Schoen
Bild: NDR/Frederic Batier
So war der Tatort:

Notlösend.

Denn eigentlich hätte am 22. November 2015 Der große Schmerz samt Gastspiel von Schlagerstar Helene Fischer laufen sollen – doch die ARD gab den Spielverderber und verschob den mit Spannung erwarteten dritten Einsatz von Nick Tschiller (Til Schweiger) und Yalcin Gümer (Fahri Yardim) wegen inhaltlicher Parallelen zu den Pariser Terror-Anschlägen auf den 1. Januar 2016.

Schweiger, der angesichts der prominenten Unterstützung wohl auch auf einen Wirkungstreffer im Quotenduell mit dem Tatort aus Münster gehofft hatte, passte das gar nicht, doch der NDR ließ sich nicht in seiner Entscheidung beirren. Während die eine Hälfte der Zuschauer die Entscheidung begrüßte und sich ohnehin eine Terminverschiebung auf den Sankt Nimmerleinstag wünschte, muss sich die Fischer-Fan-Fraktion noch ein paar Wochen gedulden.

Die vorgezogene Notlösung der ARD ist aber keine überzeugende: Spielverderber ist eine jener Tatort-Folgen, nach denen man förmlich die Uhr stellen kann. Kaum hat die vielbeschäftigte LKA-Kommissarin Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) ihren neuesten Fall aufgenommen, zückt sie auch schon ihr Handy: Es folgen die immer gleiche Bitte an ihre Mutter Annemarie (Kathrin Ackermann), auf Sohn David aufzupassen, das obligatorische Drängen ihrer Mutter, sich mehr Zeit für den Kleinen zu nehmen, und Lindholms ewige Versprechen, dies zukünftig auch wirklich zu tun. Diese Fixpunkte gehören seit Jahren fest zum Krimi aus Hannover.

Wenigstens verzichtet Regisseur Hartmut Schoen (Schlaflose Nächte), der mit Susanne Schneider (Der schöne Schein) auch das Drehbuch schrieb, auf eine Furtwänglersche Duschszene – stattdessen liegt der damalige BILD-Herausgeber Kai Diekmann als großzügig aufgeschnittene Leiche auf dem Seziertisch von Gerichtsmediziner Hans Jepsen (Niels Bormann, Vielleicht).


JEPSEN:
Bei dem ist richtig was schief gegangen.


Diekmanns selbstironischer Cameo-Auftritt ist zugleich die beste Szene des entfernt an Top Gun erinnernden Krimis, dem es an Tiefgang mangelt: Während im Saarbrücker Tatort Heimatfront die Traumata deutscher Afghanistan-Soldaten greifbar wurden, wird der Bundeswehr-Alltag in Spielverderber über weite Strecken romantisiert und kaum von innen beleuchtet.

Nach dem packend in Szene gesetzten Auffinden der Leiche von Lore Körner (Nora Huetz, Ätzend) kristallisiert sich ihr Ex-Mann Jan (Gerdy Zint, Im Schmerz geboren) als Hauptverdächtiger heraus – allerdings so schnell, dass echte Krimi-Kenner kaum auf diese falsche Fährte hereinfallen dürften. Die Tatwaffe entdeckt die Kommissarin dann rein zufällig – über eine Distanz von zwanzig Metern, mitten auf einem Acker im Nirgendwo der niedersächsischen Provinz.

So rücken schließlich zwei Kollegen Körners in den Blickpunkt: Zum einen Stützpunktleiter Andreas Friedrichs (Richard van Weyden), zum anderen Soldatin Kristin Goebels (Jasmin Gerat, Grabenkämpfe), deren Mann Paul (Thure Lindhardt, Architektur eines Todes) ein Verhältnis mit der Toten nachgesagt wurde. Auch angesichts der Rollenbesetzung ist die Auflösung der Täterfrage offensichtlich – und wer schon nach der ersten Begegnung von Lindholm und Friedrichs darauf tippt, dass es früher oder später zwischen den beiden funkt, liegt ebenfalls goldrichtig.

