Der wüste Gobi

Folge: 1040 | 26. Dezember 2017 | Sender: MDR | Regie: Ed Herzog
Bild: MDR/Wiedemann & Berg/Anke Neugebau
So war der Tatort:

Ähnlich pointenreich und unterkühlt wie der Münster-Tatort Das zweite Gesicht.

War es 2006 der genervte Hauptkommissar Frank Thiel (Axel Prahl), der seinem Kollegen und Vermieter Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers) nach einem Heizungsausfall im Winter damit drohte, seinen teuren Parkettfußboden zu verheizen, so sind es in Der wüste Gobi die Weimarer Kollegen Lessing (Christian Ulmen) und Kira Dorn (Nora Tschirner), die nach Feierabend mit arktischen Temperaturen im Schlafzimmer zu kämpfen haben. Obwohl sie ihr Kind in bester Charlotte-Lindholm-Manier ausquartiert haben und jede freie Minute zum Kuscheln nutzen, wird das Bekämpfen der Flaute im Ehebett dadurch zum Kampf gegen Windmühlen – denn Lessings lange Unterhosen entpuppen sich ebenso als Liebestöter wie Dorns kuscheliger Parka, der sogar unter der Bettdecke anbleibt.

Dieses regelmäßige Scheitern der Kommissare ist eine Weile ganz amüsant – verbraucht sich als Running Gag im Weihnachtstatort 2017 aber ebenso schnell wie die Tatsache, dass ihr emsiger Kollege Ludwig "Lupo" Pohl (Arndt Schwering-Sohnrey) regelmäßig in die aufkeimende Romantik platzt. "Das Leben ist wie 'ne Bratwurst: Man weiß nie, was drinsteckt", kommentiert Lupo bei einem Verhör in Anspielung auf die berühmteste aller Forrest Gump-Szenen – doch für den Tatort aus Weimar gilt das schon lange nicht mehr. Auch Der wüste Gobi ist wieder gespickt mit viel Dialogwitz und unzähligen Gags, von denen aber bei weitem nicht jeder zündet.

Zu den originelleren Einfällen der Drehbuchautoren Andreas Pflüger und Murmel Clausen, die bereits die ersten vier Folgen mit Lessing und Dorn konzipiert haben, zählen die subtilen Anspielungen auf eben diese Fälle – so auch bei Dorns Gespräch mit Professor Eisler (Ernst Stötzner, Der Fall Holdt), in dem sie den Chefarzt der Weimarer Psychiatrie augenzwinkernd auf Lupos Odyssee im Vorgänger Der scheidende Schupo hinweist.


EISLER:
Der darf für Sie arbeiten?

DORN:
Er hat 'ne sehr schwere Zeit mitgemacht.

EISLER:
Vielleicht schicken Sie ihn mal bei mir vorbei.


Aus eben jener Anstalt ist der gar nicht mal so böse Bösewicht dieses Schmunzelkrimis entkommen und hat neben einer toten Krankenschwester auch deren schockierte Kollegin Paola Koslowski (Mirjam Heimann, Ihr Kinderlein kommet) hinterlassen: Der dreifache Frauenmörder Gotthilf "Gobi" Bigamiluschvatokovtschvili (Jürgen Vogel, Rendezvous) hegt neben einer starken Abneigung gegen Spinnen eine fetischähnliche Vorliebe für gestrickte Damen-Unterwäsche – und hat gleich das gesamte weibliche Pflegepersonal mit entsprechenden Dessous versorgt. Seiner Verlobten Mimi Kalkbrenner (Jeanette Hain, Fangschuss), die den Ausbrecher vorübergehend vor der Polizei versteckt, passt das natürlich gar nicht – aber ist ihr Herzblatt überhaupt der gesuchte Mörder?

Für Genrekenner ist das Erraten der Auflösung nur Formsache, doch treffen wir auf dem gemütlichen Weg dorthin zumindest auf herrlich schräge Figuren: Hobby-Jäger Eisler sammelt mit seinen trockenen Sprüchen, einem dramatisch endenden Suppen-Malheur und einem kultverdächtigen Eichhörnchen-Abschuss ("Du kackst mir nicht mehr in mein Cabrio!") jede Menge Sympathiepunkte und den psychisch labilen Gobi schließen wir dank seiner skurrilen Vorlieben ohnehin sofort ins Herz. Überhaupt scheint sich Jürgen Vogel in seiner Rolle wohler zu fühlen als bei seinem letzten Tatort-Auftritt in der schwachen Ludwigshafen-Folge LU, in der er mit Hauptkommissarin Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) auf Tuchfühlung ging.

Eher unterfordert ist hingegen Jeanette Hain (Scheinwelten) in ihrer tadellos gespielten, aber eindimensionalen Rolle als Verbrecher-Verlobte – deren fast krankhafte (wenn auch berechtigte) Eifersucht will auch nicht so recht zum seichten Erzählton passen, der ansonsten vorherrscht.

Dem unterirdischen Setting in der Kanalisation, durch die Gobi nach seinem Ausbruch flüchtet, gewinnen die Filmemacher um Regisseur Ed Herzog (Côte d'Azur) zudem weit weniger ab als ihre Kollegen im herausragenden Kieler Tatort Borowski in der Unterwelt oder im zwei Wochen zuvor gesendeten Berliner Tatort Dein Name sei Harbinger: Erst in den Schlussminuten führt der Weg der Ermittler tatsächlich in die feuchte Finsternis unter der Dichterstadt – im Vorfeld krabbelt Gobi einfach verschmutzt durch einen Gullydeckel ins Freie und behauptet dann, er sei dort gewesen.

Die Fans von Lessing und Dorn werden darüber ebenso hinwegsehen können wie über die fehlende Spannung und so manchen misslungenen Gag von Kripo-Karikatur Kurt Stich (Thorsten Merten), der mit seinen vielen Flachwitzen in bester Gesellschaft ist.

Bewertung: 6/10

Dunkle Zeit

Folge: 1039 | 17. Dezember 2017 | Sender: NDR | Regie: Niki Stein
Bild: NDR/Christine Schroeder
So war der Tatort:

Relevant.

Denn Regisseur und Drehbuchautor Niki Stein (Frauenmorde) wagt sich in Dunkle Zeit an ein politisch heißes Eisen: Schon die erste Filmminute zeigt US-Präsident Donald Trump, Adolf Hitler und Wladimir Putin. Die kurzen Einstellungen stammen aus einem Video der linken Szene, in dem zum Mord an der Fraktionsvorsitzenden der fiktiven Partei "Die Neuen Patrioten" aufgerufen wird: Nina Schramm (Anja Kling, Schleichendes Gift) ist das Tatort-Pendant zu Frauke Petry oder Alice Weidel – und auch wenn die Idee zu diesem Tatort bereits viel früher entstand, trifft Steins Politthriller wenige Monate nach dem Einzug der AfD in den Bundestag noch immer den Puls der Zeit.

Auch das einleitende Aufeinandertreffen von Polizisten und linksautonomen Gewalttätern erinnert an ein Ereignis, das noch nicht lange zurückliegt: an den G20-Gipfel im Juli 2017, zu dessen Zeitpunkt der Film gerade erst abgedreht war.

Irgendwo zwischen diesen politischen Extremen bewegen sich die Ermittler und werden so für das Gros der Zuschauer zur Projektionsfläche: Die Hamburger Bundespolizisten Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring) und Julia Grosz (Franziska Weisz) werden von ihrer Chefin Luisa Salvoldi (Clelia Sarto, Dschungelbrüder) zum Schutz der umstrittenen Rechtspopulistin Schramm abgestellt - was vor allem Falke nicht passt, dessen tolerantes Weltbild sich kaum mit dem der Politikerin vereinbaren lässt.

Dass kurz darauf ihr Ehemann Richard (Udo Schenk, Kalte Wut) bei einem Attentat stirbt, können die Ermittler aber so oder so nicht verhindern - und stehen nun vor den beiden Fragen, ob der Anschlag in Wahrheit seiner Frau galt und wer die tödliche Bombe im Wagen deponiert hat.


SALVOLDI:
Gehen wir davon aus, der Anschlag galt Nina Schramm. Wer profitiert davon?

FALKE:
Deutschland.


Niki Stein hat bereits in Manila, Bildersturm oder Der Inder komplexe politische Stoffe in spannende Krimis umgemünzt – und auch sein 14. Tatort, der beim Filmfest Hamburg 2017 seine Vorpremiere feierte, ist wieder gelungen.

Denn während er bei Schramms Parteifreunden mitunter etwas dick aufträgt – bei Wahlkampfmanager Benjamin Reinders (Ben Braun, Mord ist die beste Medizin) dudelt beispielsweise Rechtsrock im Auto – beleuchtet er die Parteichefin differenziert und lockt den Zuschauer auf gefährliches Terrain: Einige Argumente der gewieften Politikerin würde man glatt unterschreiben, wüsste man nicht, dass sie die Wahrheit geschickt verkürzt und ihre Partei nur allzu gern in der Opferrolle sieht.

