Déjà-vu

Folge: 1045 | 28. Januar 2018 | Sender: MDR | Regie: Dustin Loose
Bild: MDR/Wiedemann & Berg/Daniela Incoronato
So war der Tatort:

Überhitzt.

Und das nicht nur wegen der tropischen Außentemperaturen, die besonders den cholerischen Kommissariatsleiter Peter Michael Schnabel (Martin Brambach) ins Schwitzen bringen: Auch wenn der Umgangston in Sachsen seit dem Amtsantritt von Karin Gorniak (Karin Hanczewski) und Henni Sieland (Alwara Höfels) rauer geworden ist, erhitzte noch nie ein Fall die Gemüter im Polizeipräsidium so sehr wie in Déjà-vu.

Das hat einen guten Grund: Drei Jahre nach dem Verschwinden des neunjährigen Jakob Nemec, dessen Schicksal der unter Strom stehende Schnabel zur Verzweiflung von dessen Eltern Matej (Jörg Witte, Das Recht, sich zu sorgen) und Julia (Anna Grisebach, Familienbande) nie hat aufklären können, wird in einer Sporttasche die nackte Leiche des sexuell missbrauchten Rico Krüger (Joel Simon) gefunden – ein zutiefst beklemmendes Auftaktbild, das sich ins Gedächtnis brennt und schon nach wenigen Minuten erahnen lässt, dass den Zuschauer keine leichte Kost erwartet.

Die Drehbuchautoren Mark Monheim und Stephan Wagner, die die Nachfolge des im Dezember 2017 ausgestiegenen Drehbuchautoren Ralf Husmann (Auge um Auge) antreten und zuletzt das Skript zum Berliner Tatort Ätzend konzipierten, servieren den Dresdner Ermittlerinnen einen hochemotionalen und beängstigenden Fall: Schon beim dramatischen Auftakt am Elbufer trauern wir mit Ricos aufgelösten Eltern Stefan (Jörg Malchow, Todesbilder) und Sandra Krüger (Franziska Hartmann, Borowski und das Fest des Nordens), die bis zuletzt gehofft hatten, ihr Kind noch lebend zu finden und nun wie die am Tatort kotzende Sieland den gierigen Augen empathieloser Gaffer ausgeliefert sind.


GORNIAK:
Alle machen Fotos. Widerlich. Wann sind die Leute so krank geworden?

SIELAND:
Die waren immer schon so. Früher gab's nur keine Smartphones.


Die Filmemacher scheinen sich anfangs nicht ganz entscheiden zu können, ob sie einen Whodunit oder die Jagd auf einen dem Publikum bekannten Triebtäter erzählen möchten, doch spätestens in der zweiten Hälfte findet der Film in die Spur: Als die einzige falsche Fährte aufgelöst wird und mit dem pädophilen Installateur René Zernitz (großartig: Benjamin Lillie) nur ein Verdächtiger übrig bleibt, ist das Rätselraten beendet, das aufgrund zweier früher Hinweise auf den Mörder ohnehin nie wirklich eines werden konnte.

Beim Überfall auf den bedauernswerten Schwimmlehrer Micha Siebert (Niels Bruno Schmidt, Fegefeuer) werden dann Erinnerungen an die Dürrenmatt-Verfilmung Es geschah am hellichten Tag wach, in dem sich der wütende Mob einen unschuldigen Hausierer vorknöpft - doch anders als im Schwarz-Weiß-Klassiker mit Heinz Rühmann erfahren wir in Déjà-vu auch viel über den wahren Täter, der seine Neigung geschickt vor den Augen der Öffentlichkeit verbirgt.

Ein Psychogramm ist der 1045. Tatort aber nicht: Statt seines Seelenlebens beleuchten die Filmemacher besonders die Beziehung zu seiner undurchsichtigen Lebensgefährtin Jennifer Wolf (Alice Dwyer, Dicker als Wasser) und zeichnen so das Porträt eines keineswegs abstoßenden Pädophilen, der sich vor allem nach Geborgenheit sehnt und schon rein optisch so gar nicht dem häufig bemühten Stereotyp vom schmierigen Einzelgänger entspricht.