Die kurze Liaison mit dem ergrauten Oberst reiht sich nahtlos ein in die lange Liste altbekannter Hannoveraner Standardszenen, die im 963. Tatort uninspiriert aneinandergereiht werden. Da dürfen auch die Scherereien mit dem Staatsanwalt nicht fehlen: Während Lindholm ansonsten gern mal überforderte Provinzbeamte zur Seite gestellt werden (vgl. Pauline oder Hexentanz), wird die Kommissarin diesmal vom überkritischen Staatsanwalt Mühlhoff (Rainer Winkelvoss, Todesangst) beäugt, der offenbar nichts Besseres zu tun hat, als ihr auf Schritt und Tritt zu folgen.

Seine platten Bringen-Sie-mir-endlich-Beweise-Predigten treiben Lindholm irgendwann Tränen in die Augen, beim Showdown hingegen drücken die Filmemacher beim Zuschauer auf die Tränendrüse: Judy Garlands vielzitierter Klassiker Over The Rainbow musste selten für einen so kitschigen Showdown herhalten wie in diesem Tatort.

Bewertung: 4/10

Ätzend

Folge: 962 | 15. November 2015 | Sender: rbb | Regie: Dror Zahavi
Bild: rbb/Volker Roloff
So war der Tatort:

Horizontal erzählt.

Denn der rbb setzt ähnlich wie der WDR in den Tatort-Folgen aus Dortmund, in denen das Privatleben von Peter Faber (Jörg Hartmann) & Co. einen wesentlichen Teil der Rahmenhandlung ausmacht, in seinem Krimi aus der Hauptstadt auf eine parallel zum eigentlichen Mordfall laufende, folgenübergreifende Geschichte.

Schon der Berliner Vorgänger, in dem die Hauptkommissare Nina Rubin (Meret Becker) und Robert Karow (Mark Waschke) erstmalig auf Täterfang gingen, ließ diese für Tatort-Verhältnisse ungewohnte Erzähltechnik erahnen: Das Muli endete mit einem offenen Ende, weil Rubin im Spreepark eine Kugel entdeckte und den Tod von Karows Ex-Kollegen Maihack damit in ein völlig neues Licht rückte.

Wer aus dieser Schlusspointe nicht so recht schlau wurde, erlebt in Ätzend einen Aha-Effekt: Die 962. Tatort-Ausgabe ist eine direkte Fortsetzung des Berliner Vorgängers. Wer diesen verpasst oder verdrängt hat, wird von den Drehbuchautoren Mark Monheim und Stephan Wagner, der bei Das Muli Regie führte, einleitend an die Hand genommen: In der Auftaktminute platzieren die Filmemacher einen kurzen Rückblick, der dem Zuschauer den Mord an Drogenmogul Mehmet Erdem (Kida Khodr Ramadan, Melinda) noch einmal ins Gedächtnis ruft.

Nicht jedem Tatort-Fan schmeckt dieser horizontale Erzählansatz – und wer schon das letzte Finale unbefriedigend fand, wird an diesem noch weniger Gefallen finden. Wieder endet der Film mit einem knackigen Cliffhanger. Das Problem bei der Sache: Der nächste Fall von Rubin und Karow lässt noch Monate auf sich warten – Ätzend ist aber in erster Linie ein Übergangsfall zur Verbindung des Debüts mit dem, was in den nächsten Folgen noch kommen mag.

Für sich allein genommen wirkt das Krimidrama inhaltlich überfrachtet: Dass die Kommissare eine stark zersetzte Leiche in einem Säurefass und eine zweite auf einer nahegelegenen Baustelle finden, rückt immer wieder in den Hintergrund.