Die Ermittler sind damit oft überfordert: Falke verweist zwar auf seine glückliche Kindheit im Multi-Kulti-Stadtteil Billstedt, wird von Schramm aber mühelos ausgekontert ("Da wo sie aufgewachsen sind, hab ich mit meiner Partei 13 Prozent geholt."). Grosz verhält sich besonnener, weiß Schramms Provokationen im Hinblick auf die dringend notwendige Aufstockung des Polizeiapparats (eine bekannte AfD-Forderung) aber ebenso wenig zu kontern.

Statt die charismatische Rechtspopulistin plump zu dämonisieren, verleiht Stein ihr menschliche Züge: In einer der stärksten Szenen verliert Schramm die Fassung, weil sie dem Druck der anstehenden Wahlen und der verschärften Sicherheitslage nicht mehr standhalten kann. Wie sehr auch die Bundespolizei unter Beobachtung steht, zeigt ein Besuch beim potenziellen Bombenbauer Vincent (Jordan Dwyer), der von der radikalen Paula (Sophie Pfenningstorf, HAL) gekonnt instrumentalisiert wird: Grosz verstößt gegen die Vorschriften, um ja nicht mit leeren Händen ins Präsidium zu kehren und den Kritikern der vermeintlich voreingenommenen Polizei in die Karten zu spielen (Schramm: "Sind wir mal wieder auf dem linken Auge blind, ja?").

Die politische Debatte und der temporeich erzählte Kriminalfall, bei dem die Auflösung der Täterfrage oft in den Hintergrund tritt, fallen damit unterm Strich sehr überzeugend aus, doch im Hinblick auf die Besetzung der kleineren Nebenrollen schwächelt der Film: Gleich mehrere Schauspieler bringen hier kein gehobenes Primetime-Niveau mit. Ganz anders die Hauptdarsteller: Anja Kling liefert als Spitzenpolitikerin eine Spitzenperformance ab und auch Wotan Wilke Möhring und Franziska Weisz harmonieren in Dunkle Zeit besser als im enttäuschenden Vorgänger Böser Boden.

Darüber hinaus ist der 1039. Tatort auch interessant für die Figurenentwicklung: Die sensible Grosz verweigert Falke das Duzen und zeigt sich nach einem aufbrausenden Kommentar verletzter, als der es für möglich gehalten hätte. Nach Feierabend dürfen wir die Afghanistan-Rückkehrerin aber noch nicht erleben – anders als Falke, der die Politikverdrossenheit seines Sohnes Torben (Levin Liam) nicht unkommentiert lässt. Gut so!

Bewertung: 7/10

Dein Name sei Harbinger

Folge: 1038 | 10. Dezember 2017 | Sender: rbb | Regie: Florian Baxmeyer
Bild: rbb/Gordon Muehle
So war der Tatort:

Very Berlin. Denn man kann leicht den Überblick verlieren in einer Stadt, in der so viele Fäden zusammenlaufen, und in der alles ständig in Bewegung ist.

Berlin liefert damit die ästhetische Vorlage für diesen Großstadtkrimi: Die Kamera springt auf Züge auf und fängt in interessanten Einstellungen die komplexe Dynamik der Akteure ein. Regisseur Florian Baxmeyer (Zurück ins Licht) setzt die Hauptstadt als düsteres, raues Pflaster in Szene, in deren klaustrophobischer Unterwelt jemand heimlich nach seiner eigenen bizarren Weltordnung lebt. Dabei schaut man Werner Lothar (stark: Christoph Bach, LU), dem eigenbrötlerischen Schlüsseldienstbetreiber vom Alexanderplatz, gerne ins irre Gesicht, überkontrolliert bis in die Schnurrbartspitzen, immer kurz vor der Explosion. Wer zieht in seiner Realität die Fäden?

Prägnante Schnitte und der harte verbale Schlagabtausch zwischen den Hauptkommissaren Nina Rubin (Meret Becker) und Robert Karow (Mark Waschke), die im schnellen Wechsel miteinander spielen und, ja, auch schießen, liefern einen atmosphärisch dicht erzählten und temporeichen Psychothriller mit klassischen Krimimotiven.

Die Ermittler, ein "Magnet für Horrorleichen", untersuchen diesmal die verkohlten Überreste eines Mordopfers, die stilecht in einem weißen Lieferwagen liegen. Die sterile Kinderwunschklinik des lesbischen Paares Dr. Iris Wohlleben (Almut Zilcher) und Hanneke Tietzsche (Eleonore Weisgerber, Echolot), die die Verbindung zwischen dem Toten und früheren Mordfällen zu sein scheint, bildet einen weiteren dystopischen Gegenpol in einer Welt voller Ambivalenzen.

Kommissarsanwärterin Anna Feil (Carolyn Genzkow) ahnt zunächst nicht, dass sie in einem dieser Paralleluniversen eine Hauptrolle spielt. Schon bald aber dringt Lothar, der auch auf den titelgebenden Decknamen Harbinger hört, durch einen Trick in ihr Privatleben ein: Diese hochspannende Sequenz weckt sofort Assoziationen zum Kieler Tatort Borowski und der stille Gast, in dem sich Serienmörder Kai Korthals (Lars Eidinger) 2012 als Paketbote in die Wohnungen seiner Opfer schlich.


FEIL:
Was meinst du mit HINTER MIR?


Dein Name sei Harbinger hätte ein Highlight der Krimireihe werden können – einzig die Story, die zunächst gut aufgebaut wird, wirkt gegen Ende etwas überfrachtet. Die Geschichten durchkreuzen sich und schon bald wird klar: Die Ärztinnen haben mit unlauteren Methoden in das Leben ihrer Patientinnen eingegriffen.

Leider gelingt es den Drehbuchautoren Michael Comtesse und Matthias Tuchmann (Nachtsicht) nicht ganz, die beiden Handlungsstränge reibungslos miteinander zu verbinden, vielmehr bedienen sie sich recht unkritisch Reproduktionsmythen rund um gleichgeschlechtliche Familien und deren Elternschaft. Das ist ein bisschen letztes Jahrhundert und schmälert den ansonsten hohen Unterhaltungswert: Meret Becker gibt in der 1038. Tatort-Ausgabe gekonnt die Berlin-Bitch, die die Faust in der Bomberjacke ballt und keinen Bock mehr darauf hat, dass ihr ihr Sohn Tolja (Jonas Hämmerle) und der Rest der nach Straubing gezogenen Familie auf der Nase rumtanzen. Ihre Figur bewegt sich konstant zwischen Verletzlichkeit und Härte und wirkt dabei so authentisch, als träfe man sie an der nächsten Berliner U-Bahn-Station wirklich.

Auch die zunächst schüchterne Feil wird in ihrer Coming-of-Age-Geschichte von Extremsituationen geschüttelt und spielt das eiskalte Spiel am Ende mit – teilt aus, verletzt, bleibt cool und brutal (mehr zu Rubins Vorbildfunktion und Feils Gefühlswelt verriet uns Carolyn Genzkow im Interview).

Mit dem Berliner Ermittlerteam hat die Hauptstadt seit Das Muli endlich würdige Repräsentanten, die den Geist der Metropole, immer eine Ecke schneller und krasser zu sein, hervorragend transportieren. Die Schauspieler zeigen sich als Symptomträger für einen hektischen, ein bisschen gruseligen, aber auch wahnsinnig faszinierenden und vielfältigen Ort, seinem Leben mit all den Falltüren und Parallelwelten darin. Dabei machen gerade die konsequent durchgezogenen Widersprüche die Charaktere aus: Während andere Tatort-Kommissare nach Feierabend über ihr Dasein jammern oder ihre Katze streicheln, qualmt Rubin wahrscheinlich irgendwo im Regen ihre Zigarette danach.

Und Karow? Der Bad Ass mit dem Ego vom Alex bis zum Hermannplatz lässt sich so richtig durch den Kakao (bzw. die Salzlauge) ziehen und diesmal zu gewagten Fessel- und Psychospielchen hinreißen. Rubin findet das "Auch'n bisschen geil, oder?"

Auf jeden.

Bewertung: 7/10

Böser Boden

Folge: 1037 | 26. November 2017 | Sender: NDR | Regie: Sabine Bernardi
Bild: NDR/Christine Schroeder
So war der Tatort:

Frackingkritisch.

Denn in Böser Boden üben alle Beteiligten scharfe Kritik an eben jenem umstrittenen Förderverfahren für Erdgas: Radikale Bio-Bauern und Öko-Aktivisten veranstalten konspirative Treffen in der Scheune des einflussreichen Landwirts Lars Kielsperg (Niklas Post) und seiner Frau Anne (Cristin König, Ätzend) und sind sogar ins Visier des Verfassungsschutzes geraten. Aber haben sie auch den Iraner Arash Naderi (Hadi Khanjanpour) getötet, der als Fahrer für die fiktive Frackingfirma "Norfrac" tätig war und vor seinem Tod von der aufgebrachten Dorfbevölkerung bedrängt wurde?

Die Bundespolizisten Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring) und Julia Grosz (Franziska Weisz), die bei ihren Nachforschungen in der niedersächsischen Provinz von der ortsansässigen Polizistin Kerstin Starke (Lenja Schultze) und dem hinzubeorderten Chemiker Henry Fohlen (Christian Hockenbrink, Mord ist die beste Medizin) unterstützt werden, ermitteln in alle Richtungen: Arashs Bruder Hamed (Sahin Eryilmaz, Der große Schmerz) und seine Frau Shirin (Sanam Afrashteh, Stau) scheinen bei den Befragungen nicht mit offenen Karten zu spielen – und ihr jüngster Sohn ist nicht der einzige Anwohner der Gegend, der irgendwie ungesund aussieht und Grosz schon bei der ersten Begegnung ohne Vorwarnung in die Hand beißt.