All das wird vom bis dato jüngsten Tatort-Regisseur souverän und unaufdringlich in Szene gesetzt: Dustin Loose inszeniert ein ästhetisch konventionelles, dadurch aber nicht weniger mitreißendes Krimidrama, das sich gerade durch seine Bodenständigkeit von den oft missglückten Experimenten der Vormonate abhebt (vgl. Babbeldasch, Fürchte dich).

Die dramatische Schlusspointe und der fesselnde Showdown sind dann das Sahnehäubchen auf den bis dato mit Abstand stärksten Tatort aus Dresden – es ist der vorletzte mit Alwara Höfels, die wegen eines "fehlenden künstlerischen Konsens" im Dezember 2017 das Handtuch warf. Dabei wirkt im Präsidium diesmal vieles runder als in den ersten vier Folgen: Der schüchterne IT-Kollege Ingo Mommsen (Leon Ullrich) untermauert mit unbeholfenen Komplimenten seinen Status als heimlicher Publikumsliebling, während Schnabels Wutausbrüche aus den fehlenden Ermittlungserfolgen resultieren und sein ewiges Hadern mit Fortschritt, Technik und Politik diesmal (fast) komplett ausgeklammert wird.

Ganz frei von Klischees ist das Drehbuch aber nicht: Journalisten werden in bester Tatort-Tradition als sensationslüsterne Schmierfinken skizziert – und (vermeintlich) pädophile Schwimmtrainer kennen die Stammzuschauer unter anderem aus Adams Alptraum oder Verdammt.

Bewertung: 8/10

Bausünden

Folge: 1044 | 21. Januar 2018 | Sender: WDR | Regie: Kaspar Heidelbach
Bild: WDR/Martin Valentin Menke
So war der Tatort:

Von keinem Geringeren vertont als von Klaus Doldinger, dem Komponisten der Tatort-Titelmusik - doch ähnlich wie der Rest des Krimis fällt auch sein Soundtrack enttäuschend und erschreckend belanglos aus.

Nach seinem Cameo-Auftritt im Vorvorvorgänger Wacht am Rhein sorgt der Altmeister in Bausünden diesmal persönlich für die Musik und vergreift sich dabei häufig im Ton: Oft wird das Geschehen durch Doldingers Klänge eher konterkariert, als dass diese für Spannung und Atmosphäre sorgen würden. Von monotonen Streicher- und Piano-Stakkatos, wie wir sie aus seichten Vorabendformaten kennen, über aufdringliche Thriller-Anleihen bis hin zu dünner Fahrstuhlmusik, die einem Softporno kaum schlechter zu Gesicht gestanden hätte, ist in diesem seltsam beliebigen Mix fast alles zu hören.

Das Drehbuch zu Bausünden fällt kaum überzeugender aus: Um den tödlichen Balkonsturz einer Hotelangestellten haben die Drehbuchautoren Uwe Erichsen (Schimanskis Waffe) und Wolfgang Wysocki einen Fall geschustert, bei dem kaum ein Aspekt der Geschichte die Ausarbeitung erfährt, die für angemessenen Tiefgang nötig gewesen wäre, und somit bleibt fast alles Stückwerk.

Konstruiert wirkt das Ganze auch: Als die Kölner Hauptkommissare Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) beispielsweise in einem Architekturbüro nach einem verschwundenen USB-Stick suchen, finden sie ihn ausgerechnet am verdächtigsten aller Orte – tun aber einfach so, als sei das ein mordsmäßig cleveres Versteck gewesen ("Wo versteckt der Kuckuck seine Eier?" - "Unter lauter Eiern."). Auch Kommissar Zufall ermittelt fleißig mit – in Person von Assistent Tobias Reisser (Patrick Abozen), der unter den zwei Dutzend Sticks natürlich auf Anhieb den richtigen erwischt.


SCHENK:
Du greifst da rein und wirst sofort fündig?