Filmemacher Dror Zahavi, der neben dem starken Kölner Tatort Franziska zuletzt Auf ewig Dein und Kollaps aus Dortmund inszenierte, beleuchtet neben der Gefühlswelt seiner Figuren auch ein iranisches Familiendrama: Über einem im Fass gefundenen Herzschrittmacher führt die Spur führt zu Saed Merizadi (Husam Chadat, Die Feigheit des Löwen), der in Neukölln ein Dentallabor betreibt und die Identität seines legal in Deutschland lebenden Bruders angenommen hat. Seine hochschwangere Frau Layla (Elmira Rafizadeh) und sein Sohn Arash (Julius Ipekkaya), die wie er keine Aufenthaltsgenehmigung besitzen, sind in Berlin untergetaucht.

"Ist doch absurd, oder? Der eine Mensch ist illegal und der andere nicht", bringt Rubin das Dilemma der Familie auf den Punkt – geht danach aber direkt wieder zur Tagesordnung über. Tiefenbohrung wird hier nicht betrieben. Dafür bleibt auch keine Zeit: Die Filmemacher illustrieren die Suche nach dem Mörder, Karows Nachforschungen über Maihacks Tod, das Schicksal der Merizadis und die Odyssee der jungen Ira (Stephanie Amarell) mit Hobby-Boxer Arash, der ausgerechnet bei Rubins Vater Kalle Ratke (Tilo Prückner, spielte von 2001 bis 2008 den Hamburger Hauptkommissar Eduard Holicek) trainiert. Nebenbei kommt Rubin auch noch ihrem getrennt lebenden Mann Victor (Aleksandar Tesla) wieder näher.

Diese zahlreichen Nebenkriegsschauplätze erdrücken den Mordfall, dessen Hintergründe in wenigen Minuten abgefrühstückt werden. Vor allem die Auflösung wird überhastet und uninspiriert vorgetragen. Der horizontale Ansatz zahlt sich zwar in den nächsten Fällen aus der Hauptstadt aus, wenn die verschiedenen Handlungsfäden wieder aufgegriffen werden – für sich allein genommen aber ist der zweite Einsatz des Berliner Teams nur ein mäßig spannendes, unvollendetes Krimidrama. Dass Robert Karow, der spontan eine Nacht mit einem Mann verbringt, der erste bisexuelle Kommissar der Tatort-Geschichte ist, gerät dabei fast zur Randnotiz.

Bewertung: 5/10

Schwanensee

Folge: 961 | 8. November 2015 | Sender: WDR | Regie: André Erkau
Bild: WDR/Willi Weber
So war der Tatort:

Weit weniger albern als Mord ist die beste Medizin und Erkläre Chimäre – und zugleich eine ganze Ecke unterhaltsamer als die genannten Vorgänger.

Wenige Wochen vor der großen Einschaltquotenoffensive von Til Schweiger und Schlagerstar Helene Fischer in der Doppelfolge Der große Schmerz und Fegefeuer liefern Hauptkommissar Frank Thiel (Axel Prahl) und Professor Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers) ihren Millionen Fans einmal mehr das, was diese von ihnen erwarten: Thiels muffelige Wortgefechte mit Nadeshda Krusenstern (Friederike Kempter), Boernes obligatorische Neckereien am Seziertisch mit Assistentin Silke "Alberich" Haller (Christine Urspruch), vor allem aber viele gelungene Pointen, die spürbar origineller ausfallen als in den vorhergehenden Tatort-Folgen aus Münster.

Denn die ersten Minuten in Schwanensee täuschen: Der leinwanderprobte Regisseur André Erkau, der gemeinsam mit den Cenk Batu-Erfindern Thorsten Wettcke (Auf der Sonnenseite) und Christoph Silber (Häuserkampf) auch das Drehbuch schrieb, entwirft im malerisch gelegenen Therapiezentrum am Aasee eine für Münsteraner Verhältnisse fast bodenständige Whodunit-Konstruktion, bei der die Ermittlungen und die Auflösung der Täterfrage nicht komplett hinter abgegriffenen Zoten und müdem Slapstick zurückstehen müssen.