Auffallend bleiche Gesichter mit tiefdunklen Augenringen blicken die Ermittler gleich reihenweise an, aber Verdacht schöpft zunächst nur Grosz: Der genervte Falke interessiert sich lange Zeit mehr für die Aktivitäten seines umtriebigen Sohnes Torben als für die Ursachen dieser mysteriösen Ungesundheit.


GROSZ:
Sehen Sie den Leuten mal in die Augen, das sind doch halbe Zombies.

FALKE:
Wenn man sein Leben lang nur Hirse frisst, dann sieht man halt so aus.


Vier Wochen nach dem kolossal gescheiterten Frankfurter Tatort-Experiment Fürchte dich weht erneut ein Hauch von Horror durch die beliebteste deutsche Krimireihe: Falkes zwischenzeitliche Stippvisite in Hamburg ist fast noch das bodenständigste an der mit Zombiefilm-Anleihen angereicherten Handlung, die beim Showdown in einem Supermarkt stärker an The Walking Dead oder Dawn of the Dead als an einen Sonntagskrimi im klassischen Sinne erinnert. Einmal mehr verwischen die Grenzen zwischen den Genres – das hat in der Vergangenheit schon gut funktioniert, sorgt hier aber eher für unfreiwillige Komik und bringt weniger experimentierfreudige Zuschauer einmal mehr auf die Palme.

Schossen ihre Vorgänger in Borowski und eine Frage von reinem Geschmack gegen die Hersteller von Energydrinks, in Tote Erde gegen windige Recyclingfirmen und in Wer Wind erntet, sät Sturm gegen Windkraftbetreiber, knöpfen sich die Drehbuchautoren Marvin Kren (Die letzte Wiesn) und Georg Lippert diesmal das Frackingverfahren vor, das in Deutschland im Jahr 2017 in kommerzieller Form verboten ist und das in Böser Boden dank giftiger Abwässer gleich ein ganzes Dorf zu kranken Halb-Zombies macht.

So gut diese politisch angehauchte, aber undifferenziert ausgearbeitete Umweltstory der Bundespolizei thematisch zu Gesicht steht, so sehr schießen die Filmemacher über ihr Ziel hinaus: Argumente für das umstrittene Verfahren bleiben im 1037. Tatort komplett außen vor und die Handlung ist dermaßen fernab der Realität, dass es mit fortlaufender Spielzeit immer schwerer fällt, diesen überambitionierten Öko-Thriller ernst zu nehmen.

Daran ändert auch der uninspiriert eingeflochtene Gastauftritt der Indie-Rockband AnnenMayKantereit wenig, der ansonsten fast zu den Lichtblicken in diesem auffallend farblos fotografierten Film zählt: Die soliden Leistungen der Schauspieler, die überzeugende Regiearbeit von Tatort-Debütantin Sabine Bernardi und einige ansprechende Kamerafahrten können die Schwächen des Drehbuchs unterm Strich nicht übertünchen.

Das neue Ermittlerteam, das mehr als eineinhalb Jahre auf seinen zweiten gemeinsamen Fall warten musste, holt die Kastanien jedenfalls (noch) nicht allein aus dem Feuer: Garantieren bei den fast immer überzeugenden Tatort-Folgen aus Dortmund, München oder Kiel bei einem schwächeren Skript schon die starken Figuren einen gewissen Unterhaltungswert, mangelt es vor allem Tatort-Neuling Grosz noch an Profil. Die zeigt sich nach ihrem sympathischen Debüt in Zorn Gottes zwar diesmal aktiver, wird aber auch in Böser Boden ausschließlich im Dienst gezeigt - und wirkt dabei (noch) sehr unterkühlt.

Bewertung: 4/10

Gott ist auch nur ein Mensch

Folge: 1036 | 19. November 2017 | Sender: WDR | Regie: Lars Jessen
Bild: WDR/Wolfgang Ennenbach
So war der Tatort:

Aktionskünstlerisch.

Denn in Gott ist auch nur ein Mensch ermitteln Hauptkommissar Frank Thiel (Axel Prahl) und seine Kollegin Nadeshda Krusenstern (Friederike Kempter) auf den Internationalen Skulpturtagen in Münster: Eine vorm Rathaus aufgestellte Clownsfigur entpuppt sich als Leiche eines ehemaligen Stadtrats, der vom Verdacht der Unzucht mit Kindern freigesprochen wurde. Hat sein Mörder Selbstjustiz geübt?

Professor Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers) und seine Assistentin Silke "Alberich" Haller (Christine Urspruch) finden Hinweise auf einen Serientäter – und spätestens, als dieser ein zweites Opfer zum Kunstwerk drapiert und öffentlich zur Schau stellt, ist die Jagd auf ihn eröffnet. Neben dem selbstverliebten Aktionskünstler Zoltan "G.O.D." Rajinovic (Aleksandar Jovanovic, Alles hat seinen Preis) rücken auch seine Kollegen Jan Christowski (Christian Jankowski) und Swantje Hölzel (Raphaela Möst) ins Visier der Ermittler. Kuratorin Klara Wenger (Victoria Mayer, Goldbach), deren Mutter Nika (Gertie Honeck) gut mit Staatsanwältin Wilhelmine Klemm (Mechthild Großmann) bekannt ist, kommt die Publicity derweil nicht ungelegen, doch die Befragungen liefern wenig brauchbare Erkenntnisse.

Die spielen aber einmal mehr nur eine untergeordnete Rolle: Regisseur Lars Jessen (Feierstunde) und die Drehbuchautoren Christoph Silber und Thorsten Wettcke, die zuletzt die Münster-Krimis Schwanensee und Zwischen den Ohren konzipierten, setzen voll auf das langjährige westfälische Erfolgsrezept mit dem mal mehr, mal weniger originellen Dialogwitz, einem Kriminalfall ohne Anspruch auf Realitätsnähe und den gewohnten Frotzeleien der Figuren, die bei ihrem 32. Einsatz voll in ihrem Element sind.


BOERNE:
Alberich, Sie müssen mal über den Tellerrand hinausschauen. Ich mache Ihnen gern die Räuberleiter.


Tiefgang und Spannung bleiben vor allem in der ersten Filmhälfte auf der Strecke, aber die Fans von Thiel und Boerne kommen auf ihre Kosten: Der eitle Gerichtsmediziner neckt die tapfere Haller, der mürrische Kommissar moniert Klemms Nikotinsucht und auch "Vaddern" Herbert Thiel (Claus Dieter Clausnitzer) tut in Gott ist auch nur ein Mensch wieder das, was er am besten kann: Taxi fahren, Drogen konsumieren und seinen Sohn zur Weißglut treiben.

Das alles hat man im Tatort aus Münster schon etwa 32 Mal gesehen, und auch die Nebenfiguren bekommen traditionell wenig Platz zur Entfaltung: Die Stars und Stichwortgeber für den nächsten Gag sind wie immer die Ermittler.

Wenigstens einem Verdächtigen verleihen die Filmemacher aber Profil: Aleksandar Jovanovic gibt als überzeichneter Aktionskünstler G.O.D. ("Denken tun nur die Dummen!") Einblicke in seine exzentrische Künstlerseele und zugleich das Enfant Terrible, das den nicht minder ich-fixierten Hobbykünstler Boerne sofort fasziniert. Sicher: Ein Faible für Kunst und Künstler hätte Krusenstern oder Alberich genauso gut zu Gesicht gestanden, was mal für Abwechslung gesorgt hätte – in Münster frönt aber fast immer Boerne einer neuen Leidenschaft, die dann in irgendeinem Zusammenhang zum Mord steht (so auch im Vorgänger Fangschuss).

Auch andernorts häufen sich die Zufälle: Thiel und Kuratorin Wenger, nicht gerade im selben Alter, kennen sich angeblich aus der freizügigen Zeit ihrer Eltern in einer Kommune – dass Wenger diese wieder aufleben lassen möchte, wirkt mehr als bemüht und generiert keine einzige brauchbare Pointe. Deutlich origineller ist der Kriminalfall, der runder wirkt als in manch anderer Folge aus Münster: Dass der Mörder den in familienkompatibler Hannibal-Manier drapierten Leichen Botschaften mitgibt und sich aus diesen Puzzleteilen erst kurz vor dem Showdown ein schlüssiges Gesamtbild ergibt, animiert zum Miträtseln.

Wenngleich die Auflösung eingefleischten Tatort-Kennern nur ein müdes Lächeln abringen dürfte, wartet der 1036. Tatort doch noch mit einer überzeugenden Schlussviertelstunde auf, die ein Stück weit für die vielen Klischees, die ausgelutschten Erzählmuster und so manchen misslungenen Witz entschädigt. Wenn sich der verschlafene Thiel nämlich statt seines klingelnden Steinzeit-Handys, das seit 15 Jahren denselben Hans-Albers-Klingelton spielt, seine Fernbedienung ans Ohr hält und das Gespräch annehmen will, verkommt der Film vorübergehend zur Klamotte – deutlich gelungener ist da schon die an Pulp Fiction angelehnte Spielerei mit dem Inhalt eines Koffers, die diesen Schmunzelkrimi vom Reißbrett eigenwillig abrundet.