REISSER:
Das Genie beherrscht das Chaos.

SCHENK:
Du füllst ab sofort meine Lottoscheine aus. So viel Glück kann keiner haben.


Regisseur Kaspar Heidelbach (Erkläre Chimäre), der bei einem Cameo-Auftritt als Hundebesitzer auch vor der Kamera zu sehen ist, hat 1997 schon den ersten Tatort mit Ballauf und Schenk inszeniert, bleibt aber um Längen hinter Willkommen in Köln und weiteren tollen Folgen wie Quartett in Leipzig zurück.

Seine Inszenierung wirkt altbacken und wenig dynamisch – letztlich ist Heidelbach aber auch Gefangener des schwachen Drehbuchs, das auf der Zielgeraden fast in die unfreiwillige Komik abdriftet. Dann nämlich müssen die Kommissare beim obligatorischen Kölsch an der Wurstbraterei noch fix all das zusammenfassen, was bei der Suche nach der Auflösung bis dato ungeklärt blieb – ein erschreckend uninspiriertes Finale, das auch durch einen bemühten Doppelrollen-Twist nicht entscheidend aufgewertet wird.

Dazu geht im Vorfeld viel zu viel schief: Die unmoralischen Machenschaften des Architekturbüros von Unternehmer Könecke (Julian Weigend, Freddy tanzt) um einen Hotelbau zur Fußball-WM 2022 in Katar wirken behauptet, weil wir die FIFA-Funktionäre nur im Vorbeihuschen zu sehen bekommen und über die Ausbeutung der Bauarbeiter vor Ort nichts Substanzielles erfahren.

Das Privatleben von Daniela Mertens (Jana Pallaske, Schützlinge), die in engem Kontakt zum Opfer stand, bleibt ebenso nebulös wie der Auslöser für die posttraumatische Belastungsstörung des Afghanistan-Rückkehrers Lars Baumann (Hanno Koffler, Zirkuskind), der mit Könecke gedient hat und früher mit Mertens liiert war. Und auch die ausgefallenen sexuellen Vorlieben seiner verschwundenen Ehefrau Susanne, die zugleich Mertens' Schwester ist, werden allenfalls in der Auftaktsequenz des Krimis konkret.

Ballauf und Schenk, die seit jeher für solide Krimikost stehen und nach langer Zeit mal wieder einen wirklich schwachen Fall serviert bekommen, hangeln sich im 1044. Tatort zwar souverän von Befragung zu Befragung, können bei all ihrer Routine aber kaum mal eine Duftmarke setzen, die über das abgegriffene "Wo-waren-Sie-gestern-Abend?"-Prinzip hinausgeht. Auch beim Blick auf die Besetzung ergibt sich kein überzeugendes Bild: Gleich mehrere Schauspieler in wichtigen Nebenrollen agieren nicht auf gehobenem Sonntagabend-Niveau; der gewohnt engagierte Patrick Abozen zählt noch zu den Lichtblicken der auffallend schwachen Darstellerriege.

Damit ist Bausünden unterm Strich der schlechteste Kölner Tatort seit vielen Jahren - und zugleich Abozens letzter Einsatz, der nach seinem überraschenden Ausstieg im September 2017 nicht länger als Assistent dabei ist.

Bewertung: 3/10

Die Faust

Folge: 1043 | 14. Januar 2018 | Sender: ORF | Regie: Christopher Schier
Bild: ARD Degeto/ORF/E&A Film/Hubert Mican
So war der Tatort:

Trügerisch.

Denn der 1043. Tatort ist nur vordergründig ein Serienkiller-Thriller im Stile von Der kalte Tod oder Nachtsicht: Drehbuchautor Mischa Zickler und Regisseur Christopher Schier, der nach dem soliden Tatort Wehrlos das zweite Mal binnen neun Monaten für den ORF am Ruder sitzt, arrangieren in Die Faust eine eigenwillige Kreuzung aus einer packenden Jagd auf einen vermeintlichen Psychopathen und einem ambitionierten Polit-Krimi, die im Gesamtergebnis aber nicht ganz überzeugend ausfällt.