Erkau setzt bei seinem Tatort-Debüt nur selten auf Klamauk und harmlose Altherrenwitzchen: Thiels einleitender Beinahe-Sturz im Schwimmbad, der Erinnerungen an den Silvester-Klassiker Dinner for One weckt, bleibt eine ebenso alberne Ausnahme wie Boernes Trockenübungen vor dem Spiegel, mit denen sich der Professor in kompletter Tauchermontur auf einen anstehenden Trip auf die Malediven vorbereitet. Die Urlaubspläne wirft Boerne ohnehin schnell über den Haufen: Im Therapiezentrum Schwanensee wartet die Leiche der attraktiven Mona Lux (Jessica Honz), und die erfordert schon bald seinen vollen Einsatz.

Aus der rasanten Taxifahrt mit Herbert "Vaddern" Thiel (Claus Dieter Clausnitzer) ergibt sich der beste Running Gag des Films – und spätestens, wenn "Alberich" flugs ausgedruckte Testergebnisse vom Straßenrand aus ins vorbeibrausende Taxi reicht, läuft das Münsteraner Figurenensemble zu Hochform auf. Die hohe Gagdichte des ersten Filmdrittels geht im Mittelteil etwas verloren – bis die sympathischen Patienten in die Bresche springen, deren Verhaltensauffälligkeiten viele Lacher generieren. Der köstlich derbe Heinz Gärtner (Matthias Hörnke), der keinen Satz ohne Kraftausdruck über die Lippen bringt, stiehlt jede Szene, in der er auftritt, während die an unersättlicher Libido leidende Evi Haberlein (Manuela Alphons) Boerne mit wenig subtilen Flirt-Versuchen aus der Reserve lockt.

Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Krankheitsbildern ist in Münster allerdings nicht zu erwarten: Alle Patienten werden auf lediglich eine Charaktereigenschaft reduziert; und vor allem Restaurantbesitzer Alberto Di Sarto (Roberto Guerra, Ihr werdet gerichtet) und der schizophrene Telenovela-Fan Isa Storch (Nadja Zwanziger, Tödliche Häppchen) sind kaum mehr als wandelnde Klischees. Doch es gibt einen Lichtblick: Der groß aufspielende Robert Gwisdek (Mauerpark) mimt mit dem autistisch veranlagten Andreas Kullmann die interessanteste Figur des Schmunzelkrimis. Der mathematisch begnadete Ex-Steuerfahnder löst binnen Sekunden komplexeste Rechenaufgaben und sorgt damit immer wieder für Verblüffung, übersieht bei seiner morgendlichen Runde im Schwimmbad aber glatt die Leiche unter Wasser.

Nicht unter, sondern auf dem Wasser hingegen spielt der große Showdown: Während bei Quoten-Konkurrent Til Schweiger atemberaubende Action-Einlagen an der Tagesordnung sind, strampeln Thiel und Boerne dem Mörder spontan in einem Tretboot hinterher. Das hat Stil, das macht Spaß, das ist originell: Es geht auch mit reduzierter Klamaukdosis in Münster, ohne dass der Unterhaltungswert dabei auf der Strecke bliebe.

Bewertung: 7/10

Côte d'Azur

Folge: 960 | 1. November 2015 | Sender: SWR | Regie: Ed Herzog
Bild: SWR/Johannes Krieg
So war der Tatort:

Vorgezogen.

Denn eigentlich sollte Côte d'Azur nicht am 1. November, sondern erst Mitte Dezember 2015 laufen – und der kurzfristige Termintausch mit dem Kölner Tatort Benutzt ist für den weihnachtlich angehauchten Sozialkrimi aus Konstanz alles andere als von Vorteil.

Im bunt geschmückten Präsidium kann noch so munter der Adventskranz angezündet oder am Ende unterm Tannenbaum "O du fröhliche" gesungen werden – mitten im Herbst kommt einfach keine Weihnachtsstimmung auf. Geschenkeorgien und Weihnachtsmänner wirken zu diesem vergleichsweise frühen Zeitpunkt des Jahres fehl am Platz – ganz anders als im Saarbrücker Tatort Weihnachtsgeld, der 2014 ganz im Zeichen seines Sendetermins stand.