CHRISTOWSKI:
Und? War das jetzt Kunst? Entscheiden Sie selbst.


Bewertung: 5/10


Auge um Auge

Folge: 1035 | 12. November 2017 | Sender: MDR | Regie: Franziska Meletzky
Bild: MDR/Wiedemann & Berg/Gordon Muehle
So war der Tatort:

Digital nachbearbeitet.

Denn seinen ersten Aufreger hatte der Tatort Auge um Auge schon vor seiner TV-Premiere: Der taz war bei der Vorabsichtung des Krimis aufgefallen, dass in einer Filmsequenz drei PEGIDA-Anhänger einen lebensmüden Rollstuhlfahrer vor dem Unfalltod bewahren. Dessen Kommentar ("Ich dachte, wenn ihr jetzt das Volk seid, dann hau ich ab!") war dem Schnitt zum Opfer gefallen – und so rückten die rechten Retter in ein positiveres Licht, als es dem MDR lieb war. Der Sender ließ die Szene nachbearbeiten: Ein Aufnäher mit der Wirmer-Flagge und Sprüche wie "Verkohlt! Geschrödert! Ausgemerkelt!" wurden digital von den Shirts der Islamfeinde entfernt und die politische Note so eliminiert.

Sie wäre aber bei weitem nicht die einzige Anspielung auf die "besorgten Bürger" Dresdens und die Flüchtlingskrise gewesen: Regisseurin Franziska Meletzky (Die fette Hoppe) und die Drehbuchautoren Peter Probst (Totenstille) und Ralf Husmann (Der König der Gosse) ironisieren ein im Tatort schon sehr häufig erzähltes Thema (zuletzt in Am Ende geht man nackt und Wacht am Rhein), überzeugen damit aber ebenso wenig wie mit dem enttäuschenden Kriminalfall um die zweifelhafte Zahlungsmoral des fiktiven Versicherungskonzerns ALVA.

In dessen gläserner Zentrale finden Kommissariatsleiter Peter Michael Schnabel (Martin Brambach) und die Oberkommissarinnen Karin Gorniak (Karin Hanczewski) und Henni Sieland (Alwara Höfels) die Leiche des erschossenen Abteilungsleiters Heiko Gebhardt (Alexander Schubert, Allmächtig): Sein Tod ist der Anlass für die drei, sich unter den Mitarbeitern des Versicherers und unter dessen Kunden umzuhören, die aufgrund der ausbleibenden Zahlungen gar nicht gut auf die ALVA zu sprechen sind. Was nicht heißt, dass Polizisten bei dem tatverdächtigen Fabian Rossbach (Sascha Göpel, Unter uns) willkommener wären:


ROSSBACH:
Was ich in meiner Freizeit mache, das ist Privatsache. Das geht die Versicherung nichts an und die Bullen auch nicht! Ähem, die Polizei auch nicht!

SCHNABEL:
Wenn was passiert ist, geht uns alles was an. Deswegen sind wir auch keine Bullen, sondern Schweine. Schweine stecken ihre Nase auch überall rein. Auch in den größten Mist.


Die politische Debatte wird im 1035. Tatort direkt ins Präsidium verlagert: Sieland schimpft über Schnabel, weil ihr latent ausländerfeindlicher Chef gedanklich noch im letzten Jahrtausend steckt, und Schnabel schimpft über Sieland, weil die sich auf seine Kosten für Flüchtlinge engagiert.

"Ich mache mir massiv Sorgen um die Stadt und die Zustände hier", wettert der Stromberg-Verschnitt unverhohlen gegen Einwanderer – fast so, als würden sich Geflüchtete, Gutmenschen und Neonazis direkt vor seinem Bürofenster die Köpfe einschlagen. Die Kommissarinnen versuchen es statt mit Dramatisierung mit Humor: "Soweit ist es gekommen, du! Jetzt versauen die Türken den Deutschen schon ihre Alibis", witzelt Gorniak beim Abgleich einer Aussage des ebenfalls tatverdächtigen Gebhardt-Kollegen Rainer Ellgast (Arnd Klawitter, Fegefeuer) – der Sprengkraft dieses Reizthemas, das erheblich zum AfD-Erfolg bei der Bundestagswahl 2017 beigetragen hat, werden diese dünnen Witzchen aber kaum gerecht.

Statt der deutlich reizvolleren, aber oberflächlich abgefrühstückten Geschichte um die Profitgier des Versicherers und dem Kampf der abgezockten Opfer mehr Tiefgang zu verleihen, verheddern sich die Filmemacher recht unbeholfen in einem ironisch angehauchten Mischmasch aus platter Schwarz-Weiß-Malerei, ermüdenden Grabenkämpfen im Präsidium und einer herbeigeredeten Beziehungskrise: Spätestens, als Sieland mit ihrem Ex-Ex-Freund Ole Herzog (Franz Hartwig) am Telefon über Couscous und Küsse philosophiert, ist der Bogen hier deutlich überspannt.

Auch im Hinblick auf das Schicksal von Rollstuhlfahrer Harald Böhlert (Peter Schneider), seiner Frau Ines (Marie Leuenberger) und der radikalen Aktivistin Martina Scheuring (Henny Reents) kommt Auge um Auge über seine guten Ansätze nicht hinaus. Spannung will selten aufkommen, denn dramaturgisch liegt einiges im Argen: Dass die Auflösung der Whodunit-Konstruktion so knifflig ausfällt, liegt in erster Linie daran, dass der Zuschauer den fix aus dem Hut gezauberten Täter erst in den Schlussminuten wirklich kennenlernt – und einem Faktencheck würden dessen Behauptungen angesichts dieser GDV-Zahlen auch kaum standhalten.

Dass die Ermittlerinnen so spät auf die richtige Spur gelangen, wirkt ebenfalls konstruiert: Hätten sich Gorniak und Sieland bei ihren Besuchen im ALVA-Konzern etwas mehr Zeit für die Details genommen, statt sich im Präsidium in bemühten One-Linern und zwischenmenschlichen Bankrotterklärungen zu verlieren, wäre der Fall wohl schon nach einer halben Stunde gelöst gewesen.

Bewertung: 4/10

Der Fall Holdt

Folge: 1034 | 5. November 2017 | Sender: NDR | Regie: Anne Zohra Berrached
Bild: NDR/Marion von der Mehden
So war der Tatort:

Angelehnt an den realen Heidenheimer Kriminalfall Maria Bögerl – und mit aller Konsequenz zum bitteren Ende geführt.

Auch in der Nähe von Walsrode, auf halber Strecke zwischen Hannover und Hamburg also, gibt es in diesem Tatort einen undurchsichtigen Entführungsfall: Zwei maskierte Täter kidnappen einleitend die titelgebende Julia Holdt (Annika Martens) und fordern von ihrem Mann Frank (Aljoscha Stadelmann, Spiel auf Zeit) ein Lösegeld in Höhe von 300.000 Euro. Weil der die Summe als Filialleiter der ortsansässigen Volksbank nicht selbst aufbringen kann, kontaktiert er seine Schwiegereltern Christian (Ernst Stötzner, Allmächtig) und Gudrun Rebenow (Hedi Kriegeskotte, Der irre Iwan), die gegen seinen Willen die Polizei einschalten – und so muss LKA-Kommissarin Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) auf ausdrücklichen Wunsch ihres Chefs in die niedersächsische Provinz ausrücken, um mit der vor Ort zuständigen Kollegin Frauke Schäfer (Susanne Bormann, Schön ist anders) die Ermittlungen zu leiten.

Regisseurin Anne Zohra Berrached setzt bei ihrem Debüt für die Krimireihe auf geballte Frauenpower – was nicht nur ihre Hauptdarstellerin freuen dürfte, die sich ein paar Monate vor der TV-Premiere des Films in einem Spiegel-Interview über den ungerechten Umgang mit Frauen im deutschen Fernsehen beklagte. Schäfer entspricht erfreulicherweise auch nicht dem im Niedersachsen-Tatort häufig vorherrschenden Klischee vom überforderten Landei, das von der scharfsinnigeren LKA-Kommissarin auf links gebügelt wird – vielmehr gibt sie ihrer labilen Vorgesetzten, die einleitend von drei Männern beim Urinieren auf einem Parkplatz gefilmt und brutal niedergeschlagen wird, ordentlich Kontra und fällt ihr sogar in den Rücken.


SCHÄFER:
Ich hab' kein Problem damit, hier die zweite Geige zu spielen, ja. Aber ich werde nicht länger zusehen, wie diese Frau die Ermittlungen gegen die Wand fährt. Ich muss hier mal die Notbremse ziehen.


Der Fall Holdt ist ein gelungenes, weil stark gespieltes und toll fotografiertes Krimidrama, das nach den aufregenden letzten Wochen mit einem amüsanten Münchner Porno-Tatort (Hardcore), einem sperrigen Stuttgarter History-Krimi (Der rote Schatten), einer anstrengenden Bremer Psychokiste (Zurück ins Licht) und einem gescheiterten Frankfurter Horror-Experiment (Fürchte dich) angenehm bodenständig ausfällt.