Dabei geht es so vielversprechend los: Die Filmemacher ziehen die Spannungsschraube bei einer brutalen Mordserie von Leiche zu Leiche konsequent an und zeigen den Täter schon bei dessen zweiter Tat in voller Montur – ein Jump Scare mit Gänsehautgarantie, bei dem wir dem Killer direkt in sein maskiertes Gesicht blicken. Beim dritten Mord befindet sich das Spannungsbarometer dann am Anschlag: Quälend lange Minuten werden wir – ähnlich wie in Borowski und das dunkle Netz – in Ego-Shooter-Perspektive Zeuge dessen, wie der Killer sein weibliches Opfers brutal abschlachtet, während dessen verängstigte Mitbewohnerin wenige Meter weiter in einem Versteck um ihr Leben zittert.

Doch die Identität des Serienmörders bleibt auch hier im Dunkeln: Der Unbekannte hat sich mit einem weißen Overall der Spurensicherung getarnt und gibt den Wiener Ermittlern Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) und Bibi Fellner (Adele Neuhauser) ein kniffliges Rätsel auf, weil er seine drei Opfer gezielt an Orten zur Schau stellt, an denen sich kaum verwertbare Spuren finden lassen. Wie gut, dass die beiden bei ihrem 18. gemeinsamen Einsatz an einem Strang ziehen – wenngleich sich Fellner bei ihrem Chef Ernst Rauter (Hubert Kramar) heimlich für eine leitende Position in einer anderen Abteilung beworben hat und dabei mit ihrem Streberkollegen Clemens Steinwendtner (Dominik Maringer) um den Posten konkurriert.


FELLNER:
Er ist fröhlicher als du.

EISNER:
Ich bin auch fröhlich!

FELLNER:
Jetzt auch?

EISNER:
Ja, sicher!


Die Faust kann das hohe Niveau aber nur eine gute Dreiviertelstunde lang halten, denn anders als in Gott ist auch nur ein Mensch, in dem Hauptkommissar Frank Thiel (Axel Prahl) und Professor Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers) wenige Wochen zuvor in Münsters Künstlerszene nach einem Serientäter mit ähnlichem Faible für spektakuläre Inszenierungen fahndeten, können sich ihre Wiener Kollegen Eisner und Fellner ("Da hat jemand Sinn für Theatralik!") ihrer Sache bald nicht mehr sicher sein: Sind das Zurschaustellen der Leichen und ihr postmortales Penetrieren womöglich nur aufwändige Ablenkungsmanöver von einem ganz anderen Mordmotiv?

Spätestens, als Eisner seine alte Profiler-Freundin Henriette Cerwenka (Erika Mottl) in die Ermittlungen einbezieht und diese seine Theorie bestätigt, lichtet sich der Nebel. Ab diesem Moment ist die Suche nach der Auflösung der Täterfrage aber nur noch Routine – und der Film durchlebt eine seltsame Metamorphose hin zu einem ziemlich dünnen Polit-Krimi, dessen Rahmenhandlung bei weitem nicht so überzeugend ausgearbeitet wird wie der erste Abschnitt der Geschichte.

Als die österreichischen Ermittler, die bei ihren Recherchen von ihrem eifrigen Assistenten "Fredo" Schimpf (Thomas Stipsits) und Gerichtsmediziner Prof. Kreindl (Günter Franzmeier) unterstützt werden, auf geheime Manöver des russischen Geheimdienstes stoßen und mit dem undurchsichtigen Universitätsprofessor Nenad Ljubic (Misel Maticevic, Borowski und das Fest des Nordens) über osteuropäische Bürgerrechtsbewegungen fachsimpeln, verliert der Film seine anfängliche Bodenhaftung: Selbst für den in der Vergangenheit häufig auf internationale Verbrechen ausgerichteten Fadenkreuzkrimi aus Wien (vgl. Deckname Kidon, Zwischen den Fronten) wirkt die Geschichte ab diesem Zeitpunkt eine Nummer zu groß.

