Wendehammer

Folge: 1004 | 18. Dezember 2016 | Sender: HR | Regie: Markus Imboden
Bild: hr/Degeto/Bettina Müller
So war der Tatort:

Nachbarschaftlich.

Denn der vierte Fall der Frankfurter Hauptkommissare Anna Janneke (Margarita Broich) und Paul Brix (Wolfram Koch) spielt genau dort, wo es der ungewöhnliche Krimititel vermuten lässt: in einem Wendehammer. Dort leben sie, die Nachbarn, Haus an Haus, und kennen doch kaum mehr als den Nachnamen voneinander.

Das ändert sich schlagartig, als einer von ihnen spurlos verschwindet: Der rüstige Rentner Gerd Abendroth (Joachim Bißmeier, Alter Ego) ist nicht zum obligatorischen Rommétermin am Mittwochabend erschienen – und so macht sich seine Nachbarin Betti Graf (Cornelia Froboess, Mord am Fluss) große Sorgen. Trotz der Blutspuren in der Wohnung des Vermissten fehlt es dem Krimi damit an der obligatorischen Auftaktleiche, aber auch sonst brechen die Drehbuchautoren Andrea Heller und Stephan Brüggenthies (Das erste Opfer) fleißig mit den Tatort-Konventionen und setzen einen für Frankfurter Verhältnisse überraschend humorvollen Akzent: Im Wendehammer geben sich die schrägen Figuren die Klinke in die Hand und stürzen die verdutzten Kommissare bei ihren Befragungen von einer Verlegenheit in die nächste.

Nach dem starken Psychothriller Die Geschichte vom bösen Friederich gibt es diesmal totales Kontrastprogramm in Form von köstlichem Dialogwitz und reichlich skurrilen Charakteren, die bis in Karikatureske überzeichnet werden: Da ist die alleinstehende Krimi-Autorin Graf, die die Kommissare mit klugen Ratschlägen zu ihren Ermittlungsmethoden nervt, die divenhafte Opernsängerin Olga (Susanne Schäfer, Das Haus am Ende der Straße), die sich ihr Eigenheim mit Bildern von sich selbst zukleistert – und nicht zuletzt der paranoide IT-Freak Nils Engels (Jan Krauter, Das Recht, sich zu sorgen), der sein Haus mit Kameras und hochmoderner Sicherheitstechnik hermetisch von der Außenwelt abschottet.


BRIX:
Warum haben Sie einen Elektrozaun?

ENGELS:
Kleinsäugetiere!?


Tiefgefrorene Haustiere, kläffende Hundebesitzerinnen und hinterlistige Attacken mit dem Laubsauger: Der 1004. Tatort gehört zum Schrägsten, was die Krimireihe in den letzten Jahren erlebt hat und brachte Zuschauer, die sich auf einen realitätsnahen Whodunit gefreut haben, bei seiner TV-Premiere schon nach Minuten auf die Palme. Die bizarre Situationskomik dehnt sich sogar bis ins Präsidium aus, wenn Chef Henning Riefenstahl (Roeland Wiesnekker) mit einer bemerkenswerten Akribie sämtliche Glühbirnen aus den Schreibtischlampen schraubt.

Einmal mehr macht es sich der Hessische Rundfunk, der mit den eigenwilligen Beiträgen aus Wiesbaden ein hochkarätiges zweites Eisen im Feuer hat, zur Aufgabe, die Grenzen der Krimireihe auszutesten. In den Klamauk driftet Wendehammer, der bei der Vorpremiere auf dem Filmfest Hamburg viel Applaus erntete, unter Regie von Markus Imboden (Einmal wirklich sterben) aber nie ab: Der subtile Humor zieht sich wie ein roter Faden durch den Film – erst nach einer guten Stunde und zwei gelungenen Twists schlagen die Filmemacher einen ernsthafteren Erzählton an und setzen sich intensiv mit dem Thema Massive Data auseinander, das der unter dem Strich etwas überambitionierten Geschichte den erzählerischen Rahmen gibt.

Wie im futurischen Stuttgarter Beitrag HAL und im schwachen Bremer Tatort Echolot geht es irgendwann nur noch um die Gefahren der massenhaften Datenspeicherung und der digitalen Vernetzung: IT-Spezialist Engels hat mit seinem Geschäftspartner Daniel Kaufmann (Constantin von Jascheroff, Schwerelos) einen Algorithmus entwickelt, um den er im Silicon Valley beneidet wird. Hier versandet der Tatort ein Stück weit in der Beliebigkeit: Das Thema wurden im Jahr 2016 schon ausgiebig abgefrühstückt, scheint bei den Autoren aber so fest zum Inventar zu gehören wie Flüchtlinge, Rechtspopulisten oder radikale Islamisten.

Spätestens, als die Kommissare nach einem großen Datencrash im Dunkeln ermitteln, überspannen die Filmemacher den Bogen deutlich – das enttäuschende letzte Krimidrittel wird auch durch die zynische Schlusspointe nicht mehr entscheidend aufgewertet. Deutlich positiver in Erinnerung bleibt der kultige Pulp Fiction-Tanz, bei dem Janneke in bester Uma Thurman-Manier auf der Geburtstagsparty von Brix' Mitbewohnerin Fanny (Zazie de Paris) eine heiße Sohle aufs Parkett legt.

Bewertung: 7/10

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