Regisseurin Berrached und Drehbuchautor Jan Braren arrangieren eine strukturell zwar etwas ungewöhnliche, aber atmosphärisch dichte und durchweg spannende Kreuzung aus klassischem Krimi und emotionalen Familiendrama, der ein etwas geringerer Fokus auf die Gefühlswelt seiner Ermittlerin allerdings gut zu Gesicht gestanden hätte: Am Ende ist die 1034. Tatort-Ausgabe zugleich eine dieser Folgen aus Niedersachsen, bei denen das Seelenleben der LKA-Kommissarin mal wieder wichtiger zu sein scheint als alles andere.

Reizvoller als die Aufarbeitung des Lindholmschen Traumas, das man der sonst so toughen Polizeibeamtin angesichts ihrer jahrelangen Erfahrung an vorderster Front ohnehin kaum abkauft, wäre die konsequentere Zuspitzung der Konkurrenzsituation mit Schäfer gewesen, denn auch der regelmäßige Tadel ihres unter Druck stehenden Vorgesetzten Marc Kohlund (Stephan Grossmann, Amour fou) bringt kaum Brisanz in die Ermittlungsarbeit, weil dieser Konflikt im Tatort schon viel zu häufig erzählt wurde.

Anders als der unter dringendem Tatverdacht stehende Ehemann Frank kommt außerdem der Sohn der Entführten bei der Charakterzeichnung zu kurz: Jonas Holdt (Moritz Jahn) reist mit Verspätung an und darf dann vor allem apathisch aus der Wäsche schauen und ein paar Krokodilstränen in einer Videobotschaft an die Entführer verdrücken. Überhaupt schlägt das Herz dieses emotionalen Entführungsdramas direkt im Hause Holdt: Durch das kammerspielartige (und budgetschonende) Setting aus Wohnhaus und direkter Umgebung erinnert Der Fall Holdt inhaltlich wie ästhetisch an den fünf Wochen zurückliegenden Schwarzwald-Tatort Goldbach, in dem ebenfalls fast ausschließlich im Wald und in einem direkt angrenzenden Dörfchen nach einem vermissten Kind und einem Mörder gesucht wurde.

Im Hinblick auf die Auflösung ist der 25. Fall von Charlotte Lindholm aber nur mit wenigen Tatort-Folgen zu vergleichen: Nicht von ungefähr werden Erinnerungen an den rund ein Jahr zurückliegenden Münchner Ausnahmebeitrag Die Wahrheit wach, dessen Klasse Der Fall Holdt allerdings nicht ganz erreicht – was auch an seiner Vorhersehbarkeit liegt, die in erster Line aus dem sehr reduzierten Verdächtigenkreis und natürlich auch seiner realen Vorlage resultiert.

Bewertung: 7/10

Fürchte dich

Folge: 1033 | 29. Oktober 2017 | Sender: HR | Regie: Andy Fetscher
Bild: HR/Benjamin Dernbecher
So war der Tatort:

Schaurig schlecht.

Was nicht allein daran liegt, dass der sechste Einsatz der Frankfurter Hauptkommissare Anna Janneke (Margarita Broich) und Paul Brix (Wolfram Koch) alles andere als ein gewöhnlicher Tatort ist: Fürchte dich ist ein waschechter Horrorfilm, der in der Krimireihe seinesgleichen sucht und erneut den Beweis dafür liefert, wie sehr der Hessische Rundfunk immer wieder darum bemüht ist, deren Grenzen mit seinen Beiträgen auszuloten.

Doch während diese Rechnung beim überragenden Meilenstein Im Schmerz geboren oder der selbstironischen Film-im-Film-Konstruktion Wer bin ich? wunderbar aufging, scheitert sie diesmal kolossal. Für einen schockierenden Horrorfilm ist Fürchte dich zu trashig und vorhersehbar – für eine Parodie hingegen nimmt Regisseur Andy Fetscher, der gemeinsam mit Christian Mackrodt auch das Drehbuch zum Film schrieb, die übernatürliche Geschichte viel zu ernst.

Der Auftakt ist noch am ehesten gelungen: Der aus dem Seniorenheim ausgebüxte Otto Schlien (Axel Werner, Kassensturz) will das Haus von Brix und seiner Vermieterin Fanny (Zazie de Paris) in Brand stecken – wird aber in letzter Sekunde von einem Wesen aus der Dunkelheit von hinten gepackt und an der Tat gehindert. Später sind es knarrende Schaukelstühle, mysteriöse Geräusche auf dem Dachboden oder eine schreckliche Begegnung im Wasserdampf, die den Zuschauer das Fürchten lehren – wem die gewöhnliche Suspense-Dosis in öffentlich-rechtlichen Sonntagskrimis schon genug Nervenkitzel ist, der braucht hier Nerven wie Drahtseile.

Als der Geist, der sich in Brix' Wohnhaus eingenistet hat, aber irgendwann von Fannys Körper Besitz ergreift, verabschiedet sich der Film mit Volldampf in die unfreiwillige Komik: Während Janneke, Brix und Schliens Enkeltochter Merle (Luise Befort) in der Realität geerdet sind und der Geschichte durch ihre Nachforschungen den Anspruch auf Ernsthaftigkeit verleihen, stiefelt Fanny geistesabwesend – oder vielmehr: geistesanwesend – durch den dunklen Keller, pinselt kryptische Symbole an die Wände und verspeist genüsslich eine weiße Tennissocke, die ihr Janneke in den Mund gestopft hat. Das ist nicht gruselig, das ist nicht witzig – das ist einfach nur befremdlich.


FANNY:
Willst du deiner Urgroßmutter nicht ein Glas Wasser bringen?

MERLE:
Was?

FANNY:
Mein Hals ist von dieser unsäglichen Sportsocke völlig ausgetrocknet.


Wer sich in einem Tatort mit dem ausgiebigem Wildern im Haunted House-Genre anfreunden kann, kommt eine Zeit lang durchaus auf seine Kosten – wem das alles zu gruselig oder realitätsfern ist, der wird hingegen in Rekordzeit abschalten.

Für den ungewohnt schwachen Frankfurter Vorgänger Land in dieser Zeit erntete der HR bereits viel Kritik, die im Vergleich zu seinem außergewöhnlichen und gänzlich familieninkompatiblen Halloween-Beitrag allerdings nur ein laues Lüftchen ist: Mag man über den folgenreichen Verzehr eines Stücks Schwarzwälder Kirschtorte zwischenzeitlich noch schmunzeln, schießen die Filmemacher im Schlussdrittel komplett über ihr Ziel hinaus und lassen den 1033. Tatort jegliche Bodenhaftung verlieren.

Mit einem klassischen Tatort hat Fürchte dich kaum mehr zu tun als das parallel im ZDF laufende Herzkino, und so kommen am Ende weder die Tatort-Puristen noch die Horror-Fans auf ihre Kosten: Vor allem bei der Visualisierung einer Untoten wird das schmale Budget im Vergleich zu einer Kino-Produktion deutlich – und wenn Geister aussehen wie aus einer Geisterbahn, sind sie vielleicht auch besser dort aufgehoben. Anderswo wird mit abgegriffenen Jump Scares billige Effekthascherei betrieben oder uninspiriert bei Genre-Vorbildern abgekupfert: Eine furchterregende Frau auf dem Schrank kennen wir aus Conjuring, eine kotzende Todgeweihte aus Der Exorzist und das Vortasten im Dunkeln mit dem Blitzlicht einer Spiegelreflexkamera aus Saw.

Und dann gibt es da noch zwei Figuren, die ihre Daseinsberechtigung in diesem schrägen Horror-Krimi komplett schuldig bleiben: Darf der neue Vorgesetzte Fosco Cariddi (Bruno Cathomas), der bei seinem irritierenden Debüt in Land in dieser Zeit beim Publikum sang- und klanglos durchfiel, gerade einmal sieben Sätze sagen, beschränkt sich Merles auffällig tätowierter Vater Lutz Schlien (Marko Dyrlich, Der sanfte Tod) auf animalische Laute und wahnhafte Zerstörungswut. Sein rätselhafter Auftritt ist das unrühmliche i-Tüpfelchen auf ein vielversprechend beginnendes, am Ende aber grandios gescheitertes Tatort-Experiment – von denen es zukünftig nur noch zwei im Jahr geben soll, wie die ARD kurz vor der TV-Premiere des Films bekannt gab. Zufall?

Bewertung: 2/10

Zurück ins Licht

Folge: 1032 | 22. Oktober 2017 | Sender: Radio Bremen | Regie: Florian Baxmeyer
Bild: Radio Bremen
So war der Tatort:

Selbsam.

Denn bei ihrem vierten Auftritt wirbelt BKA-Kollegin Linda Selb (Luise Wolfram) den Tatort aus Bremen erneut nach allen Regeln der Kunst durcheinander: Erst drückt sie dem verdutzten Gerichtsmediziner Dr. Katzmann (Matthias Brenner) einen Spontankuss auf, dann integriert sie irritierende Verkleidungs- und Schaukampfrituale in ihr Sexleben mit dem angemessen überraschten Hauptkommissar Nils Stedefreund (Oliver Mommsen) – und am Morgen danach gesteht sie ihm neben dem One-Night-Stand mit einer Frau auch den Wunsch nach einem gemeinsamen Kind.