Für eine standesgemäße Ausarbeitung der Hintergründe bleibt am Ende auch wenig Zeit – schließlich will noch erzählt werden, wie Rauters Personalentscheidung ausfällt und ob sich Eisner womöglich eine neue Tatort-Partnerin suchen muss. Trotz dieses regelmäßig auflodernden Konflikts harmonieren die beiden Ermittler aber einmal mehr prächtig: Anders als im Vorgänger Virus oder ihrem schwachen Auftritt in Sternschnuppe sind Humor und Wiener Schmäh diesmal angenehm dosiert und wirken weitaus natürlicher, als es im Tatort aus Österreich in den Jahren davor ab und an der Fall war.

Bewertung: 5/10

Kopper

Folge: 1042 | 7. Januar 2018 | Sender: SWR | Regie: Roland Suso Richter
Bild: SWR/Roland Suso Richter
So war der Tatort:

So kopperfixiert wie lange nicht mehr – denn der 57. Einsatz von Hauptkommissar Mario Kopper (Andreas Hoppe) ist zugleich sein letzter.

Dabei ist sein erster Fall bis zuletzt sein bester geblieben: Als Hoppe 1996 in der herausragenden Folge Der kalte Tod sein Debüt in Ludwigshafen feierte, hätte er sich wohl kaum träumen lassen, dass er dem Tatort noch weitere 21 Jahre erhalten bleiben würde. Doch spätestens, als der SWR 2014 zusätzlich zur langjährigen Kollegin Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) die neue Fallanalytikerin Johanna Stern (Lisa Bitter) im Team installierte, geriet der deutsch-italienische Kommissar aufs Abstellgleis: In missglückten Folgen wie LU oder dem desaströsen Impro-Experiment Babbeldasch war Kopper kaum noch wahrnehmbar (und beklagte dies in einem Interview deutlich).

Im 1042. Tatort ist alles ganz anders: Fast scheint es so, als wolle der SWR mit Kopper in nur einer Folge wiederaufbauen, was er in den letzten Jahren konsequent eingerissen hat. Statt hölzerner Dialoge und der biederen Aufmachung, in der der Fadenkreuzkrimi aus Ludwigshafen zuletzt oft daher kam, liefern Regisseur Roland Suso Richter (Du gehörst mir) und Drehbuchautor Patrick Brunken (Roomservice) einen dynamischen und temporeichen Mafia-Thriller.

In diesem erschießt Kopper einleitend in Notwehr einen Italiener, der es auf seinen Jugendfreund Sandro Giangreco (Michele Cuciuffo) abgesehen hat. Nun bittet Sandro ihn darum, ihm ins Zeugenschutzprogramm zu verhelfen – doch weil Kopper selbst ins Visier der Mafia gerät und Odenthal keinen reinen Wein einschenkt, ist mit dem zentralen Konflikt ein stabiles Fundament für eine spannende und modern erzählte Geschichte gelegt. Nur in einer Szene wirkt Kopper wie aus der Zeit gefallen:


KOPPER:
Und, was brauchen sie?

GIANGRECO:
Eine Aussage auf Video.

KOPPER:
Gut, dann gehe ich mal 'nen Camcorder besorgen.


Kopper ist ein gelungener Tatort, der dank einiger knackiger Action-Einlagen nie langweilt und um Längen stärker ausfällt als die vielen schwachen Odenthal-Fälle der letzten Jahre.

Der undurchsichtige Sandro spielt mit gezinkten Karten und bringt den scheidenden Kommissar dadurch gehörig in Bedrängnis, während Odenthal und Stern diesmal an einem Strang ziehen und selbst in Gefahr geraten: Wenngleich keine Pferdeköpfe im Bett liegen (das entsprechende Zitat von Spurensicherungsleiter Peter Becker ist eine von mehreren Anspielungen auf die Der Pate-Trilogie), wird die unmittelbare Bedrohung durch die Mafia dank unliebsamer Überraschungen vor der Wohnung oder Patronen im Dienstwagen greifbar.