Côte d'Azur ist der drittletzte Fall für Hauptkommissarin Klara Blum (Eva Mattes) und Kai Perlmann (Sebastian Bezzel), die Ende 2014 vom SWR ihr Kündigungsschreiben erhielten, und wirklich schwer machen die beiden einem dem Abschied nicht: Wie schon der durchwachsene Rotweinkrimi und Vorgänger Château Mort ist auch ihr 25. gemeinsamer Einsatz ein alles andere als aufregender Tatort ohne nennenswerte Überraschungsmomente und originelle Nebenfiguren.

Drehbuchautor Wolfgang Stauch und Regisseur Ed Herzog, die zuletzt Die schöne Mona ist tot zusammen konzipierten, arrangieren eine Whodunit-Konstruktion nach altbekanntem Tatort-Muster, die aber zumindest mit einer kniffligen Auflösung aufwartet: Bis in die Schlussminuten bleibt unklar, wer die junge Mutter Vanessa Koch (Mandy Rudski) brutal erschlagen und ihr Baby bei eisiger Kälte im Schilf am Winterer Steig zurückgelassen hat. Passend zu den frostigen Temperaturen ist auch die Stimmung zwischen den Kommissaren, die seit Perlmanns Debüt in Bitteres Brot gemeinsam im Einsatz sind, so unterkühlt wie nie: Blum kann ihrem Kollegen eine einleitende Fehleinschätzung, die fast zum Kältetod des Säuglings führt, ebenso wenig verzeihen wie er sich selbst.

Doch so sehr man ihren Ärger verstehen kann, so aufgesetzt wirkt die nachtragende Art der sonst so besonnenen Kommissarin, so konstruiert der Konflikt. Erst als sich die mit Abstand nervtötendste Nebenfigur, Kinderarzt Dr. Schwenkner (Barnaby Metschurat, Trautes Heim), dank einiger geschmackloser Bemerkungen zum gemeinsamen Feindbild der beiden mausert, stellt sich wieder Harmonie ein. Bis dahin fliegen die Giftpfeile nur so durchs Büro – ganz zum Leidwesen der fleißigen Assistentin Annika "Beckchen" Beck (Justine Hauer), die auch in Côte d'Azur nicht über die ewige Rolle als austauschbare Aktenheldin mit bemühtem süddeutschen Zungenschlag hinauskommt.

Am interessantesten gestaltet sich der 960. Tatort dann, wenn sich die Filmemacher Zeit für die wohnungslosen Verdächtigen in der Baracke nehmen, in der das Mordopfer regelmäßig an Saufgelagen teilnahm: Jeder der fünf Bewohner wird mit einer kurzen Vorgeschichte skizziert, alle bringen sie ein Motiv und die Gelegenheit für die Tat mit. Über das Schicksal des inkontinenten und geistig angeschlagenen Ex-Zirkus-Cowboys Bill (stark: Frank Fink) hätte man allerdings gern mehr erfahren – er sorgt für einen rührenden Moment am Kinderkarussell auf dem Weihnachtsmarkt und ist die mit Abstand interessanteste Figur.

Statt sich seiner Vorgeschichte zu widmen, eröffnen die Filmemacher aber einen anstrengenden Nebenkriegsschauplatz um den kalten Entzug der drogensüchtigen Franziska (Friederike Linke, Der Fall Reinhardt), die in einer Zelle Höllenqualen durchlebt und sich dennoch zur plauderfreudigen Informationsquelle mausert. Dieser wenig glaubwürdige Auftritt trieft aber zumindest nicht so vor Klischees wie der des überzeichneten Dieter Bohlen-Verschnitts Jürgen Evers (Das Dorf) oder der des Bilderbuch-Punks Lucky (Kai Malina, Auskreuzung), der Badezimmer-Spray schon mal als Deo zweckentfremdet.

Bewertung: 4/10