Klingt ziemlich verrückt, und das ist es in der Tat: Zurück ins Licht ist der beste Beweis dafür, wie nah Licht und Schatten im Fadenkreuzkrimi aus dem kleinsten deutschen Bundesland seit Jahren beieinander liegen. Herausragenden Thrillern wie Brüder oder sensiblen Familiendramen wie Die Wiederkehr standen unfreiwillig komische Psychokisten wie Ordnung im Lot oder Er wird töten gegenüber – und leider fällt der 16. Tatort von Regisseur Florian Baxmeyer, der zuletzt die tolle Folge Nachtsicht inszenierte, eindeutig in die zweite Kategorie.

Wie schon in Er wird töten steht erneut eine psychisch labile Frau im Mittelpunkt: Die Pharmareferentin Maria Voss (Nadeshda Brennicke, Rendezvous mit dem Tod) hat sich nach einem Autounfall Zurück ins Licht gekämpft – steht nun aber unter Mordverdacht, weil sie in Kontakt zum ermordeten Pharmahändler Ole Bergener stand, dessen Leiche Hauptkommissarin Inga Lürsen (Sabine Postel) und ihre Kollegen aus der Weser ziehen. Voss klingt von Beginn an wie auf Drogen und gibt regelmäßig schräge Esoterik-Selbstgespräche zum Besten, die einer verwirrten Psychopathin deutlich besser zu Gesicht gestanden hätten als der toughen Karrierefrau, die sie zu sein vorgibt. Und auch sie hat ein Auge auf Stedefreund geworfen.


VOSS:
Willst du mit mir schlafen? Ist jetzt ganz ungünstig, ich hab morgen um 11 einen wichtigen Termin.


Vielleicht gaben Sabine Postel und Oliver Mommsen ihren Ausstieg aus der Krimireihe nicht von ungefähr nach den Dreharbeiten zu Zurück ins Licht bekannt: Der 1032. Tatort wartet zwar mit mutigen Dialogen auf, zählt aber zu den schwächsten und kuriosesten Krimis, die je an der Weser entstanden.

Man muss schon kürbisgroße Tomaten auf den Augen haben, um nicht zu bemerken, dass mit Voss etwas nicht stimmt – der Twist nach einer guten Stunde dürfte allenfalls die Kommissare überraschen und auch ihr Verhältnis zum Pharmahändler Carl Bellheim (Jörg Pose, Fünf Minuten Himmel) erklärt sich nach einem spontanen Handjob von selbst. Sorgte der in der Pornoszene spielende Münchner Tatort Hardcore zwei Wochen zuvor für laute Proteste, geht es mit der Freizügigkeit in Bremen munter weiter: "Zum Schluss war es lustig, wenn Porno-Mommsen nur im Bademantel und mit Adiletten zum Set kam", ließ der nackt zu sehende Hauptdarsteller in einem Interview verlauten, und auch die Witwe Judith Bergener (Victoria Fleer) und Voss' Ex-Mann Peter Kappeler (Nicki von Tempelhoff, Schattenlos) fallen ohne Umschweife übereinander her.

Der Fall rückt oft in den Hintergrund, doch den schablonenhaften Figuren fehlt es auch am Unterbau: Warum zum Beispiel Kappeler plötzlich wieder von seiner Ex-Frau fasziniert ist und seine deutliche aufgewecktere Tochter Lotte (Emma Drogunova, Wir - Ihr - Sie) sogar zum Mittagessen mit ihr nötigt, bleibt vollkommen nebulös. Während Stedefreund und Selb mit sich selbst beschäftigt sind, bildet Lürsen den Ruhepol in diesem überambitionierten Psychothriller, bleibt aber die einzige Hauptfigur, deren Handeln uneingeschränkt nachvollziehbar ist.

Handwerklich birgt Zurück ins Licht, in dem die Drehbuchautoren Christian Jeltsch (Der hundertste Affe) und Olaf Kraemer ihre Ich-kämpfe-mich-zurück-ins-Leben-Geschichte mit einem halbgar ausgearbeiteten und alles andere als glaubwürdigen Pharmabetrug kombinieren, zudem erhebliche Schwächen: Bis zum Schluss sucht man den einheitlichen Erzählton vergeblich, denn seltsame Dialoge und ironisch angehauchte Provokationen wechseln sich pausenlos mit nachdenklichen Sequenzen ab.

Auch die Inszenierung wirkt künstlich und wird bisweilen vom Soundtrack konterkariert: Ein wummernder Beat erzeugt bei Tatort-Besichtigungen noch lange keine Dynamik – und die plötzlich aufjaulenden Chöre, die kurz nach der Auflösung noch schnell Dramatik in den Film singen sollen, hätten auch die Schlacht um Mittelerde im Fantasy-Epos Der Herr der Ringe angemessen vertont.

So tragisch ist der Abschied von Linda Selb, die hier nur vermeintlich zum letzten Mal im Bremer Tatort zu sehen ist, dann allerdings doch nicht.


STEDEFREUND:
Linda, wer bist du? Wer bist du wirklich?

SELB:
Ich bin viele.

STEDEFREUND:
Sind vielleicht 'n bisschen viele für mich.

SELB:
Leb wohl.


Bewertung: 2/10

Der rote Schatten

Folge: 1031 | 15. Oktober 2017 | Sender: SWR | Regie: Dominik Graf
Bild: SWR/Sabine Hackenberg
So war der Tatort:

Verschwörungstheoretisch.

Denn Regisseur Dominik Graf (Frau Bu lacht) schlägt in seinem vierten Tatort den Bogen zum vierzig Jahre zurückliegenden Deutschen Herbst: In der Nacht zum 18. Oktober 1977 nahmen sich die RAF-Terroristen Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe in der JVA in Stuttgart-Stammheim das Leben, ihre Mitstreiterin Irmgard Möller überlebte schwer verletzt. Wenige Stunden zuvor hatte das GSG-9-Kommando die entführte Lufthansa-Maschine "Landshut" befreit – die RAF antwortete mit der Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns-Martin Schleyer.

Zur Todesnacht in Stammheim hat Graf seine ganz eigene Theorie parat, die in krassem Widerspruch zur offiziellen Version steht: War es womöglich kein Selbstmord, sondern gezielt vertuschter Mord? Die Denkanstöße des zehnfachen Grimme-Preisträgers, der das Drehbuch zu Der rote Schatten gemeinsam mit Raul Grothe schrieb, bieten Futter für kontroverse Diskussionen, denn die damaligen Schlampereien werden in seinem sperrigen Politthriller schonungslos aufgearbeitet.

Dank der authentischen Inszenierung verwischen dabei oft die Grenzen zwischen Realität und Fiktion: Dokumentarisches Material wie den Hilferuf des entführten Schleyer oder die Verhaftung von Baader & Co. kombiniert Graf mit nachgedrehten 70er-Jahre-Szenen und streut diese regelmäßig in das Geschehen im Hier und Jetzt ein.

Den Generationsunterschied spiegelt der Filmemacher in den Stuttgarter Hauptkommissaren: Während Thorsten Lannert (Richy Müller) die Ideologie der RAF in ihren Grundzügen geteilt und Gudrun Ensslin sogar in einer WG kennengelernt hat (wie uns der Schauspieler bereits vorab im Interview verriet), kennt Sebastian Bootz (Felix Klare) den "Krieg der Kinder gegen ihre Väter" nur aus den Medien und wird so für das jüngere TV-Publikum zur Identifikationsfigur.


LANNERT:
Worum uns die RAF gebracht hat, war die Neugier. Und die Sehnsucht, die damals herrschte, politisch und gesellschaftlich. Die haben sie weggebombt.


Der rote Schatten ist ein mutiger und unbedingt sehenswerter, allerdings auch stark überfrachteter Tatort, denn das 90-minütige Korsett der Krimireihe engt den Film spürbar ein: Nicht von ungefähr hat Graf einen zehn Minuten längeren Director’s Cut schneiden lassen, auf den das TV-Publikum aber (zunächst) verzichten muss.

Wer sich auf einen klassischen Krimi nach altbewährtem Schema gefreut hat, dürfte früh die Lust an diesem komplexen Politthriller verlieren, dabei verlangt Graf dem Zuschauer weniger ab als sonst: Anders als im umstrittenen Vorgänger Aus der Tiefe der Zeit verzichtet der Filmemacher auf inszenatorische Fingerübungen und das für ihn typische, oft anstrengend hohe Erzähltempo, das im Vergleich zum normalen Tempo im Tatort aber immer noch sehr sportlich ausfällt.

Neben der Aufarbeitung der RAF-Todesnacht, die vor allem Lannert vorantreibt, will ja schließlich auch noch ein Mordfall in der Gegenwart gelöst werden: Die Kommissare finden einleitend im Kofferraum von Christoph Heider (Oliver Reinhard, Im Alleingang) die Leiche seiner Ex-Frau Marianne, die in ihrer Badewanne ums Leben gekommen ist. Hier stellt sich dieselbe Frage wie in Stammheim: Gezielter Mord oder Selbstmord?