Der Rahmenhandlung um illegale Geschäfte mit Chemiemüll fehlt es allerdings an Substanz und nicht alle Figuren sind frei von Klischees: Während LKA-Kollegin Manz (Saskia Vester, Zwei Leben) erfreulicherweise nicht dem üblichen Muster entspricht und sich der Kripo gegenüber freundlich und kooperativ zeigt, verkörpert Andreas Leupold (Großer schwarzer Vogel) mit dem uneinsichtig-arroganten Oberstaatsanwalt Benninger genau die eindimensionale Figur, der wir in der Krimireihe schon unzählige Male begegnet sind.

Die nervtötenden Scharmützel im Präsidium, die den Tatort aus der Kurpfalz zuletzt häufig zur Geduldsprobe werden ließen, sucht man diesmal aber vergeblich: Im Zentrum der Geschichte steht Koppers komplizierte Vertrauensverhältnis zu Sandro und seinen Kolleginnen – und doch entfaltet der Film am Ende nicht ganz die emotionale Wucht, die möglich gewesen wäre, wenn man den gebürtigen Sizilianer in den Drehbüchern der letzten Jahre nicht zum austauschbaren Sidekick degradiert hätte. Von Koppers neuer Verlobter Maria (Marzia Tedeschi) kennen wir beispielsweise nur den Vornamen – das macht sich spätestens dann bemerkbar, als die Mafia sie als Druckmittel verwendet und dabei kein echtes Mitfiebern stattfinden will.

Die allerletzte Chance, Kopper als Figur mal wieder intensiver auszuloten, nutzen die Filmemacher ohnehin nur bedingt: Wenngleich in der Einleitung der Bogen in Koppers Kindheit geschlagen wird, erfahren wir kaum Neues über sein Aufwachsen in Italien. Auch die unpersönlichen Einblendungen in der Schlusssequenz erinnern eher an den Abspann einer Crime-Soap im Nachmittagsfernsehen als dass sie seinen Abgang standesgemäß abrunden würden.

Dank der genannten Qualitäten ist Kopper dennoch der beste LU-Tatort seit vielen Jahren – und damit ein würdiger Abschiedsfall für Andreas Hoppe. Arrivederci, Mario!

Bewertung: 7/10

Mord Ex Machina

Folge: 1041 | 1. Januar 2018 | Sender: SR | Regie: Christian Theeden
Bild: SR/Manuela Meyer
So war der Tatort:

Seriös.

Und das ist durchaus als Kompliment zu verstehen: Vorbei sind die Tage, in denen Knalltüten-Kommissar Jens Stellbrink (Devid Striesow) mit bunten Wickelhosen, Riesenhelm und Riesenbrille auf seinem roten Roller durch Saarbrücken raste – und vorbei sind zum Glück auch die Tage, in denen der Saar-Tatort wie in Melinda oder Eine Handvoll Paradies zur mittelschweren Krimi-Katastrophe geriet.

In Mord Ex Machina – dem vorletzten Fall mit Striesow – ermittelt Stellbrink mit einer Seriösität, die man dem einstigen Chaos-Cop kaum noch zugetraut hätte. Und während es dem ebenfalls bodenständigen Vorgänger Söhne und Väter trotz guter Ansätze an einem überzeugenden Drehbuch mangelte, ist auch die Geschichte diesmal ordentlich: Die Tatort-Debütanten Hendrik Hölzemann und David Ungureit beschäftigen sich in ihrem Skript ausführlich mit dem Thema Big Data – ganz neu ist das allerdings nicht, denn die Gefahren der Datenspeicherung wurden auch schon im schwachen Bremer Tatort Echolot oder im futuristischen Stuttgarter Tatort HAL aufgearbeitet.