Ins Visier der Ermittler gerät neben Tochter Luisa (überzeugendes Debüt: Leonie Nonnenmacher) auch Heiders Freund Wilhelm Jordan (glänzend: Hannes Jaenicke, Atemnot), der von ihrer Lebensversicherung profitieren würde. Über den abgehalfterten Zocker, der früher als V-Mann in höchsten RAF-Kreisen tätig war und die gesuchte Terroristin Astrid Frühwein (eiskalt: Heike Trinker, Erfroren) in seiner Gartenlaube versteckt, wird der titelgebende lange Schatten der Stammheimer Schreckensnacht mit der Gegenwart und dem realen Kampf gegen die RAF verknüpft – die hat sich zwar 1998 offiziell aufgelöst, beschäftigt Oberstaatsanwalt Lutz (Friedrich Mücke, spielte zweimal den Hauptkommissar Henry Funck im Tatort aus Erfurt) und damit auch Staatsanwältin Emilia Alvarez (zeigt sich einleitend nackt: Carolina Vera) aber noch immer.

Zwar ist die Täterfrage im Hinblick auf Heiders rätselhaften Tod früh beantwortet, doch bleibt sie nicht die letzte Leiche, so dass der Spannungsbogen nie in den Keller fällt und bei der etwas hektisch zusammengeschusterten Auflösung wie gewohnt mitgerätselt werden darf. Der Konflikt zwischen der Kripo, der Staatsanwaltschaft und einer ihr übergeordneten Behörde (hier: der Verfassungsschutz) wurde in der Krimireihe aber schon ein paar Mal zu häufig erzählt, als dass diese Machtspielchen noch wirklich mitreißen würden.

Bewertung: 7/10

Hardcore

Folge: 1030 | 8. Oktober 2017 | Sender: BR | Regie: Philip Koch
Bild: BR/Hagen Keller
So war der Tatort:

Pornös.

Denn Regisseur Philip Koch, der nach dem Meilenstein Der Tod ist unser ganzes Leben zum zweiten Mal für einen Tatort aus München am Ruder sitzt und das Drehbuch zu Hardcore gemeinsam mit Bartosz Grudziecki schrieb, entführt seine Zuschauer in eine Welt, die nur den wenigsten bekannt sein dürfte: in die Welt der deutschen Pornoindustrie. Deren Herz schlug schon in den 70er Jahren – man denke an Sexfilmchen wie Liebesgrüße aus der Lederhos'n – in München und hat sich durch das Internet extrem gewandelt: Wer vor Jahren dank geringer Produktionskosten und hoher Nachfrage noch den großen Reibach gemacht hat, kann sich heute kaum noch über Wasser halten.

Diese Erfahrung müssen in dieser Tatort-Folge auch der von Markus Hering (Am Ende geht man nackt) gespielte Produzent Sam Jordan ("Ich bin der Cumshot-König!") und sein von Frederic Linkemann gespielter Rivale Olli Hauer ("Nee, sorry, ich mach keine MILFs!") machen, die in beruflicher Beziehung zum Opfer standen: In den leeren Studioräumen über einem Kaufhaus finden die Hauptkommissare Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) die erdrosselte Marie Wagner (Helen Barke) – und neben ihr ein Planschbecken mit einer übel riechenden Brühe aus Körperflüssigkeiten wie Sperma und Urin. Unter dem Künstlernamen Luna Pink war Wagner ein Star der Amateurporno-Szene – und weil bei ihrem letzten Bukkake-Dreh zwei Dutzend Männer in ihrem Mund abgespritzt haben, reduziert sich der Kreis der männlichen Verdächtigen zunächst auf eben jene.

Zum Leidwesen der mit der Sichtung des Drehmaterials beauftragten Assistenten Kalli Hammermann (Ferdinand Hofer) und Ritschy Semmler (Stefan Betz) trugen sie aber allesamt Masken – was die Auflösung der Täterfrage erheblich erschwert.


LEITMAYR:
Wir suchen jetzt einen Mann mit zwei Armen, zwei Beinen und einem eher... joa... unterdurchschnittlich großen... Glied.

BATIC:
Das trifft auf halb München zu.


Wer Berührungsängste mit den Themen Sex und Pornografie mitbringt, dürfte schnell die Lust an diesem tabulosen Krimi verlieren, doch alle anderen Zuschauer dürften auf ihre Kosten kommen: Vor allem der trockene und meist nicht jugendfreie Dialogwitz macht den hohen Unterhaltungswert der 1030. Tatort-Folge aus.

Die Ermittlungen konzentrieren sich auf die Protagonisten vor und hinter der Kamera, was zu köstlicher Situationskomik führt: Bei einem Besuch am Set beispielsweise diskutiert Leitmayr wie selbstverständlich mit zwei Darstellern über geldwerte Steuervorteile, während die beiden am Catering ihre Erektion am Leben erhalten und eine intimrasierte Creampie-Expertin den verdutzten Batic über lukrative Porno-Praktiken aufklärt.

In einem Tatort aus Köln oder einem Tatort aus Luzern wären Szenen wie diese wohl ziemlich verkrampft ausgefallen, doch an der Isar wirkt alles wunderbar natürlich: Nie gerät das Geschehen zu albern, und auch die Moralkeule und der Erklärbär bleiben in der Regel außen vor. Wer mit Begriffen wie Cumshot und Abkürzungen wie ATM oder DP nichts anfangen kann, wird nicht alle Dialoge verstehen – ist damit aber nicht allein, weil auch die Kommissare trotz ihres soliden Grundwissens nicht jeden Terminus kennen.

Explizites Material sendet die ARD selbstredend nicht: Obwohl blanke Brüste und schlaffe Penisse durchs Bild wippen und die Pornografie omnipräsent ist, wird das titelgebende Hardcore-Material nie im Detail eingefangen. Stattdessen gerät schon der Auftakt zur kunstvollen Ouvertüre: Zu den Klängen von Henry Purcells What Power Art Thou stolziert die mit einem Bikini bekleidete Wagner in Zeitlupe gen Planschbecken, um plötzlich vor dem Zuschauer in die Knie zu gehen und ihm direkt in die Augen zu blicken.

Dieses gekonnte Spiel mit dem Voyeurismus des Zuschauers bleibt nicht die einzige visuelle Fingerübung, doch im Hinblick auf die Figuren offenbart der Krimi Schwächen: Dass die Ermordete die Tochter des Oberstaatsanwalt Rudolf Kysela (Götz Schulte) ist, sorgt kaum für zusätzliche Brisanz – ein anderer in der Öffentlichkeit stehender Bürger hätte für die Geschichte kaum schlechter funktioniert.

Bei der Charakterzeichnung zu kurz kommen Schlüsselfigur und Ex-Pornodarstellerin Stella Harms (Luise Heyer, Taxi nach Leipzig) und vor allem ihr Mann Markus (Golo Euler, Im Schmerz geboren), während im Hinblick auf die Porno-Produzenten fleißig Klischees bedient werden. Das Ganze wird aber mit entwaffnendem Humor und tollen One-Linern aufgefangen – und so ist Hardcore nicht nur ein freizügiger, sondern auch ein amüsanter und origineller Krimi, der bei erzkonservativen Zuschauern natürlich für Empörung sorgt.

Bewertung: 7/10

Goldbach

Folge: 1029 | 1. Oktober 2017 | Sender: SWR | Regie: Robert Thalheim
Bild: SWR/Alexander Kluge
So war der Tatort:

Kurzfristig umbesetzt.

Denn eigentlich hatte der SWR für den ersten Schwarzwald-Tatort einen echten PR-Coup gelandet: Late-Night-Talker Harald Schmidt sagte dem Sender im Dezember 2015 für den Nachfolger des Tatort aus Konstanz zu. Doch aus der geplanten Rolle als Kriminaloberrat Gernot Schöllhammer wurde nichts, denn zwei Wochen vor dem Drehstart zu Goldbach folgte aus heiterem Himmel die Rolle rückwärts: Schmidt sagte im März 2017 aus persönlichen Gründen ab und eröffnete Spekulationen über zu hohe Gagenforderungen und gesundheitliche Probleme.

Die aus der Not geborene Last-Minute-Neubesetzung ging fast unter: Steffi Kühnert (Zirkuskind) sprang ein und ist als Kripochefin Cornelia Harms nun dauerhaft an der Seite der Freiburger Hauptkommissare Franziska Tobler (Eva Löbau, Der glückliche Tod) und Friedemann Berg (Hans-Jochen Wagner, Auf ewig Dein) zu sehen. Man kann sich ausmalen, wieviele Hebel der SWR kurzfristig für den Einbau einer komplett neuen Figur in Bewegung setzten musste – doch Regisseur Robert Thalheim und Drehbuchautor Bernd Lange (Neuland) gelingt es, Harms genauso gut in die Geschichte integrieren wie die Kommissare.