In Mord Ex Machina schießt nun Sebastian Feuerbach (Nikolai Kinski, Rache-Engel), der Justiziar des IT-Unternehmens Conpact, spektakulär mit seinem Wagen über eine Brüstung – der Autopilot seines Fahrzeugs ist außer Kontrolle geraten. Sein eigener Arbeitgeber hatte den Prototypen mit der nötigen Technik ausgestattet und dabei reichlich Daten gesammelt: Die aufstrebende Firma von Victor Rousseau (Steve Windolf, Alles hat seinen Preis) ist auf Big Data spezialisiert und hatte außerdem die smarte Hackerin Natascha (Julia Koschitz, Großer schwarzer Vogel) damit beauftragt, das System auf Schwachstellen zu prüfen. Die schleust ihre Signatur dank einer Sicherheitslücke mühelos ein und stürzt den verdutzten Stellbrink bei dessen Befragungen von einer Verlegenheit in die nächste.


STELLBRINK:
Sie sprachen von der Signatur. Wie sieht die aus?

NATASCHA:
Ich schick sie Ihnen per Mail.

STELLBRINK:
Aber Sie haben meine Mailadresse nicht.

NATASCHA:
Ich schick sie Ihnen per Mail.


Das Tatort-Jahr 2018 startet mit einem soliden Whodunit und stimmt trotz einiger Klischeefallen und Stellbrinks komplett überzogener Moral von der Geschicht' nachdenklich: Wenn die charismatische Natascha nach einer kurzen Recherche fast mehr über die letzten Jahre im Leben des Kommissars weiß als der selbst, überlegt man sich zukünftig vielleicht genauer, welche privaten Details man mit der Online-Welt teilen möchte.

Die opportunistisch-aufreizende Lisbeth Salander-Variation entpuppt sich zugleich als vielschichtige Antagonistin – und auch Firmenchef Rousseau wirkt bei weitem nicht so überzeichnet wie viele seiner IT-affinen Vorgänger in der jüngeren Tatort-Geschichte (man denke nur an das wandelnde Start-Up-Klischee Magnus Cord im schwachen Dresdner Tatort Level X).

Was der 1041. Tatort-Ausgabe zu einem wirklich gelungenen Cyber-Krimi fehlt, ist allerdings ein funktionierendes Ermittlerteam: Schon die Eröffnungssequenz macht deutlich, wie sehr sich die Hierarchie im Saarland mittlerweile verschoben hat. Zuerst leuchtet dort Striesows Name auf – doch dann folgt nicht etwa das Saarbrücker Stammensemble, sondern es folgen die Schauspieler, die in Mord Ex Machina die Verdächtigen spielen. Hauptkommissarin Lisa Marx (Elisabeth Brück) steht im SR-Tatort komplett auf dem Abstellgleis, denn gemeinsam mit Kommissarsanwärterin Mia Emmrich (Sandra Maren Schneider), Spurensicherungsleiter Horst Jordan (Hartmut Volle) und Staatsanwältin Nicola Dubois (Sandra Steinbach) ist sie nur noch eine von vier austauschbaren Kollegen, die Stellbrink einfach im Präsidium lässt, wenn er auf dem Motorrad zur nächsten Befragung düst. Selbst bei den wenigen gemeinsamen Teamszenen will es aber noch immer nicht richtig flutschen: Die Dialoge klingen geplant und aufgesagt, vieles wirkt verkrampft und nur wenig natürlich.

Auch ästhetisch ist im siebten Stellbrink-Tatort nicht alles Gold, was glänzt: Regisseur Christian Theede und Kameramann Simon Schmejkal (Totenstille) fangen das Geschehen zwar vor stylish-sterilen Kulissen und in auffallend kalten Farben ein, die ihrem modernen IT-Krimi gut zu Gesicht stehen, doch hätte man sich gerade beim Soundtrack mehr Mut und Eigenständigkeit gewünscht. Denn der minimalistisch gehaltene Beat, der bei einigen Außenaufnahmen Dynamik ins Geschehen bringen soll, ist kaum mehr als ein billiger Abklatsch des Chromatics-Songs Tick of the Clock, der in den letzten Jahren nicht nur Nicolas Windings Refns Neo-Noir-Meisterwerk Drive, sondern auch den TV-Spot einer deutschen Bank veredelte. Dann doch lieber das Original.

Bewertung: 5/10