Die werden zwar (noch) nicht mit nennenswertem Privatleben ausgestattet, bekommen dafür aber eine stimmige Kreuzung aus klassischem Whodunit und einem Vermisstenfall serviert: Nahe des kleinen Schwarzwald-Örtchens Goldbach wird die Leiche der elfjährigen Frieda (Alexa Luna Tröndle) gefunden - und während ihr Freund Paul (Aaron Kissiov), der mit ihr im Wald gespielt hatte, wohlbehalten zurückkehrt und nichts bemerkt haben will, bleibt sein bester Kumpel Linus (Oskar von Schönfels) verschwunden.

Da die Ermittler am Tatort ein verstecktes Waffenarsenal finden, führt die Spur nicht nur in die Idylle des Dörfchens, sondern auch ins Darknet, das sich 2017 weiterhin großer Beliebtheit in der Krimireihe erfreut (vgl. Fangschuss, Borowski und das dunkle Netz).


BERG:
Die bestellen sich Kompakt-MGs wie Druckerpatronen.


Goldbach ist ein stark gespieltes und überzeugend arrangiertes Krimidrama, denn der Zuschauer darf gleichzeitig über das Schicksal von Linus rätseln und für sich die Frage beantworten, was sich im Wald wohl zugetragen hat: Welches Geheimnis trägt Paul mit sich herum und welche Rolle spielt Waffenhersteller Stefan Pfeiffer (Christian Heller, Der Inder), der Verbindungen in die Politik hält?

Zumindest eine, die wir zum Beispiel im Tatort aus Luzern oder im Tatort aus Wien schon oft gesehen haben: Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Kripochefin Harms in die Ermittlungen grätscht, weil Landesregierung und Wirtschaft ja verärgert werden könnten.

Dieser Ausflug in Richtung Politthriller bringt den Krimi aber kaum voran: Besser wären die Sendeminuten in eine etwas schärfere Skizzierung der zunehmend zerstrittenen Nachbarn und Eltern der drei in die Tat involvierten Kinder investiert gewesen, die sich gegenseitig für die Tragödie verantwortlich machen. Während für Friedas Eltern Jens (Godehard Giese, Kalter Engel) und Barbara Reutter (Victoria Mayer, Satisfaktion) eine Welt zusammenbricht, versuchen Klaus (Felix Schmidt-Knopp, Zahltag) und Steffi Buchwald (Isabella Bartdorff) ihren schweigsamen Sohn Paul auszuquetschen. Martin Benzinger (Shenja Lacher, Im Schmerz geboren) und seine Frau Nicole (Odine Johne, Stau) hingegen wissen nicht mal, ob ihr vermisster Linus je zurückkehrt.

Bei der Freilegung der zwischenmenschlichen Spannungen hat der 1029. Tatort seine stärksten Momente, aber der Film überzeugt auch ästhetisch: Schon die erste Einstellung – ein langes Panorama der verschneiten Bäume, durch die der tödliche Schuss hallt - macht deutlich, dass im neuen SWR-Tatort der Schwarzwald der Star ist.

Der Fokus auf dessen Natur zieht sich ebenso wie ein roter Faden durch den Tatort wie der tolle düstere Klangteppich, während Verfolgungsjagden über Stock und Stein und die Indiziensuche im Unterholz in der Krimireihe eine willkommene Abwechslung bieten (ähnlich provinziell geht es meist nur im Tatort aus Österreich oder im Tatort aus Niedersachsen zu). Hier offenbart sich auch die Nähe zu Skandinavien-Krimis, mit denen das Debüt von Tobler und Berg in Sachen Spannung und Gruselfaktor aber nicht ganz mithalten kann: Vor allem im Mittelteil schleichen sich einige Längen in die Handlung ein. Dennoch ist Goldbach eine gelungene und atmosphärisch unheimlich dichte Premiere – wenn auch mit einer vorhersehbaren Auflösung.

Bewertung: 7/10

Zwei Leben

Folge: 1028 | 17. September 2017 | Sender: SRF | Regie: Walter Weber
Bild: ARD Degeto/SRF/Daniel Winkler
So war der Tatort:

Frisch verliebt.

Denn die Luzerner Hauptkommissare Reto Flückiger (Stefan Gubser) und Liz Ritschard (Delia Mayer) sind in Zwei Leben gleich beide mit ihrer neuen Flamme zu sehen: Während Flückiger mit Eveline Gasser (Brigitte Beyeler), die der Zuschauer bereits im direkten Vorgänger Kriegssplitter bei einer gemeinsamen Nacht im Hotel zu Gesicht bekam, auf den ersten Jahrestag anstößt, hat die erste lesbische Ermittlerin der Tatort-Geschichte mit der Mitarbeiterin eines Asia-Imbisses angebandelt, die bei einer Stippvisite im Präsidium aber gerade mal zwei Wörter sagen darf und nach wenigen Sekunden wieder verschwindet.

Bei der Charakterzeichnung stellt sich der SRF also weiterhin recht ungeschickt an, und auch die Drehbuchautoren Felix Benesch (Hanglage mit Aussicht) und Newcomer Mats Frey verfallen – von stärkeren Fällen wie Ihr werdet gerichtet oder Kriegssplitter mal abgesehen – schnell in die erfolglosen Muster ihrer Vorgänger: Zwischen den Kommissaren springt der Funke bei den hölzernen Dialogen ebenso wenig über wie im Gespräch mit Gerichtsmedizinerin Corinna Haas (Fabienne Hadorn), und Regierungsrat Eugen Mattmann (Jean-Pierre Cornu) hat sich genau zu der Nervensäge zurückentwickelt, die er schon 2011 in Wunschdenken oder 2014 in Zwischen zwei Welten war.

Bevor Zwei Leben in die gewohnte Schweizer Behäbigkeit verfällt, geht es aber recht schwungvoll los: Busfahrer Beni Gisler (Michael Neuenschwander) muss einleitend machtlos mitansehen, wie ein Mann von einer Brücke direkt in seine Windschutzscheibe springt und auf der Straße verstirbt. Mord oder Selbstmord? Als früherer Zugführer musste Gisler schon mehrere Vorfälle dieser Art miterleben und zeigt sich entsprechend traumatisiert.


FLÜCKIGER:
Der wievielte Suizid war das in diesem Jahr?

HAAS:
Ich habe aufgehört zu zählen.


Man muss kein großer Prophet sein, um früh vorauszusehen, dass dieser lieblos in den Raum gestellte Dialog nicht die ganze Wahrheit ist: Im 1028. Tatort liegen die Karten ähnlich früh auf dem Tisch wie in der Berliner Lachnummer Dinge, die noch zu tun sind, in dem eine unheilbar an Krebs erkrankte Mutter zwei Dealer tötete, die ihre Tochter auf dem Gewissen hatten – und in der der Zuschauer miträtseln sollte, wer die beiden wohl ermordet haben könnte.

Denn auch in Zwei Leben verrät der Krimititel zu viel: Wenn Schlüsselfigur und Ex-Baulöwe Jakob Conti (Markus Graf), den eine verdächtige Ähnlichkeit mit dem unbekannten Brückenspringer verbindet, angeblich 2004 im Thailand-Urlaub gestorben ist, seine Leiche aber nie gefunden wurde – war er dann womöglich gar nicht tot?

Was der Zuschauer auch dank einiger bedeutungsschwangerer Blicke seines Sohnes Marco (Roland Bonjour, Stau) und seiner Frau Anita (Saskia Vester, Wer zweimal stirbt) mühelos beantworten kann, beschäftigt die Ermittler hier eine geschlagene halbe Stunde. Selbst nach dem Auftritt der dementen Gianna Conti (Tessie Tellmann, Das Recht, sich zu sorgen), die ihren angeblich toten Bruder gesehen haben will, dreht sich die Geschichte einfach weiter im Kreis.

Über Flückigers gemeinsame Vorgeschichte mit dem traumatisierten Gisler erfahren wir hingegen so gut wie nichts: Dass sich der Kommissar so für den labilen Busfahrer einsetzt, wirkt von Beginn an behauptet und bringt kaum Brisanz in die von Regisseur Walter Weber (Russisches Roulette) behäbig inszenierten Ermittlungen, die auch in die Wohnung von Psychologin Dr. Sonja Roth (Stephanie Japp, Ohnmacht) führen.

Über die mit dem Holzhammer konstruierte Handlung könnte man großzügig hinwegsehen, böte Zwei Leben eine knifflige Auflösung, ein spannendes Finale oder interessante Figuren – die Beantwortung der Täterfrage ist für Genrekenner dank unübersehbarer Indizien aber mühelos zu erahnen, während die Kurzauftritte des von Roger Bonjour gespielten IT-Assistenten Röbi ("Soll ich das schon mal einscannen? Dann können wir die Daten besser handlen.") ebenso in die unfreiwillige Komik abdriften wie die Wutausbrüche des traumatisierten Gisler.

Und dann ist da noch die indiskutable Synchronisation der schwyzerdütschen Originalfassung, bei der die Lippen der Schauspieler und die Tonspur zwei verschiedene Geschichten zu erzählen scheinen – an die hat man sich im Schweizer Tatort aber mittlerweile fast schon gewöhnt. Findet man überhaupt etwas Positives in diesem Krimi, sind es die guten Leistungen der stark geforderten Nebendarsteller, die gegenüber der mit haarsträubenden Zufällen gespickten Handlung aber auf verlorenem Posten stehen.

Bewertung: 